# taz.de -- Die Wahrheit: Teutonische Feuerteufel | |
> Der Bielefelder Pyro-Nachwuchs lässt es mächtig krachen. | |
Bild: Im dichten Pyro-Nebel auf der Tribüne bekommt der Zündlernachwuchs dann… | |
„Wir sind eine neue Generation von Fans, härter und stärker als die | |
Eintracht-Ultrapussys aus Frankfurt“, sagt Lukas-Leonard (9) aus | |
Bielefeld-Stieghorst stolz und kühlt seine verkohlte Hand im Schnee. „Wir | |
lassen uns von niemandem etwas verbieten, denn wir sind die Bengalo-Boys“, | |
verkündet er feierlich. | |
Es ist ein kalter Sonntagmorgen im Osten Bielefelds. An diesem Vormittag | |
treffen die E-Jugendmannschaften des SC Ost und der TuS Eintracht | |
Stieghorst in einem Freundschaftsspiel aufeinander. Von Freundschaft kann | |
jedoch keine Rede sein. Gemeinsam mit seinen Ultra-Freunden Stefan (9) und | |
Kevin (8) feuert Lukas-Leonard sein Eintracht-Team schon um 10 Uhr im | |
wahrsten Sinne des Wortes an. Der Geruch von verbrannter Pyrotechnik liegt | |
in der verräucherten Luft. | |
Während DFB, DFL und Fanvertreter noch immer darüber streiten, ob | |
Pyrotechnik nicht doch zum Fußball gehört wie der Ball zum Spiel, machen | |
die Bengalo-Boys einfach Nägel mit Köpfen. „Man fürchtet und verehrt uns�… | |
ist sich Lukas-Leonard sicher. So verwundert es nicht, dass sich der eher | |
gemäßigte Block der SC-Heimfans, bestehend aus Malte und Merlin, an diesem | |
Morgen zurückhalten. | |
Erst als der SC in der Mitte der ersten Halbzeit ein Tor schießt und kurz | |
darauf sogar auf 2:0 erhöht, machen sie sich mit ein paar Knallteufeln und | |
Wunderkerzen bemerkbar. Dazu singen sie schief „So ein Tag, so wunderschön | |
wie heute“. Wofür sie sogleich von den Bengalo-Boys als Chorknaben | |
verspottet werden. | |
Wenig später wummst und ramentert es am Ende des Platzes. Dichter Rauch | |
macht ein Weiterspielen für mehrere Minuten unmöglich. Der Torhüter des SC | |
liegt auf dem Rasen und hat einen asthmatischen Anfall. „Von wegen | |
Lufthoheit“, höhnt Lukas-Leonard, der noch immer hinter dem gegnerischen | |
Tor steht, wo er mehrere teutonische Feuerteufel gezündet hat. | |
Mittlerweile geraten außerhalb des Platzes auch einige Väter und | |
Verantwortliche beider Teams aneinander. „So lieben wir es“, sagt Stefan | |
und beobachtet neugierig, wie sein Vater den SC-Trainer als „katholischer | |
Kinderschänder“ beleidigt und ihn mit geballten Fäusten dazu auffordert, | |
die gegnerische Mannschaft ab sofort nicht mehr als „schwule Säue“ aus dem | |
„Scheiß-Osten“ zu beschimpfen. | |
Dann ist Pause, und die Lage entspannt sich ein wenig. Glühwein und | |
Bratwurst besänftigen die erhitzten Gemüter der Erwachsenen, während die | |
kleinen Ultras an ihren Caprisonnen saugen und ihre Choreo für die zweite | |
Hälfte der Partie durchgehen. Da habe man sich etwas ganz Besonderes | |
einfallen lassen, verspricht Lukas-Leonard und zieht einen XXL-Chinakracher | |
aus der Tasche. „Den habe ich aus Papas Partykeller geklaut, damit hau ich | |
denen das Trommelfell weg.“ | |
Als das Spiel wieder angepfiffen wird, ahnt niemand, was gleich passieren | |
wird. Sekunden später ertönt ein ohrenbetäubender Knall, der alle Besucher | |
des Spiels zusammenzucken lässt. Rund um den Elfmeterpunkt, wo der | |
Riesenkracher eingeschlagen ist, hat sich ein Krater gebildet, der ein | |
Elfmeterschießen sehr erschweren würde, ist er doch gut zwei Meter tief. | |
Auf Höhe der Mittellinie lassen sich die Bengalo-Boys theatralisch fallen, | |
stehen dann allerdings wieder auf und zeigen auf die Spieler der | |
gegnerischen Mannschaft. | |
„Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unser Stieghorst nicht“, brüllt | |
Lukas-Leonard zusammen mit seinen Freunden. Für einen kurzen Moment zögert | |
der Schiedsrichter, dann bricht er das Spiel kurzentschlossen ab. Die | |
Bengalo-Boys sind außer sich, beschimpfen den Unparteiischen als „schwarze | |
Sau“ und bewerfen ihn mit ihren leeren Caprisonne-Packungen. Unter dem | |
Geleitschutz seiner Mutter flüchtet der 13-jährige Spielleiter schließlich | |
aus dem Stadion. Und so findet ein typischer Sonntagvormittag in Bielefelds | |
Osten sein abruptes Ende. | |
„Das alles hier ist nur ein Vorspiel“, sagt Lukas-Leonard zum Abschied mit | |
majestätisch geschwellter Brust. Dann steigt er auf sein Janosch-Rad und | |
fährt zusammen mit seinen Boys davon. Zurück bleiben der Geruch von | |
verbrannter Erde und die Gewissheit, dass die Diskussion um Pyrotechnik und | |
Gewalt im Fußball noch lange nicht beendet sein dürfte. | |
29 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Sven Stickling | |
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