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# taz.de -- Nachgerückt in Bremens Bürgerschaft: Anwältin für Woltmershausen
> Für die ausgeschiedene Senatorin Jürgens-Pieper rückt eine junge
> deutsch-türkische Abgeordnete nach: Sanem Güngör. Eine typische
> SPD-Nachwuchspolitikerin?
Bild: Sanem Güngör vor einem Kunstwerk ihrer Mutter Ingrid Erdinc.
BREMEN taz | Die SPD-Fraktion hat seit der vergangenen Woche ein neues
Gesicht: Sanem Güngör ist als Abgeordnete nachgerückt, weil Renate
Jürgens-Pieper nach ihrem Rücktritt als Senatorin auf ihr Mandat verzichtet
hat. Sanem Güngör war 2011 in die Bürgerschaft gekommen, musste ihren Platz
aber nach wenigen Wochen wieder räumen, als Ingelore Rosenkötter aus dem
Senat ausschied und weiter in der Bürgerschaft arbeiten wollte.
Nun scheint ihr Bürgerschaftsmandat aber von Dauer zu sein, ein weiteres
Ausscheiden eines SPD-Senators steht nicht in Aussicht. Sanem Güngör, von
Beruf Anwältin, ist gerade 31 Jahre alt geworden – die SPD wird wohl in den
nächsten Jahren mit ihr rechnen müssen. Oder können.
Was für Menschen gewinnt die SPD derzeit als Nachwuchs-Politikerinnen?
Sanem Güngör ist das Kind einer zukünftigen EU: Ihr Vater kam zum Studium
aus der Türkei nach Deutschland, lernte hier an der Hochschule
Elektroingenieur. Ihre Mutter stammt aus Berlin und hatte ein Atelier als
Modedesignerin. Der Vater war Moslem, die Mutter evangelisch – die Eltern
akzeptieren das so und erzogen die Tochter „offen“, wie Sanem Güngör es
nennt. Mit diesem familiären Hintergrund könnte sie prädestiniert sein für
eine integrationspolitische Vermittlungsarbeit – aber gerade das will sie
nicht: „Ich versuche, das möglichst wenig zu machen“, sagt sie. „Ich fin…
für frauenpolitische Themen sollten Männer sprechen, für
integrationspolitische Themen eher Deutsche.“ Aber wenn die Türkei in die
EU aufgenommen würde, „würde mich das freuen, klar“.
Wenn sie dort ist, entweder im Urlaub oder zum Besuch bei Verwandten, dann
fühlt sie sich wohl. „Ich mag die Atmosphäre dort, das Land ist sehr jung,
sehr dynamisch. Sicher, der Müll, das könnte weniger sein. Aber dieses
Stringente und Geordnete ist auch nicht mein Ding.“ Die Lebensweise in der
Türkei gefällt ihr, das Lockere, Temperamentvolle. „Man diskutiert dort
eher, streitet sich – und dann es ist auch wieder gut.“
Bei den Jusos war sie nicht aktiv, als Jugendliche hat sie sich sozial
engagiert: Sie hat in Osterholz den Nachbarkindern für die Schule geholfen,
also Nachhilfe gegeben, aber ehrenamtlich. Und sie hat beim DLRG
Schwimmkurse gegeben. Soziales Engagement, erzählt sie, das ist ihre Sache.
Am Gymnasium Kurt-Schumacher-Allee hat sie Abitur gemacht, ein Jahr als
Austausch-Schülerin in den USA verbracht.
In die SPD eingetreten ist sie erst im Jahre 2005, als sie Jura studierte
und sich dafür interessierte, wie sich denn die rechtlichen Probleme im
wirklichen Leben anfühlen. Auch da wollte sie nicht die große Welt
verändern, sondern im Konkreten wirken, was lag da näher als die
Beiratsarbeit ihres Wohn-Stadtteils Woltmershausen? Da sie parallel in den
Ortsverein der SPD eintrat, ging dann alles doch sehr schnell. Schon im
Jahre 2007 wurde sie als Kandidatin der SPD für den Beirat aufgestellt.
„Die freuen sich über junge neue Mitglieder“, erklärt sie diese Karriere.
Sie arbeitete dort im Ausschuss für Soziales, befasste sich mit
jugendpolitischen Fragen im Stadtteil.
Offenbar war die SPD mit ihr zufrieden – schon 2011 wurde sie auf einem
Platz für die Bürgerschaft nominiert, der früher als sicher gegolten hätte.
Allerdings zogen aufgrund des neuen Wahlrechtes einige mit hohen
„persönlichen“ Stimmzahlen vorbei. Sie gründete mit einer Kollegin eine
Anwaltskanzlei für Zivilrecht. Erbschaftsangelegenheiten, Ehescheidungen,
Inkasso und Vertragsrecht beschäftigen sie da. Natürlich hat sie auch
manche türkische Mandanten, die aus dem Bekanntenkreis kommen oder über den
türkischen Namen auf sie aufmerksam werden, aber in der väterlichen
Heimatsprache möchte sie doch nicht mit den Mandanten sprechen: So perfekt
könne sie nicht türkisch, räumt Güngör ein, und aus Haftungsgründen nimmt
sie im Zweifelsfall doch lieber einen Dolmetscher dazu.
Sanem Güngör war seit 2008 Geschäftsstellenleiterin der „i2b GmbH“ und s…
2009 Rechtsreferendarin am Hanseatischen Oberlandesgericht Bremen. Sie
sitzt in der Bürgerschaft in der Deputation für Inneres und Sport und im
Ausschuss für Rechtsangelegenheiten. Auch da sieht sie ihr Feld in den
konkreten Fragen: „Was ich mache, möchte ich richtig machen.“ Aus den
„großen“ Fragen hält sie sich lieber vorerst heraus, sieht sich nicht als
Allrounderin. Auch bei Rechtsfragen wie dem juristisch umstrittenen Verbot
der Atomtransporte über Bremische Häfen hält sie sich, obwohl sie ihre
Examensarbeit über Handelsrecht geschrieben hat, eher zurück – „da möchte
ich mich noch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen“, wehrt sie Fragen ab.
Wichtiger ist ihr, jedenfalls im Moment noch, die „Netzwerkarbeit für den
Stadtteil“.
Dass Mustafa Güngör, seit knapp einem Jahr ihr Mann, auch Mitglied der
Bürgerschaft und der SPD ist, spielt für ihr politisches Selbstbewusstsein
keine Rolle. Sie hätten sich nicht über die Politik kennengelernt, sagt
sie, und redeten sich nicht in ihre politische Arbeit hinein.
27 Jan 2013
## AUTOREN
Klaus Wolschner
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