# taz.de -- Südafrikanischer Krimiautor Meyer: „Benny kämpft gegen Dämonen… | |
> Ins Herz geschlossen hat der südafrikanische Krimiautor Deon Meyer seinen | |
> Cop Benny Griessel. Ein Gespräch über Mehrsprachigkeit, Machotum und | |
> Patriotismus. | |
Bild: Deon Meyers neuer Roman „Sieben Tage“ erschien im Herbst. | |
taz: Herr Meyer, Sie schreiben, im Gegensatz zu den meisten Ihrer | |
südafrikanischen Krimikollegen, auf Afrikaans. Ich konnte, was diese | |
Sprache betrifft, eine persönliche Bildungslücke füllen, als ich in den | |
Anmerkungen zu Ihrem neuen Roman las, dass Afrikaans die Muttersprache auch | |
vieler schwarzer Südafrikaner ist. Wie kommt das? Das Afrikaans ist ja dem | |
Holländisch der weißen Siedler sehr nah. | |
Deon Meyer: Ursprünglich war Afrikaans eine Sprache der Schwarzen. Als die | |
Holländer Südafrika kolonisierten, importierten sie viele Sklaven aus | |
anderen Ländern, Malaysia zum Beispiel. Diese Sklaven begannen eine | |
Pidgin-Version des Holländischen zu sprechen, „Küchen-Holländisch“ genan… | |
aus der sich das Afrikaans entwickelte. Heute ist es nach Zulu die am | |
zweithäufigsten gesprochene Sprache in Südafrika. Es ist Muttersprache für | |
Schwarze und Weiße; vielleicht überwiegen die weißen Sprecher etwas. | |
Wenn man Ihre Romane auf Deutsch liest, wird man manchmal darauf | |
hingewiesen, in welcher Sprache ein Gespräch stattfindet. Dass zum Beispiel | |
Ihre Hauptfigur Benny Griessel in einem Dialog Afrikaans spricht, sein | |
Gesprächspartner aber Englisch. Wie sieht das im Original aus? Schreiben | |
Sie mehrsprachig? | |
Ja. Ich habe diese Entscheidung vor etlichen Jahren getroffen. Alles ins | |
Afrikaans zu übersetzen fühlte sich einfach nicht richtig an. Die meisten | |
südafrikanischen Leser lesen sowohl Englisch als auch Afrikaans, viele | |
können außerdem noch Xhosa oder Zulu. Ich habe mich daher entschieden, die | |
Dialoge so wiederzugeben, wie sie auch in Wirklichkeit stattfinden würden. | |
Was dann passiert, wenn ein Roman übersetzt wird, ist natürlich eine ganz | |
andere Sache. | |
Sind Dialoge in Xhosa oder Zulu allgemein verständlich? | |
Ich verwende ausschließlich gängiges Vokabular. Zulu und Xhosa sind nah | |
verwandte Sprachen. Und eine ganze Reihe von Zulu- und Xhosa-Wörtern sind | |
Teil der südafrikanischen Sprache. | |
„Die südafrikanische Sprache“, was ist das denn? | |
Oh, das ist sehr schwer zu erklären, denn es gibt sie natürlich nicht | |
wirklich. Aber dann wieder doch. Es ist eine Sprache, die aus den Townships | |
kommt, die ja sehr multikulturell sind. Über die letzten fünfzig, sechzig | |
Jahre hat sich eine Townshipsprache entwickelt, die praktisch alle Sprachen | |
enthält, die dort gesprochen werden, einschließlich Afrikaans und Englisch. | |
Und manche Ausdrücke dieser Sprache sind Teil einer südafrikanischen | |
Umgangssprache geworden. Wenn ich also Zulu oder Xhosa in Dialoge | |
einfließen lasse, benutze ich Wörter, die aus dieser Umgangssprache | |
allgemein bekannt sind. | |
Eine andere Sache, die für europäische Leser schwer nachzuvollziehen ist, | |
ist es, sich vorzustellen, ob eine Person weiß, schwarz, farbig oder | |
irgendetwas in der Mitte ist. Ich nehme an, südafrikanische Leser | |
identifizieren das häufig anhand der Sprache? | |
Ja, sehr oft auch anhand der verschiedenen Afrikaans-Dialekte. Die Farbigen | |
