# taz.de -- Die Wahrheit: Häkeln am Hindukusch | |
> Abzug aus Afghanistan: Die Bundeswehr hinterlässt eine gestärkte | |
> Sympathie für Strickware. | |
Bundeswehr-Camp Masar-i-Scharif. Hauptfeldwebel Oliver Wuppke sitzt | |
zufrieden lächelnd in der Mittagssonne und geht seiner | |
Lieblingsfreizeitbeschäftigung nach – Häkeln. Zurzeit arbeitet der | |
24-jährige Sachse an einem Helmschoner in schwarz-rot-goldener Tarnoptik, | |
den er noch in der Mittagspause fertigstellen will. Während seine Kameraden | |
die Zeit mit Kartenspiel und Biertrinken totschlagen, gibt es für Oliver | |
Wuppke keine bessere Ablenkung vom Truppenalltag als das muntere Geklapper | |
seiner Häkelnadeln. „Damit vertreibe ich mir nicht nur die Langeweile und | |
entspanne mich total, sondern ich kann meiner Uniform auch noch zusätzlich | |
eine ganz individuelle Note geben.“ | |
So weit ist es also schon gekommen mit der kämpfenden Truppe an der fernen | |
Afghanistan-Front. Erlaubt ist, was gefällt – Hauptsache, die Motivation | |
der Soldaten geht in der öden Talibanbekämpfungsroutine nicht vollends in | |
den Keller. Und wie es scheint, macht Oliver Wuppkes Beispiel allmählich | |
Schule: Immer mehr einfache Dienstgrade versuchen sich in den | |
althergebrachten Handarbeitstechniken, stricken Klopapierrollenhüllen für | |
die Helmablage im Schützenpanzer oder klöppeln sich ein Moskitonetz für die | |
Schlafkoje. | |
Angesichts so vieler handarbeitender Soldaten ließ das Mäkeln am Häkeln | |
nicht lange auf sich warten. Gegner sehen darin einen dramatischen Schwund | |
der Kampfmoral. „Nur Weicheier tragen Selbstgestricktes“, erklärt etwa | |
Major Mark Borsig mit knarzender Stimme seine Sicht der Dinge, „wir sind | |
hier schließlich kein Mädchenpensionat!“ | |
Doch in Anbetracht der wachsenden Schwierigkeiten, überhaupt noch junge | |
Leute für den Einsatz an der Waffe zu begeistern, muss auch ein harter | |
Knochen wie Borsig das weibische Treiben wohl oder übel in Kauf nehmen. Er | |
muss eben „mit dem Menschenmaterial vorliebnehmen“, das in seinem Camp am | |
Fuße des Hindukusch „angespült“ wird, wie Borsig angewidert erklärt. Was | |
ein Kommisskopp alter Schule wie er nicht wahrhaben will: Das Gehäkel und | |
Gestricke ist weit mehr als nur harmlose Freizeitbeschäftigung. Es ist die | |
Zukunft der Truppe in Afghanistan. | |
Allen Beteiligten ist längst klar, dass auch nach dem Abzug der westlichen | |
Truppen aus dem krisengeschüttelten Land ein Kontingent an Soldaten am | |
Hindukusch verbleiben muss, um die einheimischen Streitkräfte weiter | |
auszubilden und zu unterstützen. | |
Das Problem ist allerdings: Ohne Rückendeckung durch starke westliche | |
Kampfverbände wird diese verbliebene Resttruppe viel stärker noch als heute | |
auf ein gutes Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung angewiesen sein. | |
Nächtliche Razzien oder Bombardierungen von Hochzeitsgesellschaften oder | |
Luftangriffe auf Tanklaster werden dann wohl eher nicht mehr als | |
Kollateralschaden auf dem steinigen Weg zur Demokratie angesehen werden. | |
Respekt vor den kulturellen Werten und Traditionen wird dann tagtäglich | |
vorgelebt werden müssen. Und was wäre im Land der Teppichknüpfer besser | |
geeignet als gemeinsames Handarbeiten? | |
Echte Völkerverständigung beim gemeinsamen Klöppeln in Kandahar – und das | |
Strick-Bataillon wird auch in den Augen der Afghanis zur echten | |
Friedenstruppe mutieren. Verteidigungsminister Thomas de Maizière | |
befürwortet in internen Dienstanweisungen bereits vehement den Aufbau einer | |
hochspezialisierten Stickerei-Einheit, mit ausdrücklicher Unterstützung der | |
Bundeskanzlerin. | |
Fraglich ist allerdings, ob die Integrationsbemühungen der Elite-Häkler | |
auch langfristig wirklich zielführend sind. Unlängst wurden | |
selbstgestrickte Wollmützen aus dem Depot der Bundeswehr in Herat gestohlen | |
und von Taliban-Kämpfern zur Tarnung von Landminen benützt. Beim Versuch, | |
eine solche Mütze aufzuheben, detonierte die Mine und verletzte den | |
Soldaten schwer. | |
Infame Aktionen wie diese werden auch in Zukunft die ernstgemeinten | |
Integrationsbemühungen der Truppe sabotieren. Doch auch für solche Fälle | |
scheint die Bundeswehrführung gerüstet: Noch geheime Planungen sehen vor, | |
im Ernstfall auch wieder mal den guten alten Bombenteppich über dem Land | |
auszurollen. | |
15 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Rüdiger Kind | |
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