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# taz.de -- Berlin-Derby Hertha vs. Union: Man tut, was man nicht lassen kann
> Nach dem 2:2 am Montag konnte eigentlich kein Fan im Olympiastadion
> richtig zufrieden sein. Unentschieden. Aber so ist das halt manchmal.
Bild: Packendes Duell mit einem Unentschieden am Ende: Hertha vs. Union.
Im Minutentakt bimmelt mein Handy. Wobei bimmeln das falsche Wort ist, denn
mein SMS-Ton ist ein Zitat aus „Forrest Gump“. Und während ich mir noch die
Kopfkissenabdrücke aus dem Gesicht knete, höre ich es nun im Minutentakt:
„Kann es sein, dass du dumm bist oder so was?“
Wer immer mir um diese Gott sei Dank unchristliche Zeit so viele
Nachrichten schickt, hat wohl wichtige Informationen auf Lager. Also quäl
ich mich aus dem Bett und suche das Telefon in einer der 30 Jacken, von
denen ich meist eh immer dieselbe trage. Blau mit Pelz. Die Jacke passt zu
mir, die Jacke passt zu Hertha. Natürlich ist das Handy dort zu finden. Auf
sämtlichen Kanälen, ob SMS oder soziale Netzwerke, überall das gleiche
Bild. Scheinbar hat jeder, der mich kennt, das Bedürfnis, mir dasselbe Foto
zu schicken: Der Union-Berlin-Mannschaftsbus, mit einem großflächigen
Graffito besprüht. Logischerweise hat man sich einen ganz besonderen
Schriftzug ausgedacht: „Hertha BSC“. Damit mussten die Unioner immerhin bis
zur nächsten Werkstatt fahren, wo es wieder entfernt wurde.
Ich finde eine halbvolle Club-Mate-Flasche und wickel mir den blau-weißen
Schal um. Es sind zwar noch über sechs Stunden bis zum Anpfiff, aber ich
scheine einer der Letzten zu sein, der noch nicht auf der Straße ist. So
ist es nun mal, wenn Derby ist.
## Übermotivierte 16-Jährige
An der Warschauer Straße heißt es das erste Mal Spalier laufen. Hier
verabreden sich gerne die ein oder anderen Unioner, denn weder aus
Kreuzberg noch aus Friedrichshain sind besonders viele Herthaner zu
erwarten. So freuen sie sich ausgiebig über mich verschlafenen Zausel in
Blau-Weiß. Sonnenbrille auf, Handschuhe an, dann geht das schon. Was der
ein oder andere übermotivierte 16-Jährige gern beginnen möchte, beendet die
ältere Generation der Köpenicker relativ schnell und humorvoll,
dementsprechend unbeschadet spring ich in die Bahn, um zum Ku’damm zu
fahren, wo sich sowohl die Herthaner als auch die Unioner vorab treffen.
Die Bahn ist leer, weder blaue noch rote Devotionalien weit und breit,
einzig das staatliche „Team Green“ ist auf den Bahnhöfen postiert und übt
sich im Grimmig-Gucken. Am Ku’damm dann endlich normale Leute. Etwas
weniger Herthaner als erwartet hüpfen sich schon mal warm und warten auf
die Ankunft der zahlenmäßig überlegenen Unioner. Ein paar TeBeler wollten
die Gunst der Stunde wohl auch nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen,
allerdings wird später nichts von ihnen zu sehen sein. Kann allerdings auch
daran liegen, dass man sie dank ihrer lila Vereinsfarben gerne mit „Dunkin’
Donuts“-Angestellten verwechselt.
Aber, Spaß und Frotzeleien beiseite, jemand hat mal gesagt, dass es beim
Fußball um Leben und Tod gehe, was natürlich Blödsinn ist. Denn wenn man
sich darauf einlässt, geht es um viel mehr. Deshalb verstehe ich jeden, der
sich keinesfalls darauf einlassen möchte. Mein Handy klingelt erneut: „Kann
es sein, dass du dumm bist oder so was?“
Als die Roten dann auf der Bildfläche erscheinen, tut man, was man nicht
lassen kann. Hier raucht es ein wenig, da knallt es etwas, die ein oder
andere Flasche fliegt. Nichts, was man nicht auch bei so überflüssigen
Veranstaltungen wie dem Oktoberfest oder den inzwischen zum Karneval
mutierten 1.-Mai-Ritualen erleben würde.
Im nahen Imbiss bittet eine alte Frau um Aufklärung. „Berlin gegen Berlin“,
antworte ich ihr. „Mein Neffe geht auch immer zum Fußball“, sagt sie, „z…
VfL Wolfsburg!“ Mir fällt keine höfliche Antwort ein, aber zum Glück
übernimmt sie das Reden. „Aber nur, um sich mit den Bullen anzulegen“, sagt
sie und strahlt über das ganze Gesicht.
## Vorsicht, Kinderwagen
Als die Polizei bekannt gibt, dass wir noch zwei Stunden warten müssen,
bevor wir zum Stadion dürfen, steht der Entschluss fest: Wir gehen sofort
los, einfach aus Prinzip. Die Unioner hissen derzeit ein Transparent an der
Gedächtniskirche: „Berlin ist rot-weiß!“ Netter Versuch, aber eben kein
komplett besprühter Mannschaftsbus. Nach einigen Drängeleien ist es dann so
weit, über die U-Bahn-Steige kämpft man sich bis zum richtigen Gleis vor,
es ist laut und rauchig, der größte Aufstand entsteht jedoch, als eine Frau
mit Kinderwagen gesichtet wird: „Vorsicht, Kinderwagen“, hallt es nun über
die Gleise, und eiligst springen volltätowierte Solariumgänger aus dem Weg
oder reißen die Unaufmerksamen zur Seite.
Am Stadion das gleiche Bild, zwar knallt und rummst es gewaltig, aber
dennoch steht man im Endeffekt beisammen und ergötzt sich am exzessiv
ausgelebten Berliner Akzent. Da ich in Sachen Verschlafen einer der Besten
bin, hab ich nur noch Karten für den Unionblock bekommen. Das war im
Hinspiel in der Alten Försterei zwar nicht anders, aber dort hatte ich mich
respektvoll zurückgehalten, was meine Kluft anging. Heute ist das anders,
zu Hause trag ich, was ich will und wo ich es will. Und das wird auch
akzeptiert.
Nach einer kleinen Pyroeinlage der Unioner geht’s endlich los. Das Ergebnis
dürfte bekannt sein, mit dem Unentschieden kann irgendwie jeder und
trotzdem keiner leben, so ist das eben. In der 86. Minute fällt der
Ausgleich für Hertha durch den Brasilianer Ronny, hinter mir brüllen sich
ein paar biedere Familienväter die Seele aus dem Leib aus Wut. Just in
diesem Moment erhalte ich die ersten Glückwunschnachrichten und mein Handy
übernimmt die Analyse der Situation: „Kann es sein, dass du dumm bist oder
so was?“
12 Feb 2013
## AUTOREN
Juri Sternburg
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