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# taz.de -- Die Wahrheit: Wiedersehen im Wald
> Ein Fremdkörper im Mund beim Toastessen bewirkte ...
Ein Fremdkörper im Mund beim Toastessen bewirkte, dass ich mich zu Fuß in
einer Straße wiederfand, die ich seit gut dreißig Jahren nicht mehr
aufgesucht hatte. Naturgemäß traf ich alles stark – doch kaum zum Vorteil �…
verändert an, sogar das Umspannwerk war entfernt worden. Wo mochten die
Anwohner nun wohl ihren teuren Strom umspannen? Vielleicht in dem kleinen
Wald am oberen Ende der Straße? Ob es den kleinen Wald überhaupt noch gab?
Das wollte ich gern untersuchen, denn die Frage erschien mir aus einem
weiteren Grund bedeutsam: Falls es den Wald nicht mehr gäbe, was wäre dann
aus dem Reisebusunternehmen geworden, das sich dort einst aus Gründen der
Angst versteckt hatte? Die Angelegenheit war aufregend. Entsprechend
aufgeregt lief ich die Straße hinauf, wobei ich unablässig „uh jä, uh jä�…
rief.
Es lohnte sich. Oben angekommen, sah ich wahrhaftig, ganz wie früher,
besagten Wald vor mir. Er machte einen überraschend unveränderten Eindruck.
Ob er mich erkannte? Ich betrat ihn, wenn auch nicht so experimentell
gesinnt, wie ich es in früheren Jahren getan hatte, so doch mit
unverkennbarem Interesse. Letzteres förderte bald zutage, wie sehr sich der
kleine Wald in seinem Inneren treu geblieben war. Ich staunte!
Ganz in der Nähe des großen Erdlochs, das an derselben Stelle wie ehedem
klaffte, fand ich dann das Reisebusunternehmen. Nach dreißig Jahren
versteckte es sich noch immer hier! Wie groß musste seine Angst sein! Um
ein Haar hätte mich die Rührung des Wiedersehens zu Tränen hingerissen.
Die alberne braune Arzttasche, die ich früher zu tragen pflegte,
materialisierte sich unwillkürlich wieder an meiner rechten Hand, so dass
ich sie verärgert in das Erdloch schleuderte. Der Trampelpfad und die ihn
säumenden Pflanzen sahen nach wie vor zum Verrücktwerden aus, die „Uh
jä“-Rufe waren mir glücklicherweise vergangen. So weit ich erkennen konnte,
wurde in dem Wald keinerlei Strom umgespannt. Reisebusse standen im
Schatten unter den voll belaubten Bäumen herum; das Reisen schien in den
Jahrzehnten des Versteckens von ihnen abgefallen zu sein. Der Inhaber des
Unternehmens graste versonnen auf einer Schneise.
Leutselig ging ich auf ihn zu, grüßend und leise schwatzend. Sich in den
Hüften hebend, grüßte der Grasende zurück. Mit vollem Mund sprach er von
früheren Reisen, von menschengefüllten Bussen und der großen Angst, die
schließlich dazu geführt hatte, dass man sich hier versteckte.
Später kam seine Frau, eine freundliche ältere Dame, von einem der Bäume
herunter. Sie lud mich ein, zum wöchentlichen Insektenrennen rund um das
Erdloch zu bleiben. Das Rennen wurde von einer Brotfabrik finanziert,
Toastscheiben waren als Botschafter des guten Willens längs der Rennstrecke
aufgestellt worden. Ja, es gab sogar eine Wettannahmestelle, und ich setzte
meinen ganzen Wochenlohn auf die Motten. Die Spannung stieg, schon wärmten
die konkurrierenden Wespen schnalzend ihre Fahrräder an.
11 Jan 2013
## AUTOREN
Eugen Egner
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