# taz.de -- Fabrikbesuch bei Ben & Jerry’s: Karamell mit Karamell – auf Ka… | |
> In „Chocolate Chip Cookie Dough“ möchte man baden, dazu hat der | |
> Eis-Hersteller auch noch ein soziales Gewissen. So geht zumindest die | |
> Legende. | |
Bild: Was der Kuh schmeckt? Caramel Chew Chocolate Fudge Brownie Chunky Monkey.… | |
WATERBURY taz | Stufen. Es gibt Stufen. 52. Erst wenn man sie überwunden | |
hat, ist man angekommen. Bei Ben, bei Jerry, bei Vanille, Marshmallow und | |
Zartbitterfischen. In der Fabrik, in der das Eis irre ist und ein irrer, | |
weltweiter Verkaufsschlager. 52 Stufen bedeuten Kalorienverbrauch, bestimmt | |
so viel wie ein winziger Löffel „New York Super Fudge Chunk“. | |
Wer nicht aufpasst, verpasst die Stufen zum Eiscreme-Mythos. Sie liegen | |
versteckt in einem kleinen Ort in Vermont, im Nordosten der USA. Hier, in | |
Waterbury, liegt der Asia-Imbiss neben dem Schönheitssalon, das Café dem | |
Waschcenter schräg gegenüber. Die Tankstelle ist bereits jenseits des | |
Ortsschilds. Ein Softeis-Aufsteller dreht sich im Wind. Keine | |
Ben-&-Jerry’s-Fähnchen, keine Werbung. | |
Nur ein dezentes Schild an einer Ausfallstraße. Die Stufen führen einen | |
Hügel hinauf, vorbei an Mülleimern in schwarz-weißem Kuhfleckmuster bis zu | |
einer weißen Fabrik mit rosa Fensterrahmen und grünem Dach. Die | |
Ben-&-Jerry’s-Welt ist so bunt, wie die Eispackungen bunt sind. Nicht der | |
Standard-Industriegebiets-Schick. Aber hier soll auch kein | |
Standard-Industrie-Eis hergestellt werden. Ben & Jerry’s, das ist | |
„Super-Premium-Segment“, der Preis ist dem angemessen, der Fankult auch. | |
Was für Ben Cohen und Jerry Greenfield vor 35 Jahren mit einem | |
Eisherstellungsfernkurs für 5 Dollar begann, ist zu einem globalen | |
Markennamen geworden. Das Eis mit den unmöglichsten Sorten, produziert von | |
einem Unternehmen mit sozialem Gewissen. So geht die Legende. | |
## Eis riecht nicht | |
Dort, wo die Legende herkommt, ist gerade kühler Vormittag, die Bänke unter | |
den eingeklappten Sonnenschirmen sind leer. Kein Duft schwebt aus den | |
Verkaufsfenstern ins Freie und verführt zu einer ersten Kugel. Eis riecht | |
nicht. Es bleibt Verheißung, die die Besucher schnell durch die Eingangstür | |
Richtung Fabriktour huschen lässt. 1985, sieben Jahre nach der ersten | |
verkauften Kugel Vanille-Eis in einer umgebauten Tankstelle, lassen Ben und | |
Jerry die Fabrik in Waterbury errichten. Produziert wird hier nach wie vor, | |
aber überschaubar: 125.000 Packungen am Tag. | |
Die Produktionsmaschinen haben lustige Namen. Das Image verpflichtet. Im | |
„Chunk Feeder“ kommen die Stückchen ins Eis, die Ben & Jerry’s so besond… | |
machen. Der Keksteig, die Schokosplits, Brownies – an diesem Tag kleine, | |
karamellgefüllte Schokobecher. „Triple Caramel Chunk“ rollt vom Band. | |
Karamell mit Karamell. Auf Karamell. | |
Die Deckel fliegen aufs Eis. Wie Pucks schießen sie über ein Laufband auf | |
die abgefüllten Papppackungen. Man möchte auch fliegen, doch eher ins als | |
aufs Eis, vorbei an der unspektakulären Produktion. Endlich probieren. | |
Eis herstellen, auch Ben & Jerry’s, ist nicht so kompliziert, der „Chunk | |
Feeder“ und die „Flavor Vats“, aus denen flüssiges Karamell in die Eisma… | |
strömt, machen das Eis vielleicht besonders, nicht aber die Produktion. | |
Nichts ist zu sehen durch die Glasscheiben, außer der fliegenden Deckel und | |
der schnell verschwindenden Eispackungen. Die Mitarbeiter mit den | |
Hygienehäubchen könnten auch Tütensuppe abfüllen. | |
## Drei Packungen gratis für Mitarbeiter | |
Doch bei Ben & Jerry’s am Band zu stehen hat Vorteile. Drei Packungen Eis | |
gratis – pro Tag. Und das Gefühl, dort zu arbeiten, wo es um mehr als nur | |
eine Kugel Eis geht, wie Mitarbeiter es in einem Film formulieren, wenn sie | |
über die sozialen Projekte ihres Arbeitgebers sprechen. Die es auch nach | |
