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# taz.de -- Die Wahrheit: Schwules Gemüse
> Im Inneren der telefonischen Realität.
Bild: In der grotesken Welt der Telefonumfrager kann eine riesige Zwiebel zum s…
Unvermittelt erwachte der seit dreizehn Jahren unberührt auf der Kommode
stehende Apparat zum Leben: „Ring, ring!“, schepperte es ungewohnt aus den
verstaubten Klingelschlitzen durch die Weiten des Vestibüls. Dennoch war
sofort klar, was zu tun ist. Beherzt griff Alwin Rosenstock zum Hörer und
brummte hinein.
„Jo!“ – „Guten Tag, spreche ich mit Herrn Rosenstock?“ – „Am Appa…
„Sehr gut, dass ich Sie erreiche.“ – „Was gibt’s denn?“ – „Ja, …
ich rufe im Auftrag des Instituts für Parallelwissenschaften und
transzendente Forschung an.“ – „Hmmm …“ – „Nun, wir führen gerad…
Umfrage durch, und wir hätten gerne Ihre Meinung eingeholt. Könnten Sie ein
paar Minuten Ihrer Zeit dafür erübrigen?“ Alwin Rosenstock blickte auf den
verstaubten Fernsprecher und grübelte. Sollte er dem fremden Mann eine
Frage beantworten? Zeit hätte er ja eigentlich.
„Na, dann schießen Sie mal los“, sagte er forsch. „Sehr gut, es geht um …
Themenkomplex ’schwules Gemüse‘. Sagt Ihnen der Begriff etwas?“ Alwin
Rosenstock wusste nicht so recht, was er darauf antworten sollte, wollte er
sich doch keine Blöße vor dem Unbekannten geben. „Ja, sicher, für was
halten Sie mich? Einen Hinterwäldler?“, blaffte er vielleicht etwas zu
erregt ins Telefon. „Nicht im Geringsten, mein lieber Herr Rosenstock, das
sind alles Standardfragen.“ – „Verstehe, tut mir leid, fragen Sie ruhig
weiter.“ – „Sehr gerne.
Welche Arten von schwulem Gemüse sind Ihnen bekannt: krumme Gurken, fette
Rüben, krauser Kohl, flache Bohnen, grüne Quitten?“ – „Sind Quitten denn
überhaupt Gemüse?“, fragte Alwin Rosenstock verwirrt. – „Puh, ja wissen
Sie“, entgegnete der Anrufer, „das weiß ich selber nicht so genau, aber
wenn das hier im Computer steht!“ – „Na, ich kann doch nicht sagen, dass
ich grüne Quitten als schwules Gemüse kenne, wenn das am Ende gar keine
Gemüse ist. Wie stehe ich denn dann da?“ – „Die Umfrage ist anonym, Herr
Rosenstock.“ – „Na, wenn schon, es geht doch ums Prinzip!“
Für einen kurzen Augenblick überlegte Alwin Rosenstock, den Hörer einfach
auf die Gabel zu knallen und sich wieder in seinen Schaukelstuhl zu setzen,
dann entschied er, dem armen Teufel am anderen Ende noch eine Chance zu
geben.
„Na, meinetwegen. Sagen wir, ich kenne Ihren ganzen Schweinkram.“ –
„Wunderbar, Herr Rosenstock. Und auf einer Skala von 1 bis 7, wie würden
Sie Ihre bisherigen Erfahrungen mit schwulem Gemüse beurteilen?“ – „Ja,
hören Sie mal, das ist schon etwas intim jetzt, finden Sie nicht?“ – „He…
Rosenstock, es geht hier um die Wissenschaft, wir fragen ja nicht aus
lauter Jux und Dollerei!“ – „Na bitte sehr, dann eben 5!“ – „Vielen…
wird sofort notiert. Kommen wir nun zum Thema Verhütung und Vorsorge …“
Etwa 43 Minuten später glühte Alwin Rosenstock das Ohr, und die Zunge wurde
ihm schon ganz trocken von der vielen Umfragerei. „Ja, nun sagen Sie mal,
was wollen Sie denn noch alles wissen?“, unterbrach der den wissbegierigen
Anrufer. „Wir sind gleich durch, Herr Rosenstock, noch ein paar
statistische Angaben für die Auswertung.“ – „Hmmm, wenn’s denn sein mu…
– „Sind Sie alleinerziehend und/oder verwitwet, haben Sie versehentlich
Arbeitslosengeld II bezogen oder länger als drei Monate auf einem
Marinekreuzer gedient?
Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal geboren zu werden und wenn ja,
wären Sie bereit, sich dafür auf molekularer Ebene von einem
Magnetresonanztomographen abtasten zu lassen? Gibt es in Ihrer Familie
Fälle von wahnhaften Multispektralschwachsinn oder Milzdrainage?“
Seelenruhig beantwortete Alwin Rosenstock alle Fragen ausnahmslos mit Ja
und betete inständig, die Umfrage möge nun endlich ein Ende nehmen. Da kam
die Erlösung. „So, dann wären wir eigentlich auch schon durch. Wir müssen
nur schnell noch Ihre Bankdaten und Anschrift abgleichen, dann kann morgen
schon der Monteur kommen!“ – „Wunderbar“, keuchte Alwin Rosenstock vom
mittlerweile eineinhalbstündigen Telefonat sichtlich geschwächt. Er gab
alles preis, alle Daten, alle Fakten, sein ganzes wertvolles persönliches
Kapital.
„Das freut mich sehr, Herr Rosenstock. Noch vor dem Wochenende können Sie
Ihren eigenen kleinen Zwei-Megawatt-Heimreaktor in Betrieb nehmen. Ich
bedanke mich und auf Wiederhören!“ – „Ja, tschö mit ö“, sagte Alwin
Rosenstock und legte auf.
Von Zeit zu Zeit tat es ja doch gut, sich mal richtig mit jemandem
auszusprechen.
25 Jan 2013
## AUTOREN
Michael Gückel
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