| # taz.de -- Bergsteiger-Ehepaar über Achttausender: Siebter Sinn am Berg | |
| > Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits haben die höchsten Gipfel der | |
| > Welt bestiegen. Die Angst am Berg bleibt, aber die Natur gebe Energie | |
| > zurück, meinen sie. | |
| Bild: Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits haben schon alle 14 Achttausend… | |
| taz: Frau Kaltenbrunner, Herr Dujmovits, es gibt kein Ehepaar auf der Welt, | |
| das alle 14 Achttausender bestiegen hat. | |
| Gerlinde Kaltenbrunner: Der Ralf hat 2009 alle Achttausender geschafft, ich | |
| zwei Jahre später mit dem K2. Das ist wunderschön, sich diesen Lebenstraum | |
| erfüllt zu haben. | |
| Ralf Dujmovits: Es ist ja nicht nur das Rauf-runter-und-heim, sondern da | |
| steckt noch viel mehr dahinter, auch für uns als Paar. Es geht um | |
| Vertrauen, aber auch um die Angst, die Sorgen umeinander und die Momente | |
| des gemeinsamen Glücks. Wir setzen uns einer wilden Natur aus. Dort kann | |
| man wirklich total intensiv empfinden, was um uns herum passiert. Die | |
| Härten beim Bergsteigen nimmt man in Kauf, das gehört einfach dazu. | |
| Beim Gipfelerfolg Ihrer Frau am K2 im August 2011 sind Sie nicht mit auf | |
| den Gipfel gegangen. Hatten Sie Angst um Ihre Frau? | |
| Dujmovits: Ja, ich hatte riesige Angst. Ich war zunächst mit aufgestiegen. | |
| Oberhalb von Lager 1 aber hatte ich den Eindruck, es ist zu gefährlich. Es | |
| hatte zu viel geschneit. Mein Bauchgefühl war nicht gut. Ich wollte ein | |
| weiteres größeres Risiko nicht in Kauf nehmen. Also bin ich zum Zelt | |
| zurückgegangen und glaubte, Gerlinde und die Kollegen drehen auch wieder | |
| um. Doch das geschah nicht. Da bekam ich große Angst. Ich habe gerufen, | |
| aber sie waren schon außer Hörweite. | |
| Wie haben Sie das in Erinnerung, Frau Kaltenbrunner? | |
| Der Moment, wo Ralf sagte, er wird umdrehen, hat mir einen Stich versetzt, | |
| weil ich mir so sehr gewünscht habe, dass Ralf gemeinsam mit mir den K2 | |
| versuchen würde. Trotzdem war es wichtig, den Ralf nicht zum Mitkommen zu | |
| überreden. Wir hatten vorher vereinbart, dass jeder seinem eigenen | |
| Bauchgefühl folgen darf. Ralf hat uns vom Basislager dann wunderbar | |
| unterstützt. | |
| Wie war das, nach sechs vergeblichen Anläufen bei der siebten Expedition | |
| den K2 endlich geschafft zu haben? Sie standen 15 Minuten allein auf dem | |
| Gipfel, dann kamen erst Ihre Begleiter. | |
| Das waren die intensivsten Momente für mich überhaupt, die ich bisher an | |
| einem Achttausender hatte, nach so vielen Rückschlägen auf der Südseite. Am | |
| Gipfel kamen geballt alle Emotionen hoch und ich habe im schönsten | |
| Abendlicht die Situation als Geschenk dankbar aufgenommen. | |
| Das Wetter war ja ausgesprochen gut. | |
| Kaltenbrunner: Es hat alles so kommen müssen, wie es gekommen ist. Es war | |
| kaum eine Wolke am Himmel und fast windstill. Solche Verhältnisse hat man | |
| auf einem Achttausender-Gipfel vielleicht nur einmal im Leben. | |
| Dennoch ist es eine gefährliche Sportart; viele Bergsteiger, auch einige | |
| Ihrer Kollegen, sind abgestürzt. | |
| Dujmovits: Es ist so, dass unser Sport ein gewisses Restrisiko beinhaltet. | |
| Dennoch sind wir langsam in diesen Sport hineingewachsen, haben viele | |
| Erfahrungen gesammelt und gelernt, mit den Risiken umzugehen. Wir haben | |
| einen sechsten, vielleicht auch siebten Sinn entwickelt. Wir haben ein | |
| genaues Gefühl dafür, ob wir an unseren körperlichen Grenzen dran sind. | |
| Herr Dujmovits, Sie hat mal ein Steinschlag erwischt. Ihre Frau ist 2007 am | |
| Dhaulagiri von einer Lawine verschüttet worden. Wie lange geht einem so | |
| etwas nach? | |
| Kaltenbrunner: Aus diesen Erfahrungen habe ich gelernt, bin noch | |
| vorsichtiger geworden. | |
| Am Achttausender Manaslu gab es im September 2012 wieder ein schweres | |
| Lawinenunglück mit einem Dutzend Toten. | |
| Dujmovits: Das ist erschütternd, vor allem als ich erfuhr, dass ein Opfer | |
| mit meiner früheren Expeditionsfirma unterwegs war. Es sind immer mehr | |
| Menschen an den Bergen unterwegs. 2012 kam es dazu, dass Tibet von Seiten | |
| der Chinesen plötzlich geschlossen wurde. Viele wollten zum Cho Oyu oder | |
| Shisha Pangma, bekamen aber die Genehmigung entzogen, wodurch sich viele | |
| dann am Manaslu versuchten. Dass eine Lawine abgeht, kann schon passieren. | |
| Aber dass so viele Menschen betroffen sind, das lag wohl auch an der | |
