# taz.de -- Die Wahrheit: Das Dickland-Dilemma | |
> Im Jahr des Drachen: Jedes Mal, wenn ich in Deutschland bin, werde ich | |
> von Freunden gelöchert: Wie hältst du es nur schon so lange in China aus? | |
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Jedes Mal, wenn ich in Deutschland bin, werde ich von Freunden gelöchert: | |
Wie hältst du es nur schon so lange in China aus? Und willst du nicht bald | |
mal wieder zurück nach Hause? Ich erkläre dann meistens, dass es in Peking | |
auch nicht so wahnsinnig viel anders aussieht als in Berlin. Und dass es | |
deshalb zwar einerseits kein großes Problem ist, hier zu leben, ich aber | |
andererseits auch nicht ausschließen will, irgendwann einmal nach | |
Deutschland zurückzukehren. Diese Auskunft allerdings ist nicht ganz | |
korrekt. Der erste Punkt stimmt. Punkt zwei aber ist glatt gelogen. | |
Ich kann nämlich gar nicht mehr in Deutschland leben, jedenfalls nicht für | |
immer, und das hat folgenden Grund: Kaum bin ich in Berlin aus dem Flugzeug | |
gestiegen, stürze ich mich auf alle deutsche Nahrungsmittel, die man in | |
Peking nicht bekommt. | |
In den einschlägigen Pekinger Ausländersupermärkten gibt es zwar durchaus | |
Wurst, Schinken, Käse, Brot und Dr. Oetker-Tiefkühlpizza. Doch es fehlen | |
die ganzen Köstlichkeiten, die einem in den deutschen | |
Lebensmittelparadiesen Lidl, Penny oder Netto für praktisch gar kein Geld | |
nachgeschmissen werden: Eismeergarnelen mit Marc de Champagne (Brennwert | |
100g: 778 kJ / 187 kcal, 8,8 g Kohlenhydrate, 13,9 g Fett, 7,3 g Zucker), | |
Teewurst Rügenwalder Art fein (100g: 374 kcal / 35 g Fett) oder Gouda extra | |
alt mit natürlichen Salzkristallen (48% Fett in Tr.). | |
Dazu locken die Mittagsmenüs an den Schlachtertheken der Einkaufszentren, | |
zum lachhaften Preis um die 5 Euro: Jägerschnitzel à la Honecker, Leberkäse | |
mit Wurstebrei, Matjesfilets auf Speckbratkartoffeln, Presskopfsülze, | |
Fleischsalat, Kartoffelbrei mit Würstchen. Und an jeder zweiten Ecke steht | |
ein Imbiss mit einem reichhaltigen Currywurstangebot (mit und ohne Darm), | |
Pommes rot-weiß oder Dönertellern, so groß wie Kinderwasserköpfe. Okay. Wer | |
täglich diese Delikatessen vor Augen hat, wird vielleicht auch einmal an | |
ihnen vorbeigehen können. Kommt man aber aus Peking, heißt es: Alles muss | |
rein! | |
Und danach noch schnell zum Bäcker, und Prasselkuchen, Zuckerschnecken, | |
Persipanbomben, Bienenstich, Rumkugeln, Eierschecken und Mohnstücke | |
draufgeschaufelt, und, weil ja schon Oktober ist, auch noch frischen | |
Christstollen und saftige Printen. | |
Nach zwei Monaten in Dickland hatte ich jedenfalls fünf Kilo zugenommen. | |
Hochgerechnet aufs Jahr ergibt das dreißig Kilo. Ab einem solchen Wert wird | |
Übergewicht langsam gefährlich. Genau das ist der Grund, weshalb ich immer | |
wieder nach China zurückkehren muss. Chinesisches Essen schmeckt zwar auch | |
sehr gut und hat nicht mal wenig Kalorien. Doch man wird seltsamer Weise | |
nicht fett, sondern eher schlanker. | |
In Peking zu wohnen, ist also für mich letztlich eine Frage des Überlebens. | |
Und ich schätze, auch andere könnten von einem Umzug nach China | |
profitieren. Wenn Dirk Bach zum Beispiel nur drei Monate im Jahr | |
hierzulande … nein, das ist jetzt zu pietätlos. Diesen Gedanken bitte auf | |
keinen Fall zu Ende denken! Aufhören! Sofort! | |
8 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Y. Schmidt | |
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