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# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Ab in die Wutbox mit euch!
> Hetzer und Schwätzer spielen viel zu gerne den Helden. Was wären die
> Extremisten ohne einander?
Ganz ehrlich? Ihr könnt mir mal den Buckel runterrutschen, ihr
hasserfüllten Paukenhauer, globalen Klassenclowns und mediengeilen
Störenfriede. Ihr lauten Menschen. Kauft euch ’ne schalldichte Wutbox und
tobt euch dort aus, haut euch gegenseitig die Köppe ein. Aber das würdet
ihr niemals alleine machen. Ihr funktioniert nämlich nicht ohne uns, die
Moderaten dieser Welt. Ihr braucht uns.
Was wäre eine Demonstration muslimischer Extremisten ohne Publikum? Was
wären die islamischen Hassprediger auf der einen Seite und Ayaan Hirsi Ali
plus Henryk M. Broder auf der anderen ohne uns? Nichts. Sie brauchen uns,
damit wir über sie diskutieren. Darüber, ob sie recht haben oder nicht. Ob
es in Ordnung ist, wie sie sind, was sie tun und was das für Folgen haben
könnte.
Wir verhelfen ihnen damit zu noch mehr Prominenz und noch mehr
Aufmerksamkeit. Wir holzen Hunderte von Bäumen ab, nur um in Zeitungen
darüber zu grübeln, wie wir ihren Anliegen gerecht werden, ihren Vorwürfen
begegnen, ihr Geschrei beruhigen. Und schon während ich diesen Text
schreibe, tut es mir leid um die Bäume. Aber einmal muss es raus.
Was wären die Extremisten ohne einander? Wie Nietzsche richtig sagte: „Wer
davon lebt, einen Feind zu bekämpfen, hat ein Interesse daran, dass er am
Leben bleibt.“ Nur so kommen die Autoren der Extremen zu ihren Titelseiten,
zu ihren Medienauftritten, zu ihrer Aufmerksamkeit und letztendlich zu
Geld. Politisch passt es manchem Regierenden auch sehr gut in den Kram.
Schön, wenn sich die Beherrschten eher über einen angeblichen Feind, den
ihnen Extremisten immer willig zeigen, aufregen als über den Mist, den die
Machthaber bauen.
## Extreme erklären
Und während die Moderaten von der einen Seite zur anderen hoppeln, in dem
Bemühen, den Extremen die anderen Extremen zu erklären, stilisieren die
sich als mutige Heroen, die endlich ansprechen, was sich niemand anders
traut.
An sich selbst als an das Gute und Hehre zu glauben, während der Feind
durch und durch böse ist – komfortabler lässt es sich im eigenen
Oberstübchen nicht einrichten. Dabei sind die wahren Helden die Moderaten.
Es braucht Mut, moderat zu sein. Es braucht Kraft, nicht ins verlockend
simple Schwarz-Weiß abzudriften und selbst im vermeintlichen Feind noch
einen Menschen zu sehen.
Und einfach ist es wahrlich nicht, um das herauszufinden, braucht es keine
berühmten Hetzer aus der Presse. Was macht man zum Beispiel, wenn sich der
Mann neben einem im Flugzeug als amerikanischer Waffenlobbyist entpuppt?
Als er mir seinen Beruf beschrieb, wusste er sehr schnell, wie ich das
fand. Übel. Den Rest des Flugs sprachen wir über unsere Familien.
Er, Ende vierzig, polnisch-italienischer Herkunft, erzählte von seiner
Kindheit, dem frühen Tod seiner Mutter und wie er nun versucht, seinen
Kindern das zu geben, was er niemals hatte: eine große Familie mit viel
Leben und Geborgenheit. Zwischendurch schob ich Gewissensfragen ein. Er
wich aus.
Wir entdeckten unsere gemeinsame Leidenschaft für gute Küche. Wir tauschten
Filmtipps aus und luden uns gegenseitig nach Hause ein, wohl wissend, dass
wir uns niemals besuchen werden. Wir mochten nicht, was der jeweils andere
tat, aber wir waren deshalb keine Feinde. Wir haben uns wunderbar
unterhalten.
7 Oct 2012
## AUTOREN
Kübra Gümüsay
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