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# taz.de -- Die Wahrheit: Es ist höcherste Zeit
> Die überflüssigste Redewendung aller Zeiten.
Bild: Der Porsche 911 wird von provinziellen Automobiljournalisten zum „beste…
Die erste Sprachglosse aller Zeiten ist dies nicht, die sich der
superlativsten Redewendung aller Zeiten widmet. Aber weil das
zweitausendundzwölfte Jahr aller Zeiten wieder eine reiche Ernte lieferte,
müssen jetzt die besten Beispiele aller Zeiten oder wenigstens ein paar
mehr oder weniger brauchbare aus der letzten Zeit vorgeführt werden:
Als „das beste Album aller Zeiten“ pries das Versandhaus Zweitausendeins
ein Werk des Beach-Boys-Musikers Brian Wilson an, während die taz die
Platte „Monarchie & Alltag“ von den Fehlfarben „zum besten
deutschsprachigen Album aller Zeiten“ hochjazzte. Für den Fernsehsender
Phoenix war Artus „der größte König aller Zeiten“ und seine Geschichte d…
„Geschichte des edelsten Herrschers aller Zeiten“; Porsches aufgemotzter
Sportwagenklassiker wiederum wurde als „der beste 911er aller Zeiten“
ausgerufen, wenn auch bloß von der Hannoverschsten Allgemeinen aller
Zeiten.
Wer „alle Zeiten“ meint, scheint viele Zeiten zu kennen, tatsächlich gibt
es nur drei: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Daraus folgt, dass
Sportwagenfahrer ihr Geld künftig bei einer anderen Automarke loswerden
müssen, weil der nächste 911 schlechter sein wird, und es bis in alle
Zukunft kein besseres Album geben kann als das von Brian Wilson, man also
kein anderes mehr kaufen muss, schon gar nicht beim Versandhaus
Zweitausendeins. Aber Zweitausendeins hat die besten Zeiten aller Zeiten
sowieso längst hinter sich.
Damit nicht genug: Weil der Kicker zum Start der Fußballsaison 2012/13 „das
dickste Sonderheft aller Zeiten“ herausbrachte, werden das nächste und alle
folgenden Hefte bis in alle Ewigkeit dünner sein, versprochen ist
versprochen.
Wer einwendet, dass dies die haarspaltendsten Auslegungen aller Zeiten
sind, dem sei entgegnet, dass die dümmsten Belege aller Zeiten erst noch
folgen. Vor allem Sportjournalisten tricksen gern. So schreibt der sonst
doch so treffliche Fußballhistoriker Dietrich Schulze-Marmeling in seinem
Buch über den FC Bayern München, der sei 1965/66 als Aufsteiger Dritter
geworden und damit „der beste Neuling aller Zeiten“ – mithin besser als d…
1. FC Kaiserslautern, der 1997/98 als Neuling bloß deutscher Meister wurde.
Jürgen Thiem wiederum widmet sich in seinem Buch „Helden für einen Sommer“
jenes Schalke-04-Teams, das 1972 den DFB-Pokal gewann und Vizemeister
wurde, und erzählt damit laut Untertitel „Die Geschichte der besten
Schalker Mannschaft aller Zeiten“ – sechs Meistertitel plus ein Pokalsieg,
die Jahrzehnte zuvor die legendäre Schalker Elf um Ernst Kuzorra errang,
sind für Jürgen Thiem nix dagegen!
Nicht nur Sportler, auch ihre Schreiber scheinen oft gedopt zu sein. Doch
für alle Zeiten gilt der nüchterne Befund: Wo Blender den Ton angeben, ist
die Sprache aufs Beeindrucken und Überwältigen angelegt, nicht auf
Information. Manche ahnen zwar, dass eine der unsinnigsten Floskeln aller
Zeiten eine der bis heute falschesten ist. Sie auf die eben vorgeführten
Weisen zu relativieren, verwandelt sie aber mehr oder weniger in ein
Paradox, weil entweder das Alleinstellungsmerkmal des Superlativs flöten
geht oder von allen Zeiten nur zwei, ja vielleicht nur eine, nämlich die
Vergangenheit übrig bleibt: „Das bis dahin größte Konzert aller Zeiten“
hätten die Beatles 1965 in New York gegeben, quakt das arte Magazin; „der
Bankenverband sprach von der bisher größten Umschuldung aller Zeiten“,
ratscht NDR Info über die Griechenlandkrise; Bobby Fischer, der 1958 mit 15
Schachgroßmeister wurde, war „der damals jüngste Großmeister aller Zeiten�…
blödelt chessbase.de – alle Zeiten waren freilich 1992 vorbei, als die noch
etwas jüngere Ungarin Judit Polgár Schachgroßmeisterin wurde.
Alle Zeiten sind seltsame Zeiten und womöglich niemals richtig. „,Sergeant
Pepper‘ ist das beste Beatles-Album aller Zeiten“: Das sei „richtig
verwendet“, behauptet jemand auf Wikipedia, „weil es die Beatles nicht mehr
gibt“. Aber was es nicht mehr gibt, gehört in die Vergangenheit; sowieso
ist die Frage, warum es nicht einfach heißt: „,Sergeant Pepper‘ ist das
beste Beatles-Album.“ Die Antwort: Es klänge nicht protzig, nicht
großmäulig genug – die apodiktische Schlichtheit würde augenblicklich
Widerspruch wecken. Was wichtigtuerisch wie die richtigste
Tatsachenbehauptung aller Zeiten auftritt, wäre als bloße Meinungsäußerung
eines Schaumschlägers entlarvt.
Am Ende bleibt über den Gröfaz, den größten Fehler aller Zeiten, nur zu
sagen, was die Berliner Heavy-Metal-Spaßband Knorkator sagt. Sie macht es
als einzige aller Zeiten richtig, indem sie ihre kommende Platte ankündigt
als „das nächste Album aller Zeiten“.
Und damit Schluss – bis zur nächsten Sprachglosse aller Zeiten.
29 Dec 2012
## AUTOREN
Peter Köhler
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