# taz.de -- Neue Synagoge in Elmshorn: Rückkehr auf Zeit | |
> Die jüdische Gemeinde in Elmshorn hat neue Räume für ihre Synagoge | |
> gefunden. Und zwar genau dort, wo bis zum Holocaust das jüdische Leben zu | |
> Hause war. | |
Bild: Davidsterne im Erker: Einweihung der neuen Synagoge der jüdischen Gemein… | |
ELMSHORN taz | Die Kriterien für die neue Synagoge waren nicht leicht zu | |
erfüllen: In der Innenstadt von Elmshorn sollten die Räume liegen, sie | |
sollten bezahlbar sein und bitte keine große Fensterfront haben – aus | |
Sicherheitsgründen. Alisa Fuhlbrügge, die Vorsitzende der jüdischen | |
Gemeinde in Elmshorn, hat sich rund 25 Immobilien angeschaut, um ein neues | |
Zuhause für die Synagoge zu finden – einen Ersatz für Räume im Hinterhof, | |
deren Mietvertrag gerade ausgelaufen ist. Lange war die Suche ernüchternd – | |
doch dann gab es ein Happy End. | |
In einem Anzeigenblatt entdeckte Fuhlbrügge eine Annonce für eine Wohnung | |
im Flamweg, zehn Fußminuten vom Bahnhof entfernt, weniger als fünf Minuten | |
von der Fußgängerzone. Und auch der historische Bezug fehlte nicht: Im | |
Flamweg stand bis zur Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 | |
die alte Synagoge. | |
Bei der Besichtigung entdeckte Fuhlbrügge dann noch eine Besonderheit in | |
der Fünfzimmerwohnung: Im teilbaren Hauptraum – früher mal so etwas wie ein | |
Wohnzimmer – ist ein nach Jerusalem ausgerichteter Erker, der mit Glas und | |
Holz verkleidet ist. In die Paneele sind Davidsterne geschnitzt. Es war | |
klar: Diese Wohnung ist wie gemacht für jüdisches Leben und Fuhlbrügge war | |
sich sicher: „Das ist ein Glücksfall.“ Sie überzeugte auch den Vorstand d… | |
Jüdischen Gemeinde Schleswig-Holstein von einem Umzug. Stadt und Sponsoren | |
halfen finanziell, Gemeindemitglieder renovierten die Räume. Und Fuhlbrügge | |
hat alle Hinweise auf die vorherigen Nutzer der Wohnung in einer roten | |
Mappe gesammelt: Hier lebten im Laufe der Jahre tatsächlich überwiegend | |
Juden. | |
Seit Herbst ist in der Wohnung die neue Synagoge von Elmshorn | |
untergebracht, aus dem Wohnzimmer ist ein Betsaal geworden. In ihm stehen | |
neue Bänke, im Erker steht der Tora-Schrank. Es gibt auch einen Raum für | |
jüdische Feste und ein Büro. Für die kleine Gemeinde ist die neue Bleibe | |
ein großer Sprung: Die vorherigen Räume waren in einem Hinterhof, es gab | |
nicht viel mehr als einen Gebetsraum und sie lagen in einer Gegend ohne | |
Bezug zum vergangenen jüdischen Leben in Elmshorn. | |
Fuhlbrügge nennt die neue Nachbarschaft „das Grindelviertel“ von Elmshorn. | |
Es ist der Stadtteil, in dem sich seit dem 17. Jahrhundert bis zum | |
Holocaust das jüdische Leben von Elmshorn abspielte. „Seitdem sich Juden in | |
Elmshorn 1685 niederlassen durften, wohnten sie hier“, sagt auch Harald | |
Kirschninck, der sich mit der Geschichte des jüdischen Lebens in Elmshorn | |
beschäftigt hat. Diese Prägung des Viertels entstand aber nicht ganz | |
freiwillig. „Damals wollte man die Juden nicht überall in der Stadt haben“, | |
sagt Kirschninck. Der damals über Elmshorn herrschende Detlev Graf von | |
Rantzau habe entschieden, wo die Juden leben sollten: im Flamweg und in der | |
Marktstraße. | |
Anfang des 19. Jahrhunderts lebten laut Kirschnincks Recherchen mehr Juden | |
