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# taz.de -- Michael Lange über den deutschen Wald: "Ein unfassbarer Raum"
> Der Hamburger Fotograf Michael Lange hat über drei Jahre hinweg Wälder
> fotografiert. Ins journalistische Tagesgeschäft will er nicht zurück.
Bild: Menschengemacht und immer in Bewegung: Der deutsche Wald.
taz: Herr Lange, sind Sie und Ihr Schaffen eigentlich von Heimatliebe
angetrieben?
Michael Lange: Nein!
Oder gar Patriotismus?
Nein! Mein Nein hatte übrigens ein Ausrufezeichen! Wie kommen Sie bloß
darauf?
Weil Ihre Hamburger Fotoausstellung „Wald“ das vielleicht deutscheste
Grundmotiv abbildet, den urgermanischen Sehnsuchtsort schlechthin.
(zögert lange) Da darf man nicht vom Motiv auf die Intention schließen. Ich
bin kein Konzeptkünstler, sondern fotografiere, wo etwas mit mir schwingt
und umgekehrt. Als Journalist nehme ich einen Auftrag entgegen und
bebildere ihn eher technisch; als sinnlicher Künstler, der ich bin,
entsteht eine Verbindung zum Motiv.
Welche ist das bei Ihnen?
Geborgenheit. Weil man nie genau weiß, was bei einem Fotoprojekt rauskommt,
geht man in ein Risiko. Im Wald habe ich diese Geborgenheit gefunden. Ich
bin in einer sehr waldreichen Gegend bei Heidelberg aufgewachsen. Wald ist
ein vertrauter, ein sicherer Ort für mich, deshalb war da von Beginn an
diese tiefe Verbundenheit zum Motiv.
Was war also zuerst da – ein Waldgefühl, aus dem dieses Projekt entstanden
ist, oder eine Projektidee, die Sie dann im Wald realisiert haben?
Zuerst war die Landschaftsfotografie. An die musste ich mit dem Wald nur im
Bewusstsein andocken. Das war mir wichtig, nachdem ich zuvor mit dem
Projekt „L.A. Drive-by“ aus dem fahrenden Auto heraus in Los Angeles
fotografiert hatte.
Quasi der menschengemachte Unterschied zum Naturreservat Wald.
Wenn man so will schon, aber auch der Wald auf meinen Bildern ist ja
menschengemacht: In Deutschland gibt es keinen Urwald mehr. 1750 war der
deutsche Wald praktisch abgeholzt, als den Menschen plötzlich auffiel, was
ihnen da verloren gegangen war. Daraus resultierte eine 150-jährige
Aufforstungsinitiative, dessen Ergebnis der deutsche Wald von heute ist.
Kriegt man dabei eine Art wissenschaftliches Interesse am Motiv?
Man bekommt mehr mit, es öffnet sich ein Blick und die Wahrnehmung für
Details, für Veränderungen. So habe ich zum Beispiel das Zwielicht und die
Dämmerung für mein Projekt entdeckt, in der ungeheuer viel passiert, gerade
weil der Wald so still wird. So wurde der Wald für mich zu einer
Projektionsfläche.
Wofür?
Für meine Sehnsucht, den unfassbaren Raum der Bewegung und zugleich den
scheinbaren Stillstand zu fassen. Den Raum, der sich permanent verändert –
in den Jahres- und Tageszeiten, durch Licht und Wetter, durch die eigene
Wahrnehmung. Landschaft ist hierzulande stets eine Kulturlandschaft;
trotzdem enthält sie ein natürliches, gewachsenes Chaos, in das man als
Fotograf durch Motivwahl, Anordnung, Ausschnitt eine gewisse Ordnung
bringt, um es dem Betrachter verständlich zu machen.
Eignet sich der Kontrast des baumlosen Ausstellungsorts in der Hamburger
City dafür besonders?
Er eignet sich gut, aber dahinter steckt keine Zielsetzung. Wenn ich meine
Bilder gemacht habe, lasse ich sie los, dann entwickeln sie ihr Eigenleben.
Mein Ziel ist höchstens, ein Gefühl zu transportieren, das beim Betrachter
eigene Empfindungen ermöglicht.
Ist diese Interpretationslücke der wesentliche Unterschied zwischen
künstlerischer und journalistischer Fotografie?
Genau, wenn ich für Geo eine Bildserie mache, gibt es eine klare
Zielsetzung.
Unterscheiden sich beide Felder auch handwerklich?
Nur insofern, als journalistische Fotografie eventuelle handwerkliche
Mängel über Text und Motiv ausgleichen kann, während künstlerische
Fotografie ohne fachliche Kompetenz dilettantisch aussieht. Deshalb gehe
ich hier auch mit anderem Rüstzeug ran – Fachkamera, digitales
Mittelformat, Stativ, sehr fokussiert. Ich suche meine Motive, gehe vorab
hin, markiere die Plätze, mache Polaroids.
Wie ein Drehbuch.
Genau. Trotzdem gibt es Momente, wo ich ein Motiv sehe und sofort zur
großen Kamera wechsle. Bei dem da vorn (zeigt auf ein Waldbild) bin ich
sicher fünfmal hingefahren, um die richtige Atmosphäre zu finden. Dieser
Aufwand ist in der Magazinfotografie undenkbar.
Und womit verdient man mehr?
Journalistische Fotografie ist so brutal geworden, dass davon nur noch die
wenigsten ihr Leben finanzieren können. Wenn ich früher für sieben
Doppelseiten sechs Wochen Zeit hatte, fragen die Redakteure heute eher, ob
ich das in sieben Tagen schaffe. Deshalb arbeite ich fast gar nicht mehr
für Magazine.
Weil der Ertrag zu gering ist oder die Zeit zu kurz?
Weil der Respekt vor den Erfordernissen meiner Arbeit fehlt. Gerade hat mir
ein herausragender Kollege erzählt, ein sehr angesehenes Magazin habe ihm
eine zehntägige Reisereportage angeboten, für die man ihm aber leider nur
zwei Tage Honorar zahlen könne. Das ist doch ’ne Frechheit!
Was im Umkehrschluss heißt, von der Kunstfotografie können Sie gut leben?
Die Menschen mögen meine Arbeit, ich verkaufe sie gut.
Auch für 4.000 Euro aufwärts.
Auch das. In Berlin hatte ich Sammler aus Brasilien, New York, sogar
Berliner haben gekauft.
War das Gefälle in den Goldgräberzeiten des Magazinjournalismus umgekehrt?
Ich glaube nicht. Aber damals, in den 80ern, als ich für Magazine wie den
Stern, Geo, Manager Magazin gearbeitet habe, war das gar kein Thema. Wir
wurden hervorragend bezahlt. Jetzt bin ich sehr zufrieden mit meiner
Situation. Was natürlich auch an der freien und selbstbestimmten
Projektarbeit liegt.
Was ist Ihr nächstes Motiv?
Die Rheinauen.
Welche genau?
Der Ort spielt keine Rolle. Die Waldausstellung entstand in ganz
Deutschland, aber ich hätte sie auch nur im Trittauer Forst fotografieren
können.
##
23 Jan 2013
## AUTOREN
Jan Freitag
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