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# taz.de -- 17. Internationales Filmfestival in Busan: Leichen im Keller und an…
> Das koreanische Kino macht seinem Ruf alle Ehre: Mit Rachegeschichten,
> Gewaltspiralen, Blut und der Abwesenheit verbaler Kommunikation.
Bild: Tiefe Abgründe und Spiralen von Gewalt: Szene aus „Pluto“ von Shin S…
BUSAN taz | Man muss zu Beginn dieses Festivalberichts mit der Tür ins Haus
fallen und kundtun, dass das koreanische Kino seinem brachialen Ruf auf dem
[1][17. Internationalen Filmfestival in Busan] wieder alle Ehre bereitet
hat. Sobald das Licht im Saal ausging, sah man sich mit Hauen und Stechen,
mit totalem Schweigen oder durchdringendem Schreien als ausschließlichen
Kommunikationsformen konfrontiert.
Drei Beispiele, erlebt an einem einzigen Kinotag: In dem Coming-of-Age-Film
„Your Time is up“ von Kim Sung Hyun maßregelt ein Kammerjäger seinen
jüngeren Bruder mit brutalen Schlägen auf den Hinterkopf. In dem Melodram
„Azooma “ von Lee Ji Seung hinterlässt eine Verfolgungsjagd fürchterliche
Blutspuren in einem friedlichen Wohnviertel. Und gerade wenn sich die junge
alleinerziehende Mutter in Bang Eun Jins Psychothriller „A Pefect Number“
wieder neu verliebt, schlägt der Exmann nicht nur die Tür ihrer Wohnung
ein.
Angesichts einer Gewalt, die sich auf der Leinwand hemmungslos austobt,
fühlt sich die Festivalbesucherin im Kino seltsam alleingelassen und
beginnt sich zu fragen, in welche Gesellschaft sie eigentlich hineingeraten
ist. Was treibt die koreanischen Regisseure in den filmischen Exzess, woran
arbeiten sie sich ab?
Jenseits der Filme präsentiert sich das Land extrem höflich. Auf dem Weg zu
den Festivalkinos, die sich im obersten Stockwerk eines Kaufhauses neben
der Bettenabteilung befinden, wird die Besucherin von den Verkäuferinnen
mit tiefen Verbeugungen willkommen geheißen. Sie verbeugt sich ebenfalls
tief und freut sich, weil es die gymnastische Gegenbewegung zum
stundenlangen Nach-oben-auf -die-Leinwand-Schauen ist.
## Unterwerfung und Demut
Im Kino wiederum bekommt die Geste eine andere Konnotation: zwischen
erschreckender Unterwürfigkeit und Demütigung. Etwa wenn sich eine kleine
Angestellte vor ihrem Boss auf die Knie wirft und ihn anfleht, die
Kündigung zurückzunehmen. Wenn Jugendliche – nicht nur auf der Leinwand –
mit diesem übertrieben tiefen Nicken Eltern, Lehrern und anderen
Autoritätspersonen ihren Respekt zollen, ahnt man, dass es sich hier um die
offensichtliche symbolische Spitze eines rigiden Autoritätsdenkens handelt:
Verbeugung als Beugung des Willens.
Tatsächlich trifft man in keinem einzigen der zahlreichen Coming-of-Age
Filme des koreanischen Filmjahrgangs, der in Busan zu sehen war, auf
rebellierende junge Menschen. In hipper Kleidung und stylischen Frisuren
scheint sich die koreanische Jugend vielmehr einem hemmungslosen
Fortschrittswahn zu ergeben und auf Teufel komm raus Karriere zu machen.
Schon zu Beginn des Films „The Sunshine Boys“ von Kim Tae Gon hat man mit
den halbwüchsigen Helden Sang Won und Seung Jun Mitleid. In ihren gelben
Trenchcoats wirken die beiden wie bestellt und nicht abgeholt. Wer sollte
sie auch abholen?
Eltern, die sich in ihrem Glauben an eine bessere Zukunft übernommen haben
und nun bis über beide Ohren verschuldet in lethargischer
Bewegungslosigkeit verharren? Sang Wan und Seung Jun tauschen private
Neuigkeiten aus, einer der Väter sitzt nach dem Bankrott seiner Firma im
Gefängnis, der andere wird von Schuldeneintreibern heimgesucht. Mit den
beiden Universitätsabsolventen steigt auch eine Angst mit ins Auto, und ein
Roadmovie steuert einer mehr als ungewissen Zukunft entgegen.
Für Min Wook, den Helden aus „Pluto“ von Shin Su Won wiederum, scheint das
Elitecollege schon das Ende vom Anfang zu sein. Er wird gemobbt, weil seine
Mutter alleinerziehend ist, er sich keine Markenklamotten leisten kann,
weil er sich im Unterricht schwertut. Als sein ärgster Feind, ein
verwöhnter junger Mann aus besserem Haus, tot im Wald aufgefunden wird,
findet sich Min Wook in einem Netz aus Lügen und Intrigen wieder.
## Unterirdische Gewölbe
„Pluto“ ist eine gewagte Mischung aus Whodunit-Thriller und Revenge Movie,
die den Zuschauer in die Abgründe einer gnadenlos klassenorientierten
Gesellschaft hineinzieht – und eines Landes, das noch etliche Leichen im
Keller hat. Das unterirdische Gewölbe des Internats spielt in „Pluto“ eine
tragende Rolle: An diesem düsteren Ort wurden während der koreanischen
Militärregierungen bis in die achtziger Jahre Oppositionelle gefoltert.
Hier wird der Film auch sein explosives Ende nehmen, bei dem eine junge
Generation von den Schatten einer unverarbeiteten Vergangenheit eingeholt
wird.
Es liegt nahe, die Rachegeschichten, die das koreanische Kino mit solcher
Vehemenz und einer so zerstörerischen wie selbstzerstörerischen Energie
produziert, auf die nie aufgearbeiteten Verbrechen während der
Militärregierung und der japanischen Besatzung zurückzuführen. Aber was,
wenn sich der Drang nach Vergeltung in einer nicht enden wollenden
Gewaltspirale verselbstständigt hat?
Dieses Gefühl lässt den Film „Fatal“ von Lee Don Ku umso beklemmender
erscheinen. Eine junge Frau, die als Teenagerin von einer Clique Jungs
vergewaltigt wurde, trifft einen ihrer Peiniger auf der Kirchenbank wieder.
Auch wenn sie ihn von seiner Schuld freispricht, fühlt er sich weiter
sündig und macht sich mit einem Hammer auf den Weg, um zum vermeintlichen
Befreiungsschlag auszuholen. Tritt man nach einem solchen Film auf die
Straße, dann springen die vielen neonleuchtenden Kreuze der Kirchen, die
das Stadtbild von Busan prägen, umso mehr ins Auge. Glaubt man dem
koreanischen Kino, dann scheinen sie weder Halt noch Frieden zu bringen.
15 Oct 2012
## LINKS
[1] http://www.biff.kr/intro/default.asp
## AUTOREN
Anke Leweke
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