# taz.de -- Indianer in Kanada: Die Wut ist wieder da | |
> Mit einem Hungerstreik in der kanadischen Hauptstadt hat eine | |
> Indianerführerin neuen Protest ausgelöst. Es geht um Arbeitslosigkeit und | |
> Umweltvergehen in den Reservaten. | |
Bild: Protest gegen ihre schlechten Lebensbedingungen in den Reservaten: Kanadi… | |
EDMONTON taz | Seit fast drei Wochen sitzt Theresa Spence in einem runden | |
Indianerzelt auf einer kleinen Insel im Ottawa River und hungert. Außer | |
Kräutertees, Zitronenwasser und ein paar Löffeln Fischbrühe am Tag nimmt | |
sie keine Nahrung zu sich. „Ich bin bereit, für meine Leute zu sterben“, | |
sagt Spence und streicht mit ihren faltigen Fingern über eine Adlerfeder, | |
das Symbol ihres Volkes für Wahrheit und Weisheit. | |
Spence ist Cree-Indianerin, Häuptling eines kleinen Stammes an der James | |
Bay und so etwas wie die neue Hoffnungsträgerin der Ureinwohner in Kanada. | |
Ein paar Tage vor Weihnachten ist Spence in den Hungerstreik getreten, um | |
auf die schlechte soziale Lage in den Reservaten hinzuweisen. Seitdem haben | |
sich Tausende Indianer mit ihr solidarisiert und eine der größten | |
Protestwellen der letzten Jahre losgetreten. | |
Spence sitzt auf einer schlichten Holzbank in ihrem Tipi mit Familie und | |
Freunden und sagt: „Die kanadische Regierung behandelt uns wie Sklaven und | |
missachtet unsere traditionellen Rechte.“ Damit spricht sie aus, was viele | |
Indianer in Kanada empfinden. Sie fühlen sich vernachlässigt, an den Rand | |
gedrängt und ausgegrenzt. | |
Schon im letzten Jahr sorgte Spence für internationale Schlagzeilen, als | |
sie in ihrem Reservat in Attawapiskat wegen katastrophaler sanitärer | |
Bedingungen und einem eklatanten Mangel an Wohnraum den Notstand ausriefen | |
ließ und sich das Rote Kreuz des Dorfes annahm – eine Blamage für den | |
kanadischen Staat. | |
## Es fehlt an Grundlegendem | |
Seitdem hat die Regierung zwar ein paar Wohncontainer in den hohen Norden | |
geschickt. Durchgreifend verbessert hat sich die Lage in den Dörfern aber | |
nicht. Oft fehlt es an Grundlegendem: funktionierenden Abwasserleitungen, | |
dichten Dächern, Heizungen. Die Arbeitslosigkeit in den Reservaten ist | |
hoch, allerorten grassieren Infektionskrankheiten. | |
Mit ihrem Hungerstreik geht es Spence aber auch um Grundsätzliches. Als | |
Kind musste sie ein staatliches Internat besuchen, in dem ihr die Ausübung | |
ihrer Kultur und Sprache verboten war. Heute fordert sie Respekt für die | |
Indianervölker und wehrt sich gegen eine Bevormundung aus Ottawa. Die aber | |
ist an der Tagesordnung: Zuletzt hatte die Regierung die Umweltgesetze | |
gelockert, was viele Ureinwohner als Angriff auf ihre Lebensgrundlagen | |
sehen. Sie treibt den Bau neuer Ölpipelines über Indianerland voran und | |
will Ländereien in den Reservaten an Privatpersonen verkaufen – oft ohne | |
die Menschen vor Ort zu fragen. | |
„Es ist furchtbar, dass unsere Kinder unter solchen Umständen aufwachsen | |
müssen“, hatte Spence kurz vor Weihnachten in ihrem Zelt dem Fernsehsender | |
CBC gesagt – und war vor laufenden Kameras in Tränen ausgebrochen. Seitdem | |
formieren sich beinahe täglich neue Solidaritätsaktionen der Ureinwohner. | |
„Idle No More“ nennt sich die schnell wachsende Bewegung, in etwa: „Wir | |
halten nicht mehr still.“ | |
## Blockade von Bahngleisen | |
Zwischen Ost- und Westküste blockieren Indianer mittlerweile Bahngleise, | |
Straßenkreuzungen und Autobahnauffahrten. In Einkaufszentren machen sie mit | |
Trommeln, Trachten und Gesängen auf ihre Anliegen aufmerksam. Zahlreiche | |
Häuptlinge und Aktivisten unterstützen Spence mit eigenen Fastenaktionen. | |
Die Indianerführerin selbst will in ihrem Tipi unweit des Parlamentshügels | |
von Ottawa ausharren und so lange hungern, bis es zu einem Treffen mit | |
Premierminister Stephen Harper kommt, an dem auch die anderen Häuptlinge | |
des Landes und ein Vertreter Seiner Majestät teilnehmen sollen. | |
Noch aber ist Harper nicht von seiner Residenz hoch über dem Ottawa River | |
in das Flusstal zu Spence hinabgestiegen. Langsam wird die Zeit knapp. Nach | |
18 Tagen ohne feste Nahrung leidet die 49-Jährige unter Schwäche und | |
Schwindelanfällen. Im Kopf aber sei sie noch stark, teilte sie über Twitter | |
mit und gab sich entschlossen: „Wir führen das zu Ende – so oder so.“ | |
29 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Jörg Michel | |
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