| # taz.de -- Kurzfilm-Festival in Berlin: 13 Minuten im Kopf des Zuschauers | |
| > Das Interfilm-Festival gehört zu den wichtigsten europäischen Festivals | |
| > und zeigt 500 Kurzfilme in fünf Tagen. Unser Autor hat einige von ihnen | |
| > vorab gesichtet. | |
| Bild: Film ab! | |
| Es gibt viele Filmfestivals in Berlin, die sich oft auch thematisch | |
| überschneiden. Das ist nicht zu vermeiden. Die Mutter der Filmfestivals ist | |
| die Berlinale, die alles umfasst. Das Kurzfilmprogramm auf der Berlinale | |
| ist exquisit, wird aber oft von den anderen Programmen überdeckt. Was | |
| schade ist. | |
| Zum Glück gibt es ja das Interfilm-Festival. 1982 in Kreuzberg noch als | |
| Super-8-Filmfest gegründet, entwickelte sich das Internationale Kurzfilm | |
| Festival Berlin zu einem der wichtigsten Festivals in Europa und ist mit | |
| etwa 16.000 Besuchern jedes Jahr das zweitgrößte internationale | |
| Filmfestival nach der Berlinale. | |
| In fünf Tagen gibt es 500 Filme in 58 Programmen zu sehen. Sieben | |
| Wettbewerbe finden in sieben Kinos statt. Es gibt einen Wettbewerb mit | |
| Dokumentarfilmen, einen deutschen Wettbewerb und auch eine „lange Nacht des | |
| abwegigen Films“, die mit 25 Kurzfilmen in 110 Minuten aber eher kurz | |
| scheint. | |
| An den Filmhochschulen dieser Welt werden ständig Kurzfilme gemacht, die | |
| nur selten den Weg ins Kino finden und im Fernsehen auch nicht oft | |
| vertreten sind, oder dann oft auch nur solche, die vielleicht zu teuer | |
| produziert sind, jedenfalls häufig irgendwie wie lackiert aussehen. Diese | |
| Filme gibt es vor allem auf Festivals zu sehen und sehen dort ja auch am | |
| besten aus. | |
| Man hat den Eindruck, bei manchen Kurzfilmen handle es sich um Langfilme, | |
| denen plötzlich das Geld ausgegangen ist. Manchmal allerdings evozieren sie | |
| auch in 13 Minuten einen Langfilm, der nicht mehr gedreht werden muss, weil | |
| er im Kopf des Zuschauers entsteht, wie etwa bei dem schönen kanadischen | |
| Horrorfilm „We ate the children last“ von Andrew Cividino, dessen Szenario | |
| ein bisschen an die amerikanische Zombie-Serie „The Walking Dead“ erinnert. | |
| Ein Patient ist unheilbar an Magenkrebs erkrankt. Der Magen wird ihm | |
| ausgebaut, ein Schweinemagen eingebaut. Alles klappt super, immer mehr | |
| Leute lassen sich so operieren, entwickeln fortan allerdings die schlechte | |
| Angewohnheit, Müll zu essen. Die „echten“ Menschen machen gegen die | |
| „Schweinemenschen“ mobil und so weiter. Schnell wird man in die Geschichte | |
| hineingezogen, ist dann doch etwas enttäuscht, dass der Film nach 13 | |
| Minuten schon wieder vorbei ist und überlegt, ob man den Film mit | |
| billigerem Equipment nicht auch lang hätte machen können. | |
| Der 15-minütige Film „Sechster Sinn, drittes Auge, zweites Gesicht“ von Jan | |
| Riesenbeck, eine philosophische Abhandlung über Wirklichkeit, Wahrnehmung | |
| und Identität sozusagen, in dem die fragmentierte Welt in schnellen | |
| Schnitten und mit viel Text kannibalisiert wird, ist virtuos, anregend, | |
| überfordert den Zuschauer aber auch irgendwie, zumindest, wenn man direkt | |
| danach noch einen Film sehen würde. Und beim versöhnlichen Ende hat man das | |
| komische Gefühl, der Filmer hätte es dann doch nicht so ganz ernst gemeint. | |
| Seit seinem thematisch ähnlichen Film „Kopfgeburten“ ist Riesenbeck ein | |
| Kurzfilmstar. „Sechster Sinn …“ ist der Kurzfilm mit den meisten Gedanken | |
| per Minute, den ich kenne und ganz erstaunlich. | |
| Fast schon zu perfekt in allem – Zeitökonomie, Spannungsbögen, Ausstattung, | |
| Schnitt, Kamera, Schauspieler – ist der isländische Film „2 Birds“ von | |
| Runar Runarsson. Ein vielleicht 16-jähriger Teenager ist in ein | |
| gleichaltriges Mädchen verliebt. Beide landen auf einer Drogenparty älterer | |
| Jugendlicher, nehmen Ketamin und husch, ist die Unschuld dahin. Man | |
| schwankt ein bisschen; einerseits nimmt einen der Film tatsächlich mit, | |
| andererseits wirkt er ein bisschen pädagogisch, wie die lustige | |
| Anti-Alkohol-Werbung mit dem jungen Mädchen, das nachher alle Hüllen fallen | |
| lässt und dem Jungen, der ihre Nacktfotos dann ins Netz stellt. | |
| Schon bei den über 5.000 Einsendungen hätte sich eine „erotikintensive | |
| Tendenz“ gezeigt, so die Festivalmacher. Auf die diesbezüglichen Programme | |
| bin ich gespannt. Sehr gut gefällt mir dabei zum Beispiel der tschechische | |
| Animationsfilm „Tram“, ein phallophiles Minidramolett sozusagen, das in | |
| sieben Minuten von einer erotisierten Straßenbahnschaffnerin erzählt. | |
| Überhaupt gefallen mir die diesjährigen Animationsfilme des Festivals recht | |
| gut. | |
| Das „Berlin Beats“ überschriebene Programm ist durchwachsen. Manche Filme | |
| wirken eher wie Fingerübungen, andere wie architekturpolitische | |
| Interventionen, andere sind kleine berührende Dokus. Über zwei ältere, | |
| meist nackte Männer etwa, die in einer SM-Beziehung leben („Zucht und | |
| Ordnung“ von Jan Soldat) oder über eine ehemals heroinsüchtige Frau, die in | |
| der U-Bahn den Straßenfeger verkauft. Richtig supertoll und mit einem | |
| schönen Humor zwischen Jan Peters und Schlingensief ist „Volkspark“ von | |
| Andreas Neckritz und Kuesti Fraun, der von einem freigestellten Mitarbeiter | |
| einer großen, bekannten Unternehmensberatungsfirma erzählt, der versucht, | |
| einen Volkspark (der aussieht, wie die Hasenheide) für sich zu | |
| kapitalisieren. | |
| ## ■ Interfilm-Festival, bis 18. 11., Programm: | |
| Dieser Text ist der neuen Ausgabe des taz.plans entnommen, die am | |
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| 14 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Detlef Kuhlbrodt | |
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