# taz.de -- Philosophiemagazin "Hohe Luft": Wie ein Maulwurf | |
> Das Hamburger Magazin "Hohe Luft" behandelt philosophische Fragen und | |
> konnte damit seine Auflage verdoppeln. | |
Bild: Mag den Sound der Philosophie: "Hohe Luft"-Chefredakteur Thomas Vašek. | |
HAMBURG taz | Der Maulwurf wühlt sich durch die Erde. Tief graben seine | |
Krallen, buddeln Tunnel im Dunklen. Nur manchmal kommt er ans Licht, selten | |
kriegt man ihn zu Gesicht. Für Thomas Vašek ähnelt der Maulwurf von seiner | |
Art her einem Philosophen; zumindest ist er das erste Tier, was ihm ad hoc | |
einfällt, als ihn jemand aus dem Publikum danach fragt. „Ich mag ihn, er | |
hat so was Erdverbundenes.“ | |
Es ist ein kühler Novemberabend, draußen rieseln Schneeflocken. In der | |
Hamburger Modern Life School flackern Kerzen, es gibt Tee und vegetarische | |
Suppe; philosophische Klassiker von Heidegger, Kant und Nietzsche stehen in | |
den Regalen. Mehr und mehr Menschen trudeln ein, sie kommen, weil sie mit | |
Thomas Vašek, Chefredakteur des Philosophiemagazins Hohe Luft, und Ina | |
Schmidt, einer promovierten Philosophin und Autorin, über die Frage | |
diskutieren möchten: „Wozu Philosophie?“ Die Veranstaltung heißt „Hohe … | |
zum Anfassen“. | |
Seit nunmehr einem Jahr gibt es das Magazin Hohe Luft, das sich der | |
analytischen Philosophie widmet, heißt: Es geht besonders um Begriffe, die | |
wir täglich verwenden und in der Zeitung lesen, deren Bedeutung jedoch | |
meist nicht so klar ist, wie wir oftmals annehmen. Was ist Liebe, | |
Freundschaft, Gerechtigkeit, Humor? Fragen, die im Heft immer wieder | |
auftauchen, auf die es aber freilich keine eindeutigen Antworten gibt. | |
Ein Mittwoch im Dezember. In einem Hinterhof der Hoheluftchaussee in | |
Hamburg steht eine alte Tabakfabrik. In dem Gebäude ist unter anderem der | |
Verlag Inspiring Network eingezogen, unter dessen Leitung das Frauenmagazin | |
Emotion und Hohe Luft produziert und verlegt werden. Für die | |
Schlussproduktion ist auch die Redaktion des Philosophiemagazins hier. Sie | |
arbeitet sonst in München. | |
Der Raum ist dunkel und provisorisch eingerichtet. Die hellsten | |
Lichtquellen sind flimmernde Bildschirme, das Klacken von Fingern auf | |
Tastaturen erfüllt den Raum, ab und an zischt die Kaffeemaschine. Ein | |
Konzert, das jeder Journalist kennt. Drei Frauen und drei Männer arbeiten | |
am Feinschliff. In zwei Tagen muss das Magazin redigiert sein. | |
„Wir sind echt im Stress“, sagt Thomas Vašek, „aber dann red’ ich einf… | |
schnell.“ Dennoch nimmt er sich bei einem Cappuccino in der Küche des | |
Verlags mehr als eine Stunde Zeit für ein Gespräch über seine Passion für | |
die Philosophie, sein Magazin und die Idee dahinter. Etwas müde sieht er | |
aus, eben wie ein Chefredakteur kurz vor Redaktionsschluss. Vašek redet | |
ruhig und gelassen, mit einem österreichischen Akzent. Aufgewachsen ist er | |
in Wien. | |
Philosophie bedeutet Vašek viel, schon als Jugendlicher liest er | |
philosophische Texte von Hegel. Durchaus kein leichter Tobak. Doch seien | |
die ersten Begegnungen mit der Philosophie für ihn wie ein Rausch gewesen. | |
„Diesen Sound von damals hab’ ich noch immer im Ohr.“ | |
