# taz.de -- Neue TV-Serie „Girls“: Penis ist auch keine Lösung | |
> Die TV-Serie „Girls“ zeigt, dass der Mann kein Tier sein muss, auch wenn | |
> die Frau ihn so nennt. Ein Blick auf die Geschlechter mit vertauschten | |
> Rollen. | |
Bild: Three Girls – three cups. | |
„1.100 Dollar im Monat für die nächsten zwei Jahre“. Hannah (Lena Dunham) | |
hat gerade mit Freunden Opiumtee getrunken und ist dann zu ihren Eltern ins | |
Hotel gefahren – mit einem dünnen Manuskript. Das sollen die jetzt lesen | |
und sie dann bitte schön weiter finanzieren. Ihr Talent sei nun mal | |
wichtiger als das Haus am See, das ihre Mutter nach vierzig Jahren | |
Berufsleben haben will. | |
„Ich glaube, ich bin die Stimme meiner Generation“, erklärt die 25-Jährig… | |
und erst der belustigte Blick ihrer Erzeugerin lässt sie nachsetzen: „Okay, | |
eine Stimme meiner Generation.“ Die Eltern lesen artig und finden, Hannah | |
solle sich einen Job suchen. | |
„Girls“, das sind vier weiße junge Heterofrauen in New York auf ihrem Weg | |
durchs Berufs- und Liebesleben. So weit, so unaufregend. Bemerkenswert wird | |
die HBO-Serie erst wegen ihres schamlosen Plädoyers für den | |
Individualismus. | |
Hannah, die Hauptfigur, ist ästhetisch kein Supergirl und trotzdem ständig | |
nackt zu sehen. Sie ist keineswegs hässlich, sie ist einfach Durchschnitt | |
und trotzdem kein All-American-Girl, denn sie ist nicht blöd. Hannah ist | |
selbstbewusste Mittigkeit. Oft tollpatschig, meist charmant und immer | |
egozentrisch. | |
Als Zuschauerin wundert man sich gelegentlich über die Geduld ihres Freunds | |
Adam (Adam Driver), von ihrer besten Freundin nur das „Tier“ genannt. Auch | |
vor Hannah, die ihn nicht verteidigt. Denn auch sie ist nicht sicher, ob | |
sie mit diesem irgendwie unmännlichen Mann mit dem gleichwohl sehr männlich | |
durchtrainierten Körper klarkommt. Vielleicht will sie ja doch lieber einen | |
Vorzeigetypen haben, wer weiß. | |
Adam selbst kümmert sich nicht darum, auf ordentliche Weise männlich zu | |
sein. Er hat sich entschieden, vor allem für sich. Später in der Serie dann | |
auch für die Beziehung mit Hannah. Ordnungsgemäße Männlichkeit, was war das | |
noch mal? | |
Der Soziologe Pierre Bourdieu definiert sie grob gesagt so: Um den Status | |
des weißen Heteromannes als überlegene Norm abzusichern, müssen alle | |
anderen Subjekte, also Frauen, Homosexuelle, Nichtweiße permanent als | |
defizitär dargestellt werden. Das hat eine jahrtausendealte Tradition und | |
funktioniert bis heute. Entsprechend assoziiert das Kollektiv hart, | |
trocken, aufrecht intuitiv mit dem Phallus und bewertet es positiv. Weich, | |
klebrig, horizontal indessen werden mit Weiblichkeit verbunden und rufen | |
negative Assoziationen hervor. | |
Adam – der Name ist Programm, klar – hat sich als Prototyp eines neuen | |
Mannes von diesem Ordnungssystem emanzipiert, ihn interessieren solche | |
Hierarchien nicht. Ihn interessiert, mit wem er seine Welt teilen kann, in | |
der Kunst und Sex das Wichtigste sind. Finanziert wird das Adam-Universum | |
übrigens von der Großmutter. Geld von Frauen zu nehmen bedeutet für ihn | |
keine symbolische Kastrierung. | |
Wie Hannah hält Adam Erwerbsarbeit für Zeitverschwendung. Genauso wie sie | |
will er niemandem etwas Böses, ist maximal tolerant. Die einzige Forderung, | |
die beide stellen: Lasst uns in Ruhe spielen, wir tun euch auch nichts! Und | |
genau das ist die Provokation. Leistungsstress: abgelehnt. Geld als | |
Statussymbol: abgelehnt. Scham: abgelehnt, Geschlechterklischees: | |
abgelehnt. Aber nie auf aggressive Weise, es geht hier nicht ums Rechthaben | |
und um ein politisches Programm schon gar nicht. Hannah und Adam sind nicht | |
links, sie wollen nur ihr Zeug machen, vielleicht ist es ja Kunst. | |
Wie bei vielen neuen Freundschaftsserien, also der Familiengeschichten mit | |
postfamiliärem Personal – „Broke Girls“, „Big-Bing-Bang“, „New Gir… | |
alle kreative Energie in das Spiel mit Männer- und Frauenbildern gesteckt. | |
Was sonst noch in der Welt passiert – egal. | |
Die international erfolgreichen Serien lieben die nationale Nabelschau: | |
Ausland gibt es nicht, also wird auch nicht gereist. Sondern geredet, | |
gestritten, gevögelt und kreativ gearbeitet. Voilà – die junge | |
Mittelschicht. Das Multitalent Lena Dunham ist sicher nicht die Stimme | |