| Sperrung von Tibet durch China. | |
| Wenn man schier übermenschliche Kräfte entfalten muss, um in der | |
| sogenannten Todeszone über 8.000 Meter einen Gipfel zu besteigen, warum | |
| zieht es dann so viele Bergsteiger in diese Regionen? | |
| Kaltenbrunner: Eine abgelegene, herausfordernde Route aufzusteigen, das ist | |
| einfach sehr faszinierend. Natürlich ist es auch hart, wenn es stark stürmt | |
| und eisig kalt ist. Aber es gibt auch die schönen Momente, wenn wir auf | |
| 7.000 oder 8.000 Meter unser Zelt aufstellen, Schnee schmelzen und dann | |
| einen Sonnenuntergang erleben. Dann wissen wir, warum wir das machen. Da | |
| kommt von der Natur sehr viel Energie zurück. | |
| Sie haben beide medizinische Kenntnisse. Frau Kaltenbrunner, Sie sind von | |
| Beruf Krankenschwester. Herr Dujmovits, Sie haben einige Semester Medizin | |
| studiert. Das hat Ihnen sicher am Berg schon genützt? | |
| Kaltenbrunner: Das kommt uns sehr zugute. Auch wenn wir zum Glück fast noch | |
| nie unsere Kenntnisse an uns selber anwenden mussten. Aber anderen | |
| Bergsteigern oder auch Einheimischen in Pakistan oder Nepal haben wir | |
| helfen können. | |
| Dujmovits: Wir haben versucht, im Bereich der Höhenmedizin auf dem | |
| aktuellen Wissensstand zu bleiben. Am Everest wurde ein befreundeter | |
| Japaner schwer höhenkrank, er hatte ein Hirnödem. Gerlinde konnte ihm | |
| intravenös das richtige Medikament spritzen, wir haben ihn dann langsam | |
| nach unten gebracht. | |
| Ist es richtig, dass durch die Zuhilfenahme von künstlichem Sauerstoff | |
| 8.000 Meter Höhe ein reales Niveau von ungefähr 6.500 Meter bedeuten? | |
| Dujmovits: Ja. Wenn man künstlichen Sauerstoff benutzt, hat man auf 8.000 | |
| Meter noch die Verhältnisse wie sonst auf 6.000 oder 6.500 Metern. Damit | |
| ist das ein Stück weit Doping, weil der Sauerstoff ein künstliches | |
| Hilfsmittel ist, seine eigenen körperlichen Möglichkeiten auszuweiten. Das | |
| ist aber nicht richtig, weil man letztlich die Natur austrickst. | |
| Es gab ein Rennen unter den Bergsteigerinnen, die Erste zu sein auf allen | |
| Achttausendern. Warum haben Sie sich nicht an diesem Wettlauf beteiligt? | |
| Kaltenbrunner: Mir ist es nie darum gegangen, die Erste zu sein. Mir war | |
| immer nur eines wichtig: ohne Flaschensauerstoff aufzusteigen und ohne | |
| Hilfe von Hochträgern. Ich wollte es aus eigener Kraft schaffen. Diesen Weg | |
| bin ich bis zum Schluss gegangen. Wettkampf und Wettrennen haben auf den | |
| hohen Bergen nichts verloren. | |
| Man hört immer wieder aus der Bergsteigerszene, dass Amphetamine, Aspirin, | |
| Cortisonpräparate und anderes bis hin zu Viagra, weil es das Blut in großen | |
| Höhen verdünnen soll, eingenommen werden. Was sagen Sie dazu? | |
| Dujmovits: Alles, egal welches medizinische Hilfsmittel, alles was | |
| künstlich in den Organismus eingreift, ist als Doping zu sehen. Das große | |
| Problem bei diesen Medikamenten ist, dass sie die normale Wahrnehmung des | |
| Körpers einschränken, die ersten Symptome einer beginnenden Höhenkrankheit | |
| werden ganz stark zurückgedrängt, man fühlt sich auf einmal wieder wohl, | |
| zumindest für eine gewisse Zeit. | |
| Dann aber kommen die Symptome wieder so stark zur Geltung, dass man auf | |
| einmal wirklich höhenkrank ist. Deshalb sollte man keinesfalls solche | |
| Präparate einnehmen. | |
| Haben Sie schon mal bemerkt, dass Bergsteigerkollegen irgendwelche | |
| Präparate geschluckt haben? | |
| Kaltenbrunner: Ja, das kommt immer wieder mal vor. Ich kann mich erinnern, | |
| im Jahr 2000 war ich am Shisha Pangma unterwegs. Im Basislager haben wir | |
| uns die Küche mit Amerikanern geteilt und die haben zum Frühstück jeden Tag | |
| auf ihrem Teller unzählige Tabletten, Kapseln, alles Mögliche gehabt. Sie | |
| haben immer nur gesagt, es sind Vitamine. | |
| Man hat nicht wirklich sagen können, was es war. Wirklich zugeben tun es | |
| wahrscheinlich nur die wenigsten. Man kann nur plädieren, die Finger davon | |
| zu lassen, auf seinen Körper zu hören. Wenn man Kopfschmerzen bekommt, dann | |
| sollte man nicht irgendwas einnehmen, sondern mehr Flüssigkeit trinken oder | |
| im Notfall wieder absteigen. Das Aufsteigen nur mit seinen eigenen Kräften | |
| ist am fairsten und auch am sichersten. | |
| 5 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Purschke | |
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