## Philosophie verstehbar machen | |
Seitdem versuche er, Philosophie verstehbar zu machen, sie zu erden, und | |
diese Absicht ist letztlich in der Entstehung von Hohe Luft kulminiert. | |
„Wir fanden die Idee super, ein Philosophiemagazin zu machen. Seither | |
versuchen wir, auf Augenhöhe mit den Jungs zu bleiben, den Kants, den | |
Hegels. Leider neigt man oft dazu, sie auf ein Podest zu heben.“ | |
Wohl auch deswegen hatte er den spontanen Einfall mit dem Maulwurf. „Der | |
bleibt am Boden, übt intellektuelle Demut und wühlt sich beharrlich durch | |
die Erde. Auch sieht er bekanntlich nicht gut. Das gefällt mir als Metapher | |
für die Situation des erkennenden Menschen.“ | |
Ohne die Geschäftsführerin des Verlages Inspiring Network, Katarzyna | |
Mol-Wolf, hätte er das Magazin wohl nicht produzieren können. Ihr Büro ist | |
ein Stockwerk über der temporären Redaktion von Hohe Luft. Auf einer Decke | |
sitzt ihre neun Monate alte Tochter Clara und nuckelt an einer Flasche. | |
Katarzyna Mol-Wolf bot Thomas Vašek die Chance, Hohe Luft von ihrem noch | |
jungen Verlag herausgeben zu lassen. Die beiden kannten sich schon lange. | |
Sie war von der Idee begeistert, denn mit Philosophie erweitere man seinen | |
Horizont, sagt sie. Doch seien philosophische Themen keine Selbstläufer. | |
„Unsere Schmerzgrenze waren 11.000 verkaufte Exemplare, jetzt liegen wir | |
bei fast doppelt so vielen“, sagt Mol-Wolf. | |
## Entschleunigte Leser | |
Woran das wohl liegt? „Ich möchte mit Printjournalismus etwas liefern, was | |
online nicht kann. Das gelingt uns mit Hohe Luft auf jeden Fall, weil das | |
Magazin seine Leser entschleunigt, ein wenig rausnimmt aus dem Leben und in | |
eine Welt des Nachdenkens entführt.“ | |
Wie das konkret aussieht, sieht man ab Donnerstag am Kiosk. Die | |
Titelgeschichte: „Worauf es wirklich ankommt“, bezogen auf ein Interview | |
mit dem bekannten britischen Moralphilosophen Derek Parfit. Ferner geht es | |
um Grenzen der Toleranz, ob man an Gott glauben muss, um religiös zu sein, | |
um Transparenz, Humor und um die Frage, ob das, was wir sehen und erleben, | |
wirklich existiert. | |
Auch Perversion ist ein Thema. Wann ist etwas pervers? Der 23-jährige Robin | |
Droemer, jüngster Schreiber bei Hohe Luft und Student der Philosophie in | |
Hildesheim, hat dazu recherchiert. Auf die Themenidee kam er durch ein | |
Video auf Youtube, wo ein Mann gesteht, er habe seit mehr als 20 Jahren ein | |
sexuelles Verhältnis mit einem Gummibaum. „Da würde fast jeder sagen: klar, | |
das ist pervers“, sagt Droemer. „Aber auch das muss sich die Philosophie | |
trauen zu hinterfragen.“ Philosophen setzen sich nur selten mit Sex | |
auseinander, ergo gebe es wenig Literatur zu dem Thema. Der entstandene | |
Artikel heißt: „Pervers sind die anderen“. | |
Diese aus dem Leben gegriffenen Fragen seien es, die die Leser | |
interessieren, sagt Chefredakteur Thomas Vašek. „Unsere Doktrin lautet: No | |
Bullshit! Wir versuchen stets zu vermeiden, Philosophie zu trivialisieren.“ | |
Das gelinge nur, wenn man sich, metaphorisch gesprochen, durch die Erde | |
wühlt und Tunnel gräbt, um ans Licht zu kommen. Wie ein Maulwurf eben. | |
22 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Amadeus Ulrich | |
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