ihrer Generation, aber auf jeden Fall eine ihres Milieus. INES KAPPERT | |
Die ideale Frau ist rau in den neuen amerikanischen Serien. In den | |
neunziger und nuller Jahren waren die weiblichen Charaktere bereits | |
durchaus dominant, doch bei weitem waren ihre Figuren nicht so elaboriert | |
wie heute. | |
Die Serie „Girls“ des amerikanischen Pay-TV-Senders HBO handelt von vier | |
Frauen, die alle Mitte zwanzig sind. Erinnert an „Sex And The City“? Ja und | |
Nein. Die Darstellung dieser Figuren ist nah dran an einer realen Welt. Die | |
„Girls“ sind im Gegensatz zu den „Sex And The City“-Damen nicht immer | |
liebenswürdig. Sie dürfen Fehler machen, müssen nicht permanent | |
Möglichkeiten zur Identifikation bieten. | |
Lena Dunham spielt Hannah. Sie hat seit zwei Jahren einen Uniabschluss, | |
lebt in New York und ist seit einem Jahr Praktikantin. Hannah will | |
schreiben, ein Buch. „Girls“ steht und fällt mit seiner Hauptdarstellerin. | |
Dunham ist Schauspielerin, Drehbuchautorin, Regisseurin und hat gerade | |
einen Buchvertrag über 3,5 Millionen Dollar abgeschlossen. Lena Dunham ist | |
eine der Frauen, die es leid sind, im Fernsehen immer als nett-verschrobene | |
Frauen auf Männersuche dargestellt zu werden. | |
Denn so war es bisher: Serienfiguren wie Ally McBeal, Dr. Grey, Carrie | |
Bradshaw lebten in ihrer eigenen Walt-Disney-Fantasie. Wartend auf den | |
Prinzen, der mit weißem Schimmel die Prinzessin abholt. Ihr Glück hängt von | |
den Männern ab, und das, obwohl sie alle vorzeigbare Karrieren haben und | |
emanzipierte Frauen sein wollen. In Dunhams Serie ist das anders: Der Fokus | |
liegt nicht auf den Männern – und das, obwohl Beziehungen Thema sind. | |
Die egozentrische Hannah ist, wenn man das so sagen will, mit einem | |
narzisstischen angehenden Schauspieler zusammen. Er behandelt sie wie | |
Dreck. Als Hannah ihren Job verliert und zu ihm geht, will er sie ficken | |
(und das Wort ist hier bewusst gewählt) – so wie er es aus den Pornos | |
kennt. Ihr scheint das nur bedingt zu gefallen und doch lässt sie ihn mit | |
passiver Egalhaltung gewähren. Die Darstellung dieser Sexszenen ist | |
unangenehm, hinterlässt einen ratlos. Warum tut sie das? | |
Einfache Antworten gibt es nur im Märchen, und das Märchen ist definitiv | |
vorbei. Auserzählt. Die Heldin in „Sex And The City“, eine Kolumnistin in | |
New York, hatte vermeintlich nie Geld, schaffte es aber trotzdem, 500 Euro | |
für Schuhe auszugeben. „Sex And The City“ war eine Traumwelt voller | |
Glitzer, Glamour und Cocktails. In einer Stadt, die alle Möglichkeiten | |
bietet. | |
Diese Blase ist geplatzt – auch im amerikanischen Fernsehen. Zwar sind auch | |
die vier „Girls“-Frauen verwöhnt. Aber als Hannahs Eltern ihr das Geld | |
streichen, ist sie am Ende. Nach der Krise gibt es halt nicht für alle | |
Menschen Arbeit – auch nicht in New York, einer Stadt, in der jeder mit | |
einem Computer sich für kreativ hält. Hannah ist keine Heldin, sie sucht | |
vor allem sich selbst. Sie stellt die großen Fragen: Wer bin ich? Was will | |
ich? Wer möchte ich sein? Auf ihrer Suche nach sich selbst sind ihre | |
Handlungen sind nicht immer nachvollziehbar, in manchen Situationen kommt | |
sie recht unsympathisch daher. Das ist erfrischend und anders. Doch vor | |
allem hängt ihr Glück nicht von einem Gegenüber ab. Sie muss die Antworten | |
auf ihre Fragen selbst finden und ein Penis wird nicht die Lösung all ihrer | |
Probleme sein. | |
Die Serie und deren Erfinderin Lena Dunham macht Männern Angst. Die | |
26-Jährige hat keine Modelmaße, macht den Mund auf und ist dabei auch noch | |
komisch – sie kann Ironie, sie beherrscht Satire. Vor allem schämt sich | |
Dunham aber nicht, ihren Körper auf krude Weise einzusetzen und zum Thema | |
zu machen. Als Hannahs Lover sie nach ihren Tätowierungen fragt, antwortet | |
sie sinngemäß: Sie habe in der High School viel Gewicht zugelegt. Die | |
Kontrolle verloren. Und durch die Tattoos habe sie versucht, diese | |
Kontrolle über ihren eigenen Körper zurückzugewinnen. Und genau darum geht | |
es: um Kontrolle, die hier allein den Frauen gehört. ENRICO IPPOLITO | |
Immer Mitwochs, 21.10 Uhr auf Glitz | |
17 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
I. Kappert | |
E. Ippolito | |
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