# taz.de -- Diskriminierung: "Ressentiments wirken subtil" | |
> Anlässlich der Debatte über ein Asylheim in Schwachhausen sprach die taz | |
> mit der Sozialwissenschaftlerin Maren Schreier. | |
Bild: Selbstverständliches Nebeneinander an einer Ampel in Gröpelingen | |
taz: Frau Schreier, wie weit entfernt wohnen Sie von der | |
Eduard-Grunow-Straße, wo das Asylheim entsteht? | |
Maren Schreier: Ich wohne dort um die Ecke, im Ostertor, mein Kind geht | |
hier auch zur Schule. | |
Wie ist die Stimmung in der Nachbarschaft? | |
Wenn ich Gespräche führe, sind sie geprägt von Offenheit und Solidarität. | |
Ich habe den Eindruck, dass es eher Einzelne waren, die sich gegen die | |
Flüchtlings-Unterkunft starkgemacht haben. Die große Solidarität wurde ja | |
auch in der Online-Petition deutlich. | |
Heute Abend geht’s im Schwachhauser Beirat um eine weitere Unterkunft. Was | |
erwarten Sie von der Debatte dort? | |
Ich denke, dass es auch in Schwachhausen viele Menschen als | |
selbstverständlich ansehen, offen und solidarisch zu sein und das Vorhaben | |
zu unterstützen. | |
Gleichwohl haben Sie in einer Studie eine deutliche Verbreitung von | |
unterschiedlichen Diskriminierungsformen in Findorff, Mitte und im Viertel | |
herausgefunden. | |
Die haben wir 2011 für den lokalen Aktionsplan erstellt. Auch in diesen | |
Stadtteilen sind menschenfeindliche Einstellungen weit verbreitet und | |
nehmen zu. Dahinter stehen gesamtgesellschaftliche Entwicklungen: | |
wirtschaftliche Krisen, zunehmenden Prekarisierung, verfestigte | |
Langzeitarbeitslosigkeit. Was es schwierig macht, darüber zu sprechen, ist: | |
Diese menschenfeindlichen Ressentiments wirken subtil und verdeckt. | |
Also auch im als links-alternativ geltenden Viertel? | |
Das trifft auf das Viertel ebenso zu wie auf viele andere Stadtteile. | |
Möglicherweise ist es gerade im Viertel schwieriger, das anzusprechen. | |
Warum? | |
Das Viertel ist geprägt vom Selbstbild eines toleranten und weltoffenen | |
Stadtteils. Das ist es schwierig zu thematisieren, dass durchaus auch dort | |
unterschiedliche Diskriminierungsformen existieren und ausgehalten werden | |
müssen. Dabei sind diese auch und gerade in den sogenannten „besser | |
gestellten“ Stadtteilen relativ breit vertreten. Auch wenn dies den Meisten | |
nicht bewusst ist: Immer geht es um Abwertung von Anderen zur eigenen | |
Aufwertung. | |
Diese „Aufwertung“ habe ich doch nicht nötig, wenn ich in einer | |
Schwachhauser Stadtvilla wohne. | |
Das mag zunächst naheliegen. Aber eine Bremen weite Studie von Wilhelm | |
Heitmeyer hat ergeben, dass auch in Ortsteilen mit hohem Sozialindex der | |
Anteil derjenigen, die sich von der aktuellen wirtschaftlichen Situation | |
bedroht fühlen, steigt. Auch das Gefühl, nicht gerecht behandelt zu werden, | |
ist stark ausgeprägt. Bewohner dieser Ortsteile haben zwar weniger Angst | |
vor dem sozialen Abstieg – das ist eher in der Mittelschicht der Fall – | |
aber es gibt durchaus das Gefühl, weniger als den „gerechten“ Anteil zu | |
erhalten. Das äußert sich dann auch in Fremdenfeindlichkeit. | |
Wie kommt es dazu? | |
Zurückführen lässt es sich auf Ängste, Sorgen, Unsicherheiten. Viele | |
Menschen fühlen sich zudem politisch ohnmächtig. Dieses Gefühl gilt für | |
alle Klassen und Schichten, auch für die höheren sozialen Schichten, als | |