der Übernahme durch das britisch-niederländische Handelsunternehmen | |
Unilever im Jahr 2000 gibt. Ben & Jerry’s behielt seinen eigenen Vorstand, | |
die Gründer sind weiter beratend tätig, die 1985 gegründete Stiftung wurde | |
dank der Übernahme sehr viel reicher. | |
Im Social & Environmental Assessment Report legt das Unternehmen offen, wie | |
sehr es seinen Leitlinien gerecht wird. Die Zutaten für das Eis sollen | |
möglichst aus der Region kommen, die Milch von Kühen ohne Hormonbehandlung, | |
die Eier von frei laufenden Hühnern. Laut dem letzten Report von 2010 kamen | |
99 Prozent der Eier aus artgerechter Haltung. Das Ziel, komplett auf Fair | |
Trade umzustellen, ist weiter entfernt. Nur 16,4 Prozent des verarbeiteten | |
Zuckers war 2010 fair gehandelt. | |
In Waterbury haben sie die soziale Mission ihrer Firma in großen Lettern im | |
Eingangsbereich stehen. Neben den ökonomischen Zielen und dem | |
Qualitätsversprechen. Das Genussversprechen erfüllt die süße, bunte | |
Ben-&-Jerry’s-Welt in der ehemaligen Testküche. | |
Wo fünf Jahre lang an der Kombination Eis und Keksteig gefeilt wurde, | |
steigt Wasserdampf vom eiskalten „Triple Caramel Chunk“ auf. Es wird süß. | |
Karamell auf Karamell in karamellsüß. Endlich wirklich eintauchen. Viel | |
besser als Tütensuppe. | |
## Von allem etwas zu viel | |
Draußen am Verkaufstand bilden sich nun schnell Schlangen. Es muss etwas | |
gegen diese Süße unternommen werden. Etwas Fruchtiges wird helfen. | |
Gefrorener Himbeerjoghurt. Natürlich mit Schokoladenstückchen. Etwas | |
weniger süß. Und so viel mehr als nur Vanille oder Erdbeere. Einfach von | |
allem etwas zu viel – und deshalb gerade richtig. | |
„Peace, Love & Ice Cream“, es ist, als erwache der Slogan auf dem Hügel zum | |
Leben. Ben & Jerry’s entlässt Besucher aus einer Welt, in der nichts Böses | |
existiert, solange „Cherry Garcia“ oder „Late Night Snack“ gekauft werd… | |
Und nicht Häagen-Dasz. | |
Im Ben-&-Jerry’s-Land Vermont muss man sich darum keine Sorgen machen, hier | |
gibt es keinen einzigen eigenen Laden der Konkurrenz. Und an der Ecke des | |
großen Ben-&-Jerry’s-Geschäfts in Burlington, das die alte Tankstelle | |
ersetzt hat, heißt die Straße Cherry Garcia Street. | |
Doch außerhalb Vermonts liegt Häagen-Dasz gleich neben Ben & Jerry’s am | |
teuren Ende der Eistruhen. Die Konkurrenz der beiden reicht in die | |
Tankstellen-Anfänge zurück, als Häagen-Dasz seine Lieferanten zwingen | |
wollte, nicht beide Eismarken zu vertreiben. | |
## Ben & Jerry’s gegen Häagen-Dasz | |
Die klassische David-gegen-Goliath-Geschichte nahm einen ebensolchen | |
Ausgang, mit einer kreativen Kampagne und einer Klage reagierten Ben & | |
Jerry’s auf Häagen-Dasz. „What’s the doughboy afraid of?“, fragte das | |
Unternehmen damals auf Werbetafeln. Der Teigjunge ist das Maskottchen von | |
Pillsbury, zu denen Häagen-Dasz damals gehörte. Der Teigjunge gab nach, das | |
Kekseis gewann. | |
Heute tragen Nestlé, zu denen Häagen-Dasz mittlerweile gehört, und Unilever | |
den Wettbewerb auf ihre Weise aus: global. Unilever vertreibt seit 2011 | |
Magnum in den USA. Ob Ben & Jerry’s oder Langnese: Hauptsache, Unilever | |
liegt in amerikanischen Eisfächern. | |
Nestlé hat auf dem US-Markt noch Dreyer’s Ice Cream und eine | |
kalorienbewusste Eislinie im Rennen. Doch wer mit einer Kugel „Chocolate | |
Chip Cookie Dough“ in Waterbury über den Geschmacksfriedhof läuft – Birne | |
passt offenbar nicht ins Eis – und sein Gesicht in einem | |
überdimensionierten, peinlichen Ben-&-Jerry’s-Deckel fotografieren lässt, | |
der denkt nicht an Vertriebswege oder anderes Eis. | |
Da genießt man, dankt Ben und Jerry und dreht maximal noch ein bis drei | |
Runden auf den 52 Stufen, um Raum zu schaffen für Schoko-Vanille mit | |
Plätzchenteig. | |
14 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Rieke Havertz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |