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# taz.de -- Gehen ist ein vernachlässigter Sport: Das Siechtum der Powackler
> André Höhne, Deutschlands bester Geher, hört auf und wird Trainer. Er
> will sich gegen den Niedergang der Sportart stemmen.
Bild: Einer der letzten Straßenkämpfer: André Höhne in London.
Der Asphalt in London war mies. Zu großporig, zu löchrig, zu rau. „Wir
Geher laufen ja mit ganz flachen Sohlen, da merkt man jedes Steinchen, jede
Unebenheit“, erklärt André Höhne. Es war sein letzter Wettkampf, er ging
nach 50 Kilometern als Elfter ins Ziel. Jetzt hat der Berliner seine
Karriere beendet.
Der 34-Jährige sitzt auf einer Bank am Rand des Sportplatzes, mit Jeans,
Trikot und Sonnenbrille. Hier, am Sportforum in Hohenschönhausen, wird er
in Zukunft als Trainer arbeiten und zudem an der Humboldt-Uni sein
Sportwissenschaftsstudium fortsetzen. Höhne blickt zurück auf die letzen
beiden Jahrzehnte, in denen er nie den Bodenkontakt verlor, immer mit einem
Fuß auf der Erde blieb. Neben drei Olympischen Spielen, fünf
Weltmeisterschaften und weiteren internationalen Wettkämpfen machte er sein
Fachabitur, begann ein Studium als Bauingenieur. Das Erdverbundene,
Bodenständige zeichnet nicht nur seine Sportart aus, Höhne selbst ist ein
solider, zuverlässiger Typ, gelernter Maurer, das Element Erde scheint ihm
zu liegen. Aber da brennt auch ein Feuer in ihm, ohne das er seine Sportart
nie so ausdauernd hätte ausüben können, mit einem vierten Platz bei den
Weltmeisterschaften in Helsinki 2005, einem fünften Platz bei der Berliner
WM 2009 und einem achten Platz bei Olympia 2004 in Athen. Der ganz große
Höhepunkt, ein Medaillengewinn, blieb zwar aus, aber André Höhne gehörte
immer mit zur Weltspitze.
„Ich habe mich durchgebissen“, sagt er und erzählt von seinen ersten Jahren
als junger Geher, in denen ihm sein Sport überhaupt keinen Spaß gemacht
hat. „Ich war eigentlich Schwimmer, wurde aber wegen meiner geringen
Körpergröße aussortiert und bin bei den Leichtathleten gelandet.“ Ein
Geh-Trainer habe ihn entdeckt und gefördert, und mit dem Gewinn seiner
ersten Deutschen Meisterschaften platzte der Knoten. Was ist das aber für
eine Sportart, die Höhne da mit Ehrgeiz und Disziplin betrieb? Es ist ein
knallhartes Geschäft: 20 oder 50 Kilometer legen die Athleten zurück, das
vordere Bein muss beim Aufsetzen gestreckt sein, ein Fuß immer Bodenkontakt
haben. Das ist technisch äußerst anspruchsvoll, verlangt eine
Wahnsinns-Ausdauer – und sieht trotzdem irgendwie ulkig aus. André Höhne
weiß das. Und er weiß aus eigener Erfahrung, dass es vielen Jugendlichen
attraktiver erscheint, Fußball zu spielen, zu sprinten oder gar keinen
Sport zu machen. Er beklagt die mangelnde Bewegungslust der Jugend und die
schwindende Popularität seines Sports in Deutschland. „Wir sind fast
ausgestorben“, sagt er.
Neben ihm nahm noch ein deutscher Geher an den Olympischen Spielen in
London teil, der Potsdamer Christopher Linke, er kam als 24. ins Ziel. Auch
bei den Frauen schafften lediglich zwei Athletinnen die Olympia-Norm,
Melanie Seeger (19. Platz) und Sabine Krantz (ausgeschieden). Und dieses
Jahr wurde Bahngehen kurzerhand aus dem Wettbewerbsprogramm der Deutschen
Meisterschaften gestrichen. Und wenn am Samstag die wenigen deutschen
Geher, die es noch gibt, im sächsischen Gleina um die deutsche
Meisterschaft über 50 km kämpfen, dann bekommt das kaum einer mit. Keine
gute Zeit also, um als Landestrainer für Gehen und Laufen in
Berlin/Brandenburg anzufangen? Oder jetzt erst recht?
„Ich möchte Kinder spielerisch ans Gehen heranführen“, sagt er und zeigt
auf ein Gummiband, das er mitgebracht hat. Diese Slackline sieht man oft in
Parks, zwischen zwei Bäumen gespannt, junge Leute balancieren darauf.
Balance und Körperspannung, das ist auch wichtig für Geher. Höhne will
Gehen wieder attraktiver machen, Talente entdecken und Medaillen gewinnen.
Er weiß, dass es keine leichte Aufgabe ist. Neben der vermeintlichen
Unattraktivität seiner Disziplin gibt es im Gehsport auch wenig zu
gewinnen: keine großen Preisgelder, keine Werbeverträge. Und bei dem
umfangreichen Trainingspensum ist es zudem schwierig, nebenbei einen Beruf
zu erlernen oder ein Studium zu absolvieren. Viele Unsicherheiten also, das
bekommt Höhne gerade jetzt zum Karriereende noch einmal deutlich zu spüren:
Er war als Kaderathlet bisher im Förderprogramm der Bundeswehr – ob es
damit auch als Trainer weitergeht, ist noch unklar. „Und vom bloßen
Trainergehalt kann man kaum leben“, sagt er. Er riskiert es trotzdem, er
will sich wieder durchbeißen.
12 Oct 2012
## AUTOREN
Jutta Heess
## TAGS
Sportarten
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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