ein wesentlicher Auslöser für die Abwertung von Anderen. Man könnte sagen, | |
das Fremde wird abgewertet, mit dem Ziel, das Eigene noch retten und | |
sichern zu wollen. Das sind komplexe Zusammenhänge, die schwierig zu | |
thematisieren sind. | |
Ist Fremdenfeindlichkeit nicht ein Dauerthema? | |
Oft geht es hier um Rechtsextremismus als eine Form der Diskriminierung, in | |
der Regel um den Rassismus der „Anderen“. Das ist es, was Medien gerne | |
aufnehmen. Etwa, wenn in Bremen-Mitte rechtsextreme Bands auftreten wollen. | |
Aber die subtileren und in gesellschaftlichen Strukturen vorhandenen | |
Abwertungen und Ausgrenzungen sind deutlich schwieriger zu thematisieren. | |
Was meinen Sie mit „subtil“? | |
Subtil sind beispielsweise Äußerungen, Flüchtlinge gern aufzunehmen, aber | |
nicht vor der eigenen Haustür. Auch wenn davon die Rede ist, dass „wir uns | |
Probleme herholen“ und „die Kriminalität steigen könnte“. Hier werden | |
Menschen, die wir nicht einmal kennen gelernt haben, in einen Topf gesteckt | |
und diskriminiert. Niemand würde so sprechen, wenn ein einzelner Mensch ihm | |
gegenüber säße, der geflüchtet ist und seine Geschichte erzählt. | |
Sie halten die Ängste der AnwohnerInnen für unbegründet? | |
Sorgen und Ängste sind immer ernst zu nehmen. Und das Gleichsetzen von | |
Flüchtlingen mit Problemen und Konflikten ist bereits ein diskriminierender | |
Akt. Es gilt doch: Überall wo Menschen auf engem Raum leben, kann es | |
Konflikte geben. Dass Menschen, die in Bremen Asyl suchen, ein Quartier | |
bedrohen, halte ich für eine gefährliche Konstruktion. | |
Nun ist Schwachhausen einer der reichsten Stadteile, Asylbewerber dagegen | |
schlechter gestellt als Hartz-IV-Empfänger … | |
Erstens wohnen auch in Schwachhausen nicht ausschließlich Reiche. Und | |
außerdem wohnen immer auch reiche und arme Leute Tür an Tür. Die Konflikte | |
wären ja riesig, wenn diese Unterschiede per se nachbarschaftliche | |
Konflikte produzieren würden. | |
Nun gibt es auch sachliche Argumente in der Debatte, | |
Verbesserungsvorschläge zur Wohnsituation. Ist das automatisch rassistisch? | |
Man kann keinesfalls behaupten, jeder, der ein Sachargument gegen die | |
Unterkunft hat, ist ein verkappter Rassist. Es ist auch nicht hilfreich, | |
die Leute an den Pranger zu stellen. Anerkennung und Erfahrungen von | |
Gleichwertigkeit – das gilt für alle Menschen: Die Sorgen der Anwohner sind | |
also ernst zu nehmen. Nur sind wir offensichtlich in Bremen in einer | |
Situation, wo Hände ringend Plätze gebraucht werden und keine endlosen | |
Debatten geführt werden können. | |
Was kann zu einem entspannteren Nebeneinander beitragen? | |
Ganz einfach: Neugier aufeinander, ein offenes und wertschätzendes | |
Kennenlernen. Alle Menschen sollten ein Gesicht bekommen, nicht nur unter | |
dem Label „Flüchtlinge“ auftauchen. Wichtig ist, dass ihnen signalisiert | |
wird: Ihr seid willkommen, ihr könnt teilhaben. Dass sie zum Beispiel auch | |
ohne Geld einen Sprachkurs besuchen können. Es ist eine gute Idee, weitere | |
Sozialarbeiter-Stunden zu finanzieren, wie es im Ortsamt-Mitte überlegt | |
wird. Das kann eine gute Brückenfunktion haben. Und: Dafür sind auch | |
Steuermittel in die Hand zu nehmen. | |
19 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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