# taz.de -- Zwiespältige Anerkennung: Blonder Jüngling, jüdische Krallen | |
> War er nun ein naturliebender Friedensfreund mit spitzer Feder – oder | |
> einer, dem der Nationalsozialismus noch nicht weit genug ging? Im | |
> Landkreis Pinneberg sorgt ein Ausstellungsprojekt um den Graphiker A. | |
> Paul Weber für Streit | |
Bild: Webers angeblich antifaschistisches Titelbild zu Ernst Niekischs Kampfsch… | |
Eigentlich hätte alles ganz fabelhaft werden sollen, ja: ein | |
„Leuchtturmprojekt“ des Landkreises Pinneberg: Als kulturelles Highlight | |
rund um den Jahreswechsel sollte einer der bekanntesten deutschen Zeichner | |
und Lithografen des 20. Jahrhunderts gewürdigt werden. In der Pinneberger | |
Drostei, im Torhaus Elmshorn sowie in der Galerie Atelier III in Barmstedt | |
wurden mehr als 150 Arbeiten von A. Paul Weber (1893–1980) ausgestellt, die | |
meisten aus dem Weber gewidmeten Museum in Ratzeburg. Dort wird sein | |
Andenken gepflegt – die Asche des Künstlers selbst ruht seit 1980 im | |
Museumsgarten. | |
Bereits vor der Eröffnung zog die Ausstellung Kritik auf sich: In einem | |
Offenen Brief monierte die Pinneberger Antifa den „unkritischen“ Umgang mit | |
dem Künstler: Weber habe sich im Nationalsozialismus auch als | |
Kriegspropagandist betätigt und schon zuvor, in den 20er und 30er Jahren, | |
völkische und antisemitische Motive und Illustrationen gefertigt. | |
## Eindeutig antisemitisch | |
Nach dem Ersten Weltkrieg, als junger Mann, schloss sich Weber | |
nationalistisch-völkisch orientierten Kreisen aus dem Umfeld der Jugend- | |
und Wandervogelbewegung an. In dieser Zeit schuf er zum Teil eindeutig | |
antisemitische Werke, wie das Titelblatt zur Schrift „Die Sünde wider das | |
Blut“ (1918): Es zeigt die Karikatur eines Juden, der mit seinen Krallen | |
einen muskulösen blonden Jüngling zu Boden drückt. | |
Später stieß Weber auf Ernst Niekisch, einen Vertreter der konservativen | |
Revolution, der die Weimarer Republik von rechts bekämpfte. Niekisch sah | |
sich in Konkurrenz zu Hitler, dem er vorwarf, zu viele Kompromisse zu | |
machen, sich bei Demokratie und Westmächten anzubiedern und die Macht nicht | |
militärisch an sich gerissen zu haben. | |
## Nazi-Kritik von rechts | |
Die Nähe zu Niekisch, den die Nazis später wegen Hochverrats zu | |
lebenslanger Haft verurteilten, brachte auch Weber 1937 vorübergehend ins | |
Gefängnis. Allerdings kam er nach knapp sechs Monaten wieder frei – | |
mutmaßlich durch die Intervention von alten Bekannten, die sich mit dem | |
Regime arrangiert und Karriere gemacht hatten. | |
In Niekischs „Widerstands-Verlag“ – gemeint war der Widerstand gegen die | |
Siegermächte des Ersten Weltkriegs und gegen die Demokratie – war zuvor die | |
Schrift „Hitler – ein deutsches Verhängnis“ erschienen, die Webers Ruf a… | |
„Antifaschisten“ begründen sollte. Seine Illustrationen zu Niekischs Text | |
zeigen unter anderem eine Menschenmenge mit Hakenkreuzfahnen, die auf einen | |
Abgrund zuläuft und in einen mit Hakenkreuz geschmückten Sarg stürzt. | |
Obwohl es sich ursprünglich um die Illustration einer rechtsradikalen | |
Kritik an den Nazis handelte, ist das Bild bis heute in zahlreichen | |
Schulbüchern zu finden: Nach 1945 gelang es Weber, sich anhand dieser | |
„Widerstands“-Bilder als antifaschistischen Visionär zu inszenieren. Er | |
erarbeitete er sich einen Ruf als hellsichtiger Diagnostiker des | |
Zeitgeschehens. | |
Seltsam allerdings ist, dass es von Weber kein einziges überliefertes Zitat | |
oder Bild gibt, das sich explizit mit der Vertreibung und Vernichtung der | |
deutschen und europäischen Juden beschäftigt – dabei wimmelt sein Werk | |
ansonsten nur so von Totenköpfen, Leichenbergen, Fratzen und | |
Schreckgespenstern. | |
1941 bereiste Weber die von der Wehrmacht eroberten Gebiete Osteuropas und | |
fertigte aus seinen Eindrücken antisowjetische Kriegspropaganda. Vom Wüten | |
der Einsatzgruppen, die zur gleichen Zeit hinter der Front mit dem | |
Abschlachten Zehntausender Juden beschäftigt waren, scheint der kritische | |
