# taz.de -- Die Mannschaft aus dem Lazarett: Auf dem Zahnfleisch | |
> Der HSV-Handball schleppt sich im vorletzten Spiel des Bundesliga-Jahres | |
> zu einem Sieg in letzter Sekunde gegen die HSG Wetzlar.. | |
Bild: Am Boden, aber erfolgreich: Einmal muss Stefan Schröder seine bandagiert… | |
HAMBURG taz | Marcin Lijewski: Stützen an beiden Fußknöcheln, beide | |
Handgelenke getaped, Andreas Nilsson: beide Knöchel, beide Handgelenke, | |
Domagoj Duvnjak: linkes Knie bandagiert, Stefan Schröder: linkes Knie | |
bandagiert, beide Handgelenke, Michael Kraus: Kompressionsstrümpfe, kleiner | |
Finger der rechten Hand getaped, Pascal Hens: rechtes Handgelenk, Igor | |
Vori: rechtes Knie, rechter Ellenbogen, rechtes Handgelenk, beide Knöchel, | |
Matthias Flohr: beide Handgelenke. | |
Wir sind nicht in der orthopädischen Abteilung des Universitätsklinikums | |
Eppendorf, sondern beim Handball-Bundesligaspiel des HSV gegen die HSG | |
Wetzlar, das der HSV vor 11.200 Zuschauern in der O2 World in letzter | |
Sekunde mit 30:29 (11:15) gewinnt. Der vierte Sieg hintereinander. „Wir | |
gehen in die richtige Richtung“, sagt HSV-Trainer Martin Schwalb, „mit | |
Hängern, aber die Richtung stimmt.“ | |
Die mit den Tapeverbänden, den Bandagen und den Kompressionsstrümpfen – das | |
sind die Gesunden. Von den Verletzten reden wir hier gar nicht – Oscar | |
Carlén: zwei Kreuzbandrisse hintereinander, Blaźenko Lacković: Bruch des | |
rechten Zeigefingers, und Torsten Jansen: Operation an der Patellasehne. | |
Jansen, am gestrigen Sonntag 36 Jahre alt geworden, hatte vor dem Spiel | |
signalisiert, dass es geht, bekam beim warmmachen „heftige Schmerzen“ im | |
Knie, so Schwalb, und blieb draußen. Nicht trainieren konnten Michael Kraus | |
und Hans Lindberg. Der verwirft von den ersten drei Siebenmetern zwei, | |
danach spielt Fredrik Petersen für ihn und verwandelt von drei Siebenmetern | |
drei. | |
„Einige von uns kommen auf dem Zahnfleisch daher“, sagt Schwalb. Und das | |
Zahnfleisch hat Parodontose. „Die Kroaten und die Schweden spielen seit | |
eineinhalb Jahren durch“, sagt Schwalb. 100 Spiele, so über den Daumen. Da | |
reißen Achillessehnen und Kreuzbänder, wie bei Torwart Joachim Bitter. | |
„Marcin bräuchte dringend eine Pause“, sagt Schwalb, „aber ich kann ihm | |
keine Pause geben, weil ich auf seiner Position keinen hab.“ | |
Also? „Also muss er spielen“, sagt Schwalb. Wider besseres Wissen. Handball | |
ist eine Sportart, die ihre Besten zerstört, vor allem Spieler, die für | |
ihre Nationalmannschaft und für ihren Verein international aktiv sind. | |
Schwalb spricht von „unmenschlichen Belastungen“. Ältere Spieler wie Vori, | |
32, überlegen, auf Turniere wie die Weltmeisterschaft im Januar zu | |
verzichten. | |
Europameisterschaft, Olympia und WM in nur 13 Monaten, dazu Einsätze in der | |
Champions League, Pokal und Bundesliga. Für Schwalb zu viel: „Wir haben da | |
eine Fürsorgepflicht.“ Er fordert eine Entzerrung des Terminplans vor allem | |
in den Olympia-Jahren – und geht an der Seitenlinie pfleglich mit seinen | |
Jungs um. | |
Als sich Keeper Bitter, den Schwalb beim Stand von 5:10 für Dan Beutler | |
bringt, nach einem leichten Gegentor lautstark bei seinen Vorderleuten | |
beklagt, beruhigt ihn Schwalb. Und als Lijewski seinen Nebenmann Duvnjak | |
nach einem Tor anmacht, legt Duvnjak den Finger auf seine Lippen. Lijewski | |
nickt. | |
Die Wetzlarer machen das, was einer angeschlagenen Mannschaft besonders | |
weht tut: Sie sind aggressiv. Das bringt ihnen in der ersten Halbzeit einen | |
komfortablen Vorsprung, das bringt den HSV aus dem Konzept: keine Treffer | |
aus dem Rückraum, leichte Gegentore. „Es sah so aus, als ob es läuft wie | |
beim ersten Spiel gegen Wetzlar am ersten Spieltag“, sagt Bitter. Damals | |
verlor der HSV mit 26:33. | |
Dann stellt der HSV die Deckung um und einige Spieler ärgern sich über | |
Philipp und Michael Müller, die etwas raubauzig auftretenden Brüder, die | |
schubsen und drängeln, mit den Schiedsrichtern und der HSV-Bank | |
diskutieren. Dann wachen die Zuschauer auf, und die wecken die Spieler. | |
Nach 52 Minuten gleicht der HSV aus, verliert Duvnjak kurz vor Schluss | |
durch eine Zwei-Minuten-Strafe, hat fünf, vier, drei, zwei Sekunden vor | |
Ende beim Stand von 29:29 den Ball. Genauer gesagt Petersen, und der „hat | |
ein echt fieses Ding“, lobt Schwalb. Petersen schießt aus der Hüfte, der | |
exzellente Nikola Marinović im HSG-Tor ist geschlagen. „Verdient, | |
verdient“, sagt Schwalb später. Dann hört man ein Schlurfen. Es ist | |
Lijewski, der sich vom Physiotherapeuten zur Kabine schleppt. | |
23 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
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