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# taz.de -- Autofrei auf Paquetá: Rios vergessenes Vorzimmer
> Die zu Rio de Janeiro gehörende Insel Paquetá war einst ein beliebtes
> Ausflugsziel. Heute wird die autofreie Inselidylle von den Stadtvätern
> vernachlässigt.
Bild: Abendliche Idylle am Ufer von Papuetá.
Jorge Rosas ist der beliebteste Taxifahrer von Paquetá. Dabei gibt es auf
Paquetá weder Autos noch nennenswerten Verkehr. Jorge lenkt eine
zweispännige Kutsche über die Sandwege der Insel. Gelegentlich sitzen auch
Touristen auf dem weißen Polster, meistens aber fährt er Stammkunden.
„Rio“ sagt Jorge, wenn er das 15 Kilometer entfernte Festland meint. Dabei
ist die Insel Paquetá ein Stadtviertel von Rio de Janeiro. Ein Viertel,
dessen acht Kilometer Umfang Jorges Pferde in weniger als einer halben
Stunde umtraben.
Auf den Sand-und Lehmwegen dürfen bis heute keine privaten Kraftfahrzeuge
verkehren. Die Insulaner fahren Rad, Fahrradtaxi oder sie bestellen sich
die Kutsche von Jorge Rosas oder einem seiner Kollegen.
„Ich liebe meinen Job“, sagt der 67-Jährige, „ich bin jeden Tag zwölf
Stunden mit meinen Tieren unterwegs, und das nahezu 365 Tage im Jahr!“
Statt sich Urlaub zu genehmigen, hält Jorge lieber unterwegs am Park Darke
de Mattos an, bindet die Pferde an einem Baum fest und spaziert bis zum
Aussichtstürmchen.
Von hier oben lässt sich in weiter Ferne sogar die Silhouette von São
Gonçalo auf dem Festland erkennen. „Früher hatten wir 31 Kutschen, jetzt
sind es nur noch 19“, erzählt er, „internationale Touristen kommen so gut
wie gar nicht mehr. Es ist, als habe uns die Welt vergessen.“
Dabei fand der Franzose André Thevet vor 455 Jahren die Insel Paquetá noch
bevor Rio de Janeiro gegründet wurde. Da Thevet Frankreichs
Territorialansprüche nicht durchsetzen konnte und die auf Paquetá
ansässigen Tamoio-Indios sich mit den Portugiesen zusammenschlossen, gelang
die 15 Kilometer vom Festland entfernte Hauptinsel des Archipels Paquetá in
die Hände portugiesischer Besitzer. Sie besiedelten die Südhälfte und
verwandelten die Nordhälfte in eine Fazenda, die Fleisch und Gemüse für Rio
lieferte.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lernt König Dom João VI. die romantischen
Strände und schattigen Spazierwege unter den Flamboyants nicht nur als
Ausflugsziel schätzen; er nutzt die Insel auch als politisches Zentrum.
Noch im selben Jahrhundert wird der regelmäßige Schiffsverkehr zwischen
Rios Stadtzentrum und der Insel eingerichtet, bauen reiche Familien sich
Wochenendresidenzen.
## Der Takt ist anders
Die umständliche Anreise hat der Insel den dörflichen Charme bewahrt. Nur
ein paar tausend Menschen leben das ganze Jahr hier, viele sind Rentner,
auch einige Familien mit kleinen Kindern schätzen es, dass hier keine
Schießereien drohen, dass alles zu Fuß erreichbar ist. „Wir leben hier in
einem anderen Rhythmus - viele hier sind noch nie auf einer Rolltreppe
gefahren oder haben in einem Selbstbedienungsrestaurant gegessen,“ sagt
Fremdenführerin Selma Cury.
Typisch für die Insulaner ist ihre Eigeninitiative: Selma bietet in ihrem
Haus Bed & Breakfast an, backt frisches Brot und hat für die Gäste
Fahrräder und Kajaks angeschafft.
Leicht ist das Leben auf der Insel nicht. Alle Lebensmittel kommen vom
Festland und sind entsprechend teuer. An Wochenenden überschwemmen
Ausflügler die 19 Kutschen, zwölf Strände und zahlreichen Lokale - und
hinterlassen mehr Abfälle als Bares. Seit Jahren kämpft die Insel gegen den
Ruf, dreckig zu sein, dabei sind die Strände allesamt sauber geharkt - nur
Algen färben das Wasser dunkel.
## Der Geldregen bleibt aus
Im Hinblick auf die WM im Jahr 2014 und die Olympischen Spiele 2016 werden
zurzeit in Rio Milliardenprojekte vergeben: für verbesserte Infrastruktur
und Hotelneubauten, Sicherheitsprogramme für die Slums, Revitalisierung des
Hafengeländes, Projekte für den Tourismus. Paquetá ist nicht dabei.
Die Tourismusbehörde Rios wirbt schon lange nicht mehr für Paquetá.
Stattdessen haben die Einwohner selbst eine Organisation zur Förderung des
Tourismus gegründet und einen Plan für nachhaltige Entwicklung aufgestellt.
Mit dem Projekt „Paquetá wiederbeleben“ haben sie sogar eine Ausschreibung
für öffentliche Gelder gewonnen, die in diesem Jahr unter anderem Vorträge
über die Geschichte der Insel, Kurse in Kunsthandwerk und Aktionen zur
Sensibilisierung für Umweltfragen finanzieren werden.
## Profimusiker auf der Fähre
Und am letzten Sonntag im Monat ertönen neuerdings in der Kabine der
Zehn-Uhr-dreißig-Fähre Gitarre und Cavaquinho, Querflöte und Tamburin:
Profimusiker aus Rio lassen die alten Weisen des Choro ertönen, der als
Vorbote des Samba gilt. Die meisten älteren Herrschaften kennen die Texte
auswendig und singen leise mit.
Nachmittags spielen die gleichen Musiker im Garten des Kulturzentrums Casa
de Artes. Das haben José Lavrador Kevorkian und seine Frau Josiane in einer
ehemaligen Schule eingerichtet.
José Lavrador träumt davon, die Insel wieder als Naherholungsgebiet für die
Leute vom Festland zu etablieren. Sie sollen mit den Fischern aufs Meer
fahren und unter den Flamboyants das Nichtstun lernen. Ob die Fischer
mitmachen, weiß er noch nicht, aber Kutscher Jorge ist Feuer und Flamme für
den Plan.
19 Jan 2013
## AUTOREN
Christine Wollowski
## TAGS
Reiseland Brasilien
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