als Katholiken in der Stadt, etwa 200 Menschen waren jüdischen Glaubens – | |
damals war das etwas weniger als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung. Als die | |
Juden 1863 die Niederlassungsfreiheit in Holstein erhielten, zogen etliche | |
in andere Städte, die Gemeinde in Elmshorn wurde immer kleiner. Vor 1933 | |
lebten noch 80 Juden in der Stadt, zehn Jahre Nazi-Herrschaft später | |
meldete die Stadt, dass sie „judenfrei“ sei. Im Flamweg gab es früher eine | |
Lederfabrik, heute ist in der Nachbarschaft zur Synagoge ein Café mit | |
Paketservice. Dort, wo die alte Synagoge bis 1938 stand, erinnern Stelen an | |
die Judenverfolgung. | |
“Im Jahr 2003 haben wir mit der Wiedergründung der Gemeinde versucht, die | |
Scherben aufzusammeln, die mit dem Holocaust zerbrochen sind“, sagt | |
Fuhlbrügge bei der Eröffnung der neuen Synagoge. „Mit dem neuen | |
Gemeindezentrum ist es uns fast gelungen, aus den Scherben wieder ein Glas | |
zusammenzusetzen.“ Fuhlbrügge kümmert sich um die Gemeinde in Elmshorn, um | |
ungefähr 70 Menschen, etwa 50 sind als offizielle Gemeindemitglieder | |
registriert. | |
Es gibt in Schleswig-Holstein acht jüdische Gemeinden, die in Elmshorn ist | |
die zweitkleinste. Insgesamt waren laut der Mitgliederstatistik der | |
Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland rund 2.000 Menschen in | |
Schleswig-Holstein Mitglied einer jüdischen Gemeinde, bundesweit sind es | |
mehr als 100.000. Die Gemeinden in Schleswig-Holstein gehören zu zwei | |
Dachverbänden: Zum Landesverband der Jüdischen Gemeinden von | |
Schleswig-Holstein gehören die eher liberalen Gemeinden wie die in | |
Elmshorn, zur Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein die orthodoxen. | |
Beide Verbände haben seit 2005 einen Staatsvertrag mit dem Land | |
Schleswig-Holstein. Und beide Verbände haben einen Landesrabbiner | |
engagiert, der die Mitgliedsgemeinden betreut. Zuvor hat sich ein Hamburger | |
Verband um die Gemeinden in Schleswig-Holstein gekümmert. | |
Die Gemeinde in Elmshorn besteht wie viele Gemeinden im Land zu 80 bis 90 | |
Prozent aus Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion. Die zu integrieren | |
sei eine große Herausforderung, sagt Walter Blender, Vorsitzender des | |
Landesverbands der Jüdischen Gemeinden. Er ist davon überzeugt, dass das in | |
Elmshorn gut funktioniert. „Das ist hier richtig schön durchmischt“, sagt | |
er. Zuwanderer seien überall vertreten, auch im Vorstand. | |
Doch wie geht es weiter mit der jüdischen Gemeinde, nachdem ihr Zentrum | |
wieder im Traditionsviertel liegt, im Herzen des jüdischen Lebens vor dem | |
Holocaust? Diese Rückkehr ist womöglich eine Rückkehr auf Zeit. Denn alle | |
jüdischen Gemeinden stünden vor der Herausforderung, junge Mitglieder zu | |
gewinnen und in der Gemeinde halten, sagt Blender. In Elmshorn gibt es | |
keine Jugendgruppe. „Die Mitglieder in Elmshorn sind überwiegend ältere | |
Menschen“, sagt Blender. Die Räume der jüdischen Gemeinde in Elmshorn sind | |
gemietet. In Bad Segeberg gibt es eine Jugendgruppe, hier wurde vor fünf | |
Jahren eine neue Synagoge gebaut. | |
3 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Daniel Kummetz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |