# taz.de -- Willkürliche Kürzungen: Lieber gleich ganz verzichten | |
> Wer auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen ist, stößt nicht | |
> selten auf Widerstand des Jobcenters. Das streicht Leistungen, selbst | |
> wenn es das gar nicht darf. | |
Bild: Knapp 15.000 ArbeitnehmerInnen beziehen vom Bremer Jobcenter ergänzende … | |
Marita Schuster* hat es ihrer ehemaligen Sachbearbeiterin beim Bremer | |
Jobcenter zu verdanken, dass sie heute eine Anstellung als Arzthelferin | |
hat. Die hatte der mittlerweile 51-Jährigen vor knapp drei Jahren die | |
entsprechende Umschulung ermöglicht. Schuster kann aus gesundheitlichen | |
Gründen nicht mehr in ihrem Beruf als Altenpflegerin arbeiten und war als | |
alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern jahrelang auf Sozialhilfe und | |
Hartz IV angewiesen. Nun ist ihre Älteste aus dem Haus und die jüngere | |
weitestgehend selbständig – und Schuster wurde am ersten September in der | |
Praxis, wo sie ihre Umschulung absolviert hat, übernommen. Trotzdem muss | |
sie weiterhin ergänzende Hartz-IV-Leistungen in Anspruch nehmen, denn ihr | |
Verdienst ist zu gering für sie und ihre Tochter – allerdings hat auch das | |
Jobcenter das erst anerkannt, als Schuster drohte, an die Öffentlichkeit zu | |
gehen. | |
Marita Schusters Sachbearbeiterin beim Jobcenter riet ihr im vergangenen | |
Sommer dringend, weiter Hartz IV zu beantragen, denn für ihre | |
33-Stunden-Stelle bekommt die Arzthelferin magere 900 Euro im Monat. Kein | |
Einzelfall, im Gegenteil: Im August hat das Jobcenter Bremen knapp 15.000 | |
„Ergänzer“ betreut. Und vor allem Frauen arbeiten oft in Billigjobs: Die | |
Arbeitnehmerkammer hat im Dezember eine Studie vorgestellt, nach der 23 | |
Prozent der Arbeitnehmerinnen in Bremen zu Niedriglöhnen arbeiten. Schuster | |
ist trotzdem froh über ihren Arbeitsplatz, „und eigentlich sollte sich ja | |
auch das Jobcenter darüber freuen“. | |
Tut es aber nicht: Im November bekam Schuster Post von der | |
Leistungsabteilung mit der Ankündigung, die bisher gezahlte Ergänzung in | |
Höhe von 145 Euro einzustellen. Sie solle erst einmal Wohngeld und | |
Kinderzuschlag beantragen. „Aber bereits im August“, sagt Schuster, „hatte | |
meine Sachbearbeiterin schon sämtliche Unterlagen von mir – auch meinen | |
Arbeitsvertrag, in dem ja zu lesen war, wie viel ich verdienen würde.“ Und | |
die Sachbearbeiterin, die mittlerweile nicht mehr beim Jobcenter tätig ist, | |
hatte ihr damals aus gutem Grunde zu einem Hartz-IV-Antrag geraten: | |
„Kinderzuschlag steht mir nämlich gar nicht zu“, so Schuster, „und das | |
Wohngeld würde geringer ausfallen als die ergänzende Hilfe.“ Beim | |
Wohngeldamt bestätigte sich das, „und bei der Familienkasse haben die | |
losgelacht, als ich dort auftauchte“. Immer wieder, sagte man ihr dort, | |
würden die MitarbeiterInnen vom Jobcenter an sie verweisen, obwohl | |
definitiv kein Anspruch bestünde. Der liegt bereits dann nicht mehr vor, | |
wenn das Kind eines Antragstellers über ein Einkommen verfügt, das über 140 | |
Euro im Monat liegt. Einkommen bedeutet beispielsweise Halbwaisenrente oder | |
Unterhalt: „Meine Tochter erhält mehr als 200 Euro Unterhalt im Monat, also | |
gibt’s auch keinen Kinderzuschlag“, sagt Schuster. | |
Kristina Bumb, sowohl Sprecherin des Jobcenters als auch der Familienkasse, | |
widerspricht: „Es gibt keine systematischen Probleme bei der Prüfung der in | |
Frage kommenden Leistungen. Wenn es Unstimmigkeiten bei der Prüfung eines | |
Falles gegeben haben sollte, handelt es sich um einen Einzelfall.“ | |
„Immer wieder“, sagt indes auch Inge Gräfe-Heigl von der Bremer | |
Erwerbslosen- und Sozialberatung „Solidarische Hilfe“, „suchen Menschen b… | |
uns Rat, die wegen eines vermeintlichen Anspruchs auf Kinderzuschlag Ärger | |
mit dem Jobcenter haben.“ Obwohl diese Leistung bereits 2005 eingeführt | |
worden ist, „haben viele Jobcenter-MitarbeiterInnen bis heute keine Ahnung | |
davon, weil sie zu schlecht qualifiziert sind.“ Darüber hinaus würden sie | |
angehalten, ständig die Fallzahlen zu korrigieren: „Die bekommen Druck von | |
oben.“ Dabei dürfe das Jobcenter die Leistungen gar nicht einstellen, | |
sondern müsse sie überbrückungshalber weiterzahlen: „Das können Betroffene | |
per Eilantrag vor Gericht durchsetzen.“ Trotzdem sei es die Regel, dass das | |
Jobcenter die Zahlungen stoppe. | |
Viele Leistungsberechtigte verzichten da lieber auf ihre Ansprüche: | |
„Aktuell habe ich einen Fall“, so Gräfe-Heigl, „wo Elterngeldbezieher auf | |
100 Euro ergänzende Hilfe verzichten, weil sie mit dieser Behörde nichts | |
mehr zu tun haben wollen.“ Die meisten können sich einen solchen Schritt | |
freilich nicht leisten – auch nicht Marita Schuster: „Liebend gerne würde | |
ich ohne das Jobcenter klarkommen, denn es ist entwürdigend, wie man dort | |
behandelt wird. Die tun so, als sei es meine Schuld, dass ich so schlecht | |
bezahlt werde.“ | |
Kristina Bumb sieht das anders: „Was auf den ersten Blick klar erscheint, | |
muss oft den Vorgaben einer hochkomplizierten Rechtslage folgen.“ Man | |
bemühe sich aber immer, den Ansprüchen der Leistungsempfänger so schnell | |
wie möglich gerecht zu werden. | |
Schusters Hartz-IV-Antrag wurde dann auch sehr schnell bearbeitet, die | |
hochkomplizierte Rechtslage ließ einen Bescheid plötzlich innerhalb von 24 | |
Stunden zu – nachdem sie freilich telefonisch bei der Leistungsabteilung | |
angekündigt hatte, sich an die taz zu wenden. Das war am 3. Januar. Einen | |
Tag später bewilligte ihr das Jobcenter ergänzende Hilfe zum | |
Lebensunterhalt. | |
*Name geändert | |
17 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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