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# taz.de -- Die Wahrheit: Abbruch der Sommerzeit
> Der Sonntag, an dem die Uhr zurückgedreht wird, eignet sich blendend
> dafür, mehrere Brot- und Butterarbeiten abzuschließen.
Der Sonntag, an dem die Uhr zurückgedreht wird, eignet sich blendend dafür,
mehrere Brot- und Butterarbeiten abzuschließen. Erst verkroch ich mich in
die Reimwerkstatt. Abfällig sagen manche, dieser Ort befände sich
unweigerlich in einem Schneckenhäuschen am Fuße des Elfenbeinturms. Wenn
überhaupt, dann episodisch! Und gelingt’s, schwingt man sich hernach in die
Lüfte, oder? Doch lassen wir die Freunde der Realität in ihrer
Taubblindheit mählich verdorren.
Binnen Sekunden jedenfalls überführte ich ein Goethe-Gedicht ins 21.
Jahrhundert, verwandelte die Verse zu „Selige Sehnsucht“ in eine „Selige
Sinnsucht“, aber hallo. Um die filigrane Variante der ersten vier Strophen
auszuplaudern, mangelt es hier an Raum, ich begnüge mich mit der letzten
Strophe.
Im Original heißt es: „Und so lang du das nicht hast / dieses Stirb und
Werde / bist du nur ein trüber Gast / auf der dunklen Erde“. Mit minimalem
Aufwand klamüserte ich daraus: „Das gewöhne dir mal ab / Dieses Stirb und
Werde / Bleib fidel und nicht zu knapp / auf der bizarren Erde“. Okay,
daran war womöglich irgendwann zu feilen, im Grunde aber geritzt.
Danach wendete ich mich den Gender Studies zu, genauer gesagt einem
Forschungsprojekt, mit dem ein Institut für interdisziplinäre
Geschlechterforschung mich betraut hatte. Die Verantwortlichen wussten
intuitiv, warum. Sie rangen mit der oder um die Plattitüde, dass Männer
weniger ihre Gefühle äußern als Frauen; dass jene herumdrucksen und
verstummen, um nicht – wie es in dem Jargon heißt – über Liebes- oder
Partnerschaftsbeziehungen zu sprechen usf. Bla, bla, blumm.
Kraftvoll entkräftete ich die Phrase, indem ich einen Hit von Daliah Lavi
in Erinnerung rief, dessen Text von Miriam Frances stammt, ein feminines
Duo mithin: „Meine Art Liebe zu zeigen / das ist ganz einfach Schweigen. /
Worte zerstören / wo sie nicht hingehören.“ Manche Lieder sagen halt mehr
als tausend akademische Schriften. Und die Therapie-Industrie würde mein
Befund ebenso schwächen.
Weit mehr war aus dem Song zu fischen. Es klang nicht nur der Abbruch der
Sommerzeit an, was privat von Belang war. Sondern der Text ließ sich
synergetisch effektiv mit dem Goethe-Gedicht verknüpfen, mit dessen Titel
zumindest: „Spürst du wie die Zeit entflieht / wie die Sehnsucht Kreise
zieht? / Lösch noch ein paar Lichter aus / über unserm Haus“. Eine weitere
Doppelzeile bestätigte meine These und harmonierte mit der Zeitumstellung
ein zweites Mal: „Nimm den Schatten von der Wand / schweig mir leise aus
der Hand / lass die Zeiger stille stehn / und du wirst schon sehn.“
Interessant obendrein für die Geschlechterforschung, zugleich von
unterschwelliger mentalitätsgeschichtlicher Relevanz stellte sich heraus,
dass das Original den Titel trägt „Soldiers Who Want To Be Heroes“ und
daran anschließt „ … number practically zero“. Da haben wir das nächste
Männerbild, das entschwindet. Ha!
Kurzum: Worte übers Schweigen ziehen Kreise, zerstören Klischees und
löschen trübe Lichter aus. Wirst schon sehen.
7 Nov 2012
## AUTOREN
Dietrich zur Nedden
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