Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Die Satten und die Ratten
> Haus- und Wanderratten gehen sich aus dem Weg.
Wir Biologen unterscheiden zwei Arten von Ratten: Die gemütliche Hausratte
und die ungemütliche Wanderratte. Die Hausratte ist leider faul und derart
kopulationsträge, dass sie in vielen Bundesländern auf der Roten Liste der
gefährdeten Tierarten steht. Diese Trägheit ist offenbar nichts Neues, denn
schon vor 100 Jahren war im „Buch der Tierwelt“ zu lesen, dass die
Hausratte recht selten geworden ist.
Wie konnte die seltene Hausratte nur an ihren selten schlechten Ruf
geraten, der ihr weithin scheuen Respekt unter den Menschen eintrug? Den
verdanken die klugen Faulpelze wohl ihren emsigen Verwandten, den
Wanderratten. So schreibt Brehm über die Ratten: „Es sind verbürgte
Beispiele bekannt, dass sie kleine Kinder bei lebendigem Leibe aufgefressen
haben.
Sehr fetten Schweinen fressen sie Löcher in den Leib und dicht
zusammengeschichteten Gänsen die Schwimmhäute zwischen den Zehen weg, dem
Tierhändler Hagenbeck töteten sie 3 junge afrikanische Elefanten, indem sie
diesen gewaltigen Tieren die Fußsohlen zernagten.“
Dass unsere Hausratten allerdings Vegetarier sind, hat Brehm in der
Aufregung leider übersehen. Die mutigen Wanderratten mühen sich mit
dickleibigen Beute-Elefanten ab, während die Hausratte bequem im gemachten
Nest liegt und zu Möhren und knusprigen Haferflocken greift. Denn Mischobst
mag die Hausratte, für die mühsame Jagd ist sie sich dagegen zu schade, die
Gutratte, die selbstgefällige!
Wenn der Rattenfänger von Hameln seinerzeit die musikbegeisterten Ratten
mit Flötenklang und Tralala aus der Stadt lockte, so konnte das nur mit den
kulturell verweichlichten Hausratten funktionieren, die derben Wanderratten
hätten dem Musikus nur die Stinkepfote gezeigt, wenn sie damals nicht noch
hinter der Wolga gehaust hätten.
Denn daher kommen die fleißigen Wanderratten und nur diese haben sich den
Namen Ratten redlich verdient: „Sie frisst alles, was nur irgend genießbar
ist. Ob lebendig oder tot, ob frisch oder verfault!“, schreibt Lackowitz im
Jahr 1900 über die Hausratte, beschreibt aber tatsächlich nur unsere
genügsame Wanderratte. Denn während sich diese als „Königin der Kloake“
durch die stinkende Kanalisation schlagen muss, sitzen die Herrschaften
Hausratten gemütlich auf ihren trockenen Dachböden und knabbern Cerealien.
Niemals würde eine Hausratte durch das Steigrohr in unsere
Toilettenschüssel klettern und entsetzte Sitzpinkler aufscheuchen, denn
Hausratten sind wasserscheu und wollen sich den Pelz nicht nass machen.
Gern aber profitieren sie von ihrem unverdient schlechten Ruf, wenn sie
Menschen erschrecken, die vor ihnen die Flucht ergreifen.
Auch den oft beschworenen Krieg führen beide Rattenarten nicht miteinander.
Da sei die angeborene Tötungshemmung unter Ratten vor – feindliche Ratten
bedrohen einander nur und gehen nach einem angemessenen Ritual ihrer Wege.
Die Wanderratte sucht sich im Kanal etwas Fressbares, und die Hausratte
geht nach Hause. Dort zieht sie ihre Filzpantoffeln über, holt die
Knabbernüsse und sieht ein Heimvideo – „Ratatouille“ vermutlich.
23 Jan 2013
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.