in Kapstadt sprechen eine wunderschöne, phonetisch deutlich unterschiedene | |
Dialektvariante des Afrikaans; das versuche ich wiederzugeben, wenn ich | |
einen Charakter habe, der diesen Dialekt spricht. Ich finde aber eigentlich | |
nicht, dass es für Ausländer wichtig ist, zu wissen, welche Hautfarbe eine | |
Person hat. | |
Benny Griessel, die Hauptfigur Ihrer Kriminalromane, stellt man sich vor | |
wie einen Typ, der uns aus vielen europäischen Polizeiromanen bekannt ist. | |
Die Kriminalliteratur ist ja voll von männlichen Ermittlern mit einem | |
Alkoholproblem. Jetzt hat Benny ein neues Leben in Nüchternheit angefangen. | |
Warum machen Sie das mit ihm? | |
Als ich Benny erfand, hatte ich nie die Absicht, ihn zur Hauptfigur zu | |
machen. Er war ursprünglich eine eher komische Nebenfigur. Aber während ich | |
schrieb, erwachte er regelrecht zum Leben. Es war eine Freude, mit ihm zu | |
arbeiten, und am Ende hatte ich ihn richtig ins Herz geschlossen. Aber da | |
hatte ich ihn schon als typisches Klischee erfunden: als den betrunkenen | |
Cop. Also musste ich, als ich ihn zum Protagonisten in „Der Atem des | |
Jägers“ machte, etwas anderes versuchen. Ich habe ihn gezwungen, mit dem | |
Trinken aufzuhören, falls er seine Frau behalten wollte. Eigentlich habe | |
ich ja gar kein grundsätzliches Problem mit dem Klischee des trinkenden | |
Polizisten. Aber einer meiner Grundsätze lautet: Conflict is the mother of | |
suspense. Das gilt natürlich auch für das Innenleben der Charaktere. | |
Ist Benny eigentlich ein Macho? | |
Nein. Benny hat gar nicht die Energie, Macho zu sein. Dafür kämpft er schon | |
gegen zu viele Dämonen. Er hat so viele Enttäuschungen hinter sich, so | |
viele Demütigungen. Sein Ego ist sehr schwach. | |
Ich habe das gefragt, weil man aus Ihren Büchern den Eindruck gewinnen | |
kann, dass die Gesellschaft, in der Benny lebt, deutlich mehr | |
Machogesellschaft ist, als wir das in Europa kennen. | |
Ja, auf jeden Fall. Südafrika ist eine wesentlich weniger strukturierte, | |
weniger geordnete Gesellschaft. „Chaotisch“ würde ich nicht sagen, das ist | |
zu extrem. Aber in einer weniger geordneten Gesellschaft kann man leicht | |
das Gefühl entwickeln, mehr Macho sein zu müssen, um zu überleben, um | |
erfolgreich zu sein. Benny interessiert sich nicht mehr wirklich für | |
Erfolg, er interessiert sich fürs Überleben. | |
Auffällig ist die Art, wie Sie in Ihren Büchern Frauen beschreiben. Sehr | |
detailliert, sehr auf Äußerlichkeiten konzentriert. Das tun Sie mit den | |
Männern nicht. Ist es Benny, der die Frauen auf diese Weise sieht, oder | |
sind es die Erwartungen Ihrer Leserschaft, die da im Hintergrund stehen? | |
Wahrscheinlich etwas von beidem. Auch als Autor kann man seinem eigenen | |
Geschlecht nicht entfliehen. Und außerdem erzähle ich die Geschichten meist | |
aus der Perspektive von Männern. Es ist eine Kombination meiner eigenen | |
Sicht und der Perspektive der Figuren. | |
Es sind also gar nicht die Leser, an die Sie dabei denken? | |
Ich kann nur Dinge schreiben, die aus mir selbst kommen. Leser sind so | |
unglaublich verschieden, sie können alt sein oder jung, und sie können | |
jeden nur erdenklichen kulturellen, sprachlichen oder religiösen | |
Hintergrund haben. Wenn ich für irgendeinen Leser schreibe, so bin ich | |
selbst dieser Leser. | |
