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# taz.de -- Die Wahrheit: Auf Messers Schneide
> Es war der längste „S-Day“ der Geschichte.
Es war der längste „S-Day“ der Geschichte. So nennt Wahrheit-Redakteur
Michael Ringel die Tage, an denen ich auf Berlin-Urlaub bin und alle
Freunde nachdrücklich ins Wirtshaus bitte. Es gibt an diesen Tagen kein
Entkommen, ärztliche Atteste gelten nicht. Das S stand ursprünglich für
„Sotscheck“, wird aber inzwischen bisweilen auch als „Saufgelage“
interpretiert.
Diesmal kam Ringel mit Gattin Regina sowie Witzbildchenzeichner Tom und
Partnerin Anette nach Irland. Freiwillig, sechs Tage lang. Áine und ich
hatten allerlei vorbereitet, was Essen und Getränke betraf. Wir waren
besser ausgestattet als ein durchschnittlicher irischer Pub. Aber die Gäste
kamen nicht mit leeren Händen. Sie hinterließen jedoch so viel Leergut,
dass die Container für Altglas und leere Getränkedosen restlos überfordert
waren.
Dann kam der Silvesterabend. Nachdem Tom eine Radkappe des Mietautos
verloren, sein iPad auf den Steinfußboden fallen gelassen und ein Glas
Rotwein verschüttet hatte, packte er den riesigen Wacholderschinken aus,
den er in Berlin beim Fleischer seines Vertrauens in der Akazienstraße
gekauft hatte. Um das Trumm aufzuschneiden, brauchte man Spezialwerkzeug.
Damit konnten wir dienen: Wir hatten zu Weihnachten von Freunden in Dublin
einen Koffer mit Messern geschenkt bekommen, Marke „Royalty Switzerland“.
Damit tranchiert offenbar die Schweizer Königsfamilie ihren Sonntagsbraten.
Der Koffer mit Zahlenschloss enthielt auf den ersten Blick sieben Messer,
zwei Scheren, eine Bratengabel und ein Wetzstahl. Auf den zweiten Blick
stellte sich heraus, dass der Koffer einen zweiten Boden besaß, in dem ein
Steakbesteck für sechs Personen und ein Hackebeilchen untergebracht waren –
und einen Katalog, auf dem der Preis für das Ensemble groß aufgedruckt war:
950 Euro. Herrje, wie peinlich, hatten wir doch nicht mal ein Zehntel für
die Gegengeschenke ausgegeben.
Unsere Gäste waren misstrauisch: Wieso war der Preis in Euro aufgedruckt
und nicht in Schweizer Franken? Und warum gab es keine Adresse der
Herstellerfirma? Nicht mal das Land war angegeben. Regina ging der Sache
auf den Grund. Sie hatte ihr iPad nicht fallen gelassen und sah bei Amazon
nach. Dort kostete das Set 39 Euro. Die Kundenkritik war jedoch verheerend.
„Ich bin mit so einem Messerset beschenkt (wohl eher bestraft) worden“,
begann jemand seinen Erfahrungsbericht.
„Schwere Ausführung, nutzt aber nichts, wenn sie nicht schneiden“, läster…
ein anderer. „Am besten die Messer entsorgen und nur den Koffer verwenden.“
Ein weiterer Kunde ließ nicht mal das gelten: „Der Koffer wäre
gegebenenfalls zu gebrauchen, wenn nicht das Zahlenschloss nach zweimaliger
Nutzung unbrauchbar wäre.“
Um uns der Restillusionen zu berauben, schaute Regina bei Ebay nach. Dort
bekam man den Messerkoffer bereits für 16 Euro. Vom selben Hersteller gibt
es ein 16-teiliges Topf-Set für 49,99 Euro. In unserem Katalog ist es mit
1.475 Euro angegeben. Ich habe es bestellt. Als nächstes Weihnachtsgeschenk
für unsere Dubliner Freunde.
7 Jan 2013
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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