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# taz.de -- Deutschlands erste Pflege-Ausstellung: Ein unerlässlicher Blick zu…
> "Who Cares?" in der Bremer Kulturambulanz zeigt 200 Jahre Krankenpflege.
> Was auf den ersten Blick museal anmutet, landet immer wieder in der
> Gegenwart
Bild: Gut fixiert ist halb gepflegt?? Utensilien aus der Psychiatrie
Viele Demenzkranke kämen auf ihre Station, erzählt die
Intensiv-Krankenschwester, und zwar direkt nach einer OP. Diese
PatientInnen erhielten aufgrund der Operation notwendige Schmerzmittel oder
Antibiotika, „Infos über ihren sonstigen Zustand haben wir aber nicht“.
Manche bekämen Entzugserscheinungen, weil ihnen Medikamente, auf die sie
normalerweise eingestellt seien, nun fehlten. Dann kämen sie in eine
Isolationskabine, würden dort fixiert, also festgebunden, und
„abgeschossen“, also mit Medikamenten sediert. Vielleicht, sagt die
Krankenschwester, sei es für diese PatientInnen das Beste, wenn sie die
Zeit auf der Intensiv auf diese Weise einfach verschlafen würden. Gerade
Chirurgen seien so auf ihr Fachgebiet spezialisiert, dass sie sich nicht
interessieren würden für Vorerkrankungen wie Demenz.
Solche Erfahrungsberichte von PflegerInnen sind ein kleiner, aber wichtiger
Teil der Ausstellung „Who cares?“ in der „KulturAmbulanz“ des Klinikums
Bremen Ost. Sie zwingen den Betrachter immer wieder mitten hinein in die
Gegenwart der Krankenpflege in Deutschland – während die Ausstellung auf
den ersten Blick eher museal anmutet. Mit der vom Berliner
Medizinhistorischen Institut der Charité konzipierten Wanderausstellung ist
die Krankenpflege zum ersten Mal Gegenstand einer historischen Betrachtung.
Infotafeln, Exponate, Fotos und Dokumente zeichnen ihre Geschichte der
letzten 200 Jahren nach. Dazwischen hängen Fotos von PflegerInnen aus dem
Hier und Jetzt und deren Antworten auf die Frage: Warum übst du diesen
Beruf aus? Und mitten drin steht ein Krankenhaus-Bett als „Hörstation“ mit
eben jenen Berichten aus dem Pflegealltag.
Der intensive Blick auf die Geschichte ist unerlässlich, um zu verstehen,
warum PflegerInnen heute trotz qualifizierter, teilweise sogar
akademisierter Ausbildung noch immer als Hilfskräfte im Schatten der Ärzte
wahrgenommen werden, warum das Pflegesystem in weiten Teilen ausgeprägt
hierarchisch aufgebaut ist und warum zumindest in der somatischen Pflege
nach wie vor zum größten Teil Frauen arbeiten.
Katholische Pflegeorden und evangelische Diakonissenhäuser etablierten im
19. Jahrhundert ein System, das bis Ende des Zweiten Weltkriegs Bestand
hatte: Christliche Berufsethik, einhergehend mit dem Zurückstellen eigener
Bedürfnisse und einem Leben im Zölibat, bestimmten das Leben der
Krankenschwestern. Der „deutsche Schwesterndienst“ der NS-Volkswohlfahrt
setzte ebenfalls auf ausgeprägte Hierarchien und Selbstaufgabe zugunsten
des „Volkskörpers“ – ein selbstbewusster Berufsstand, der während der
Weimarer Republik in Ansätzen angestrebt wurde, hätte der Absicht, auch
Pflegekräfte für die Verbrechen der NS-Medizin einzusetzen, im Weg
gestanden. Erst nach dem Krieg etablierte sich das Schichtdienst-Modell und
machte den Beruf der Schwester auch für jene attraktiv, die Raum für
Familie, Freunde und Hobbys haben wollten.
Dennoch blieben die meisten Krankenhäuser in konfessioneller Trägerschaft
und taten sich lange schwer, auch externes Personal einzustellen.
Einhergehend damit blieben auch die hierarchischen Strukturen, und bis
heute ist das so, wie der Bericht der Intensiv-Schwester deutlich macht:
ÄrztInnen verharren in ihren Fachgebieten und verhindern eine ganzheitliche
und individuelle Pflege – weil es noch immer sie sind, die den Maßstab für
einen Bereich setzen, der eigentlich gar nicht ihrer ist. Neben harter
Arbeit und der schlechter Bezahlung ist genau das der Grund, warum viele
PflegerInnen nach wenigen Jahren frustriert den Beruf wechseln.
Das kann sich eine Gesellschaft im demografischen Wandel nicht leisten: Bis
2030 werden in Deutschland 400.000 zusätzliche Beschäftigte im
Pflegebereich benötigt. Das kann angesichts der schrumpfenden
Ausbildungsjahrgänge und des Wegfalls des Zivildienstes nur verwirklicht
werden, wenn sich die Attraktivität des Pflegeberufs verbessert – sowie die
Strukturen, in die er eingebettet ist.
Mit ähnlichen und teils noch größeren Problemen haben AltenpflegerInnen zu
kämpfen sowie Beschäftigte im häuslichen Pflegedienst. Sie werden im Rahmen
der Ausstellung aber leider nicht berücksichtigt.
Ein Begleitprogramm mit Lesungen, Vorträgen, Filmen und einer Fachtagung
ergänzt die Ausstellung ebenso wie die im Obergeschoss der Kulturambulanz
eingerichtete Dauerausstellung „Vom Narrenkäfig zur Nervenklinik“. Sie
beleuchtet die Geschichte der Psychiatrie – also auch die der
psychiatrischen Krankenpflege.
7 Oct 2012
## AUTOREN
Simone Schnase
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