Ist eigentlich die Kriminalliteratur dazu prädestiniert, Konflikte | |
innerhalb einer Gesellschaft gut beschreiben zu können? | |
Nein, das finde ich nicht. Jedes Genre öffnet ein Fenster in die | |
Gesellschaft, das ist nichts, worauf der Kriminalroman ein Monopol hätte. | |
Sie sind ja so etwas wie der Vater des Kriminalromans in Südafrika? | |
Ich fühle mich gar nicht so, aber ich werde so genannt. Das kommt daher, | |
dass ich nach der Apartheid der Erste war, der Kriminalromane schrieb. Und | |
ich blieb auch etwa zehn Jahre lang der Einzige. Nach der Apartheid gab es | |
eine kreative Explosion in allen Künsten. Und da ich schon immer schreiben | |
wollte und ziemlich gut wusste, was ich schreiben wollte, konnte ich | |
praktisch sofort damit anfangen. Andere haben etwas länger gebraucht. | |
Ihr englisch schreibender Kollege Roger Smith ist mittlerweile ebenfalls | |
sehr bekannt in Deutschland. Das Südafrika-Bild in seinen Romanen | |
unterscheidet sich sehr von dem in Ihren Büchern. Smiths Südafrika ist ein | |
finsterer, unglaublich gewalttätiger Ort. Man fühlt sich an die Reportagen | |
erinnert, die vor einigen Jahren hier durch die Presse gingen und davon | |
erzählten, wie gefährlich das Leben in Ihrem Land ist. | |
Ich schätze Roger als Menschen. Aber ich nehme es ihm übel, dass er | |
Südafrika auf diese Weise ausbeutet. Er beutet die Vorurteile aus, die man | |
andernorts über das Land hat. Das ist unfair, und es entspricht einfach | |
nicht der Realität. Was die Wahrscheinlichkeit betrifft, zum Opfer eines | |
Verbrechens zu werden, unterscheidet sich Südafrika kaum von | |
Großbritannien. Aber es gibt diese Vorurteile, und Roger nimmt sie und | |
beutet sie aus. An sich ist das nicht verboten; es gibt viele amerikanische | |
Autoren, die dasselbe tun. Aber Amerika hat nicht von vornherein so einen | |
schlechten Ruf. | |
Ich hatte Lesungen zusammen mit Roger, auf denen er Unwahrheiten über | |
Südafrika erzählte, und ich habe ihm klar gesagt, was ich davon halte. | |
Jedes Mal, wenn er das tut, verlieren wir Touristen. Wir sind aber auf den | |
Tourismus angewiesen. Er soll ja gar nicht alles in rosiges Licht tauchen, | |
er soll nur keine Unwahrheiten erzählen. Die Wahrheit ist, dass Südafrika | |
auf der Gefährlichkeitsskala in etwa gleichauf mit Moskau liegt. Und es ist | |
viel sicherer als zum Beispiel Mexico City! In den letzten paar Jahren ist | |
die Verbrechensrate um etwa zehn bis zwölf Prozent gesunken. | |
Womit hängt diese Entwicklung zusammen? | |
Die Polizei arbeitet heutzutage effizienter. Zum Ende der Apartheid hatten | |
wir eine rein weiße Polizei, die eine grundlegende Wandlung durchmachen | |
musste, bis sie in etwa einen Querschnitt der Bevölkerung repräsentierte. | |
Das war ein langwieriger und nicht einfacher Prozess. Es mussten | |
unglaublich viele Menschen neu eingearbeitet und geschult werden. So etwas | |
braucht seine Zeit. Ja, es gab eine Zeit, da die Verbrechensrate hoch war, | |
da die Polizei einfach nicht hinterherkam. Das ist vorbei. Aber Roger ist | |
mit seinen Thrillern in dieser Zeit steckengeblieben. Das ist einfach nicht | |
patriotisch. | |
Ist ein Schriftsteller denn zum Patriotismus verpflichtet? | |
Nein. Aber es ist wichtig, ehrlich zu sein. | |
11 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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