Visionär dabei nichts mitbekommen zu haben. | |
1937, nach seiner Entlassung aus der Haft, suchte Weber händeringend nach | |
Anerkennung – und er bekam sie: „Wir haben heute auf dem Gebiet der | |
politischen Karikatur in Deutschland nichts, was wir dieser scharfen, | |
peitschenden Phantasie an die Seite stellen könnten“, hieß es 1941 in einer | |
Rezension in Die Kunst im Deutschen Reich, der wichtigsten Kunstzeitschrift | |
im nationalsozialistischen Deutschland. Das überschwängliche Lob bezog sich | |
auf Webers „Britische Bilder“, eine Sammlung von rund 50 Motiven, die sich | |
mit Missständen im britischen Kolonialreich beschäftigen und dessen | |
moralischen und militärischen Bankrott prophezeien. Die „Bilder“ erschienen | |
im „Nibelungen-Verlag“, der direkt Goebbels’ Propagandaministerium | |
unterstellt war. | |
Der aus dem Exil nach Hamburg zurückgekehrte deutsch-jüdische Künstler Arie | |
Goral hat auf Webers Schaffen vor und während der Nazizeit schon in den | |
1970er Jahren hingewiesen. Aus seiner Sicht war Weber ein reiner | |
Opportunist, der sich dem Zeitgeist anzupassen wusste. | |
Von seinen Liebhabern und Nachlassverwaltern wird Weber gegen diese Kritik | |
bis heute immunisiert. Im Weber-Museum in Ratzeburg verwaltet Direktor | |
Klaus J. Dorsch verwaltet einen Großteil des Nachlasses und stellt etwa 300 | |
Exponate dauerhaft aus. Von Dorsch stammt auch die einzige umfassende | |
Monographie zu Leben und Werk Webers. | |
Darin werden Webers Tätigkeiten für die NS-Propaganda weitgehend als | |
„Auftragsarbeiten“ klein geredet. Oder die Bilder werden als universelle | |
Kritik an Kolonialismus und Imperialismus verkauft – die der aufmerksame | |
Betrachter gar als Kritik am NS-Imperialismus habe verstehen können. | |
In ihrer Ankündigung sürechen auch die Pinneberger Veranstalter von einem | |
„Meister der zeitlos gültigen Gesellschaftskritik“. Tatsächlich aber läs… | |
sich Webers vermeintlich visionäre Kritik genauso gut als rückwärtsgewandte | |
Ablehnung der Moderne lesen: Verhasst sind ihm die Masse, die Großstadt und | |
der technische Fortschritt, geschätzt hingegen Natur, Landleben, Pflanzen- | |
und Tierwelt. Webers Kritik war zu verschiedenen Zeiten sowohl | |
antidemokratisch als auch fortschrittskritisch. Folgerichtig fand sich | |
Weber später in der Nähe der 68er-Bewegung und ihrer antikolonialen Kritik | |
wieder. Auch die junge Grünen-Bewegung nahm Webers Eintreten gegen | |
Atomkraft und Umweltzerstörung begeistert auf. | |
## Dünnhäutige Reaktion | |
Der Pinneberger Kreispräsident Burkhard E. Tiemann, auf den die Idee zur | |
aktuellen Ausstellung maßgeblich zurückgeht, reagierte auf die | |
Antifa-Einwände gegen das Ausstellungskonzept ausgesprichen dünnhäutig: | |
Zunächst sprach er von „anonymer Kritik übereifriger Jugendlicher“, die | |
viel zu viel Beachtung fände. Inzwischen vergleicht er die Forderung, die | |
Ausstellung nicht in der bestehenden Form zu zeigen, sogar mit der Praxis | |
der Nazis, entartete Kunst zu verbieten. | |
## Gespräch im Februar | |
Angeschlossen haben sich der Kritik auch Vertreter der Linkspartei sowie | |
das übergreifende „Bündnis gegen Rechts“, in dem auch die Kirche vertreten | |
ist. Der Pinneberger Probst Thomas Drope hofft nun auf einen verspäteten | |
Dialog: „Webers Biographie und die Geschichte seiner Bilder provozieren nun | |
einmal auch berechtigten Widerspruch. Das ist doch eigentlich das Beste, | |
was Kunst passieren kann, wenn es eine intensive öffentliche | |
Auseinandersetzung gibt.“ | |
Anfang Februar wollen sich die Ausstellungsmacher zunächst hinter | |
verschlossenen Türen mit Vertretern des Bündnisses gegen Rechts treffen, um | |
über die unterschiedlichen Auffassungen zu diskutieren. Für eine Änderung | |
des Konzepts ist es dann allerdings zu spät: Die Ausstellungen in Pinneberg | |
und Elmshorn sind mittlerweile beendet, nur der letzte Teil ist noch bis | |
zum 3. März in Barmstedt zu sehen. | |
1 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Andrej Reisin | |
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