Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fotografie: Eindringliche Landfrauengesichter
> Einblicke in die Welt der Arbeit sind rar geworden. Die Ausstellung
> „ort/zeit/los“ im Kunstverein Tiergarten zeigt die Ausnahmen.
Bild: Diese Serie "Vom Aufhören" zeigt Menschen an ihrem letzten Arbeitstag vo…
Die Fotos zeigen Frauen in der Fabrik. Im Schwarz-Weiß vergangener Tage
sieht man die Arbeiterinnen in bunten Kittelschürzen große Stangen
schultern oder mit gestreiften Stoffmassen hantieren. Manchmal posieren sie
auch direkt für die Kamera, angetan mit karierten Mützen, die sie wohl
selbst produziert haben.
Die Pose ist natürlich ein Spaß und karikiert das Gebaren der Modelle aus
den Modezeitschriften. Das heißt, eigentlich gab es damals in der DDR nur
die Sibylle. 1984 sollte Ute Mahler für die Frauenzeitschrift eine neue
Kollektion aus dem Textilkombinat in Wittstock fotografieren. Dabei hatte
sie zwei Kameras. Mit der einen erledigte sie den offiziellen Auftrag, mit
der anderen lichtete sie die Frauen in der Fabrik ab. Die Mode ist bei den
Arbeiterinnen nur etwas, worüber sie sich lustig machen können. Der
Dresscode während der Arbeit heißt geblümter Kittel.
Ute Mahlers Wittstock-Bilder sind einer der Beiträge einer höchst
interessanten [1][Ausstellung] über das Thema Arbeit im Kunstverein
Tiergarten. Kuratiert wurde die Schau von Ulrike Kremeier. Die
Kunsthistorikerin ist seit letztem Juli neue Direktorin im Kunstmuseum
Dieselkraftwerk in Cottbus und hat sich vorgenommen, einen neuen Blick auf
die Bestände ihres Hauses zu werfen.
Gerade was die Fotografie angeht, hat Cottbus etwas Besonderes zu bieten.
Bereits in den siebziger Jahren begann man hier eine Sammlung zur
DDR-Autorenfotografie. Kremeier – selbst aus dem Westen – liefert also
jetzt eine Probe aufs Exempel, wie Altes in aktuellen Zusammenhängen neu
gesehen werden kann. Zwischen die alten Schwarz-Weiß-Fotos aus der DDR
schieben sich nämlich ganz aktuelle Aufnahmen zum Thema Arbeit und
Arbeitslosigkeit und.
Letzteres hat es bekanntlich in der DDR nicht gegeben. Was nicht heißt,
dass es keine Armut gab. Harald Hauswald, der große Chronist des Alltags in
der DDR, hat in den 80ern fotografiert, wie alte Frauen in Ost-Berlin
Abfalleimer und Müllcontainer durchstöbern. Vis à vis dazu hat Kremeier
Stephanie Steinkopfs Serie über einen Plattenbau in Letschin platziert, die
kürzlich mit dem Fotopreis eines großen Energiekonzerns ausgezeichnet
wurde. Die Fotografin kommt selbst aus der Oderbruch-Gemeinde und kennt die
im Volksmund „Manhattan“ genannten Wohnblocks aus ihrer Kindheit.
Damals waren die Wohnungen heiß begehrt, heute steht bereits ein Teil leer.
„Manhattan“ ist Inbegriff für Armut geworden. Steinkopf wendet den Blick
auf proletarische Tristesse, aber auch auf den fröhlichen Umtrunk in
trauter Runde.
Der soziale Abstieg von Manhattan ist typisch für die ostdeutsche Provinz.
Daher erklärt sich auch der seltsame Titel für die ganze Ausstellung.
„ort/zeit/los“ soll das abgebildete Geschehen zudem über das rein
Sozial-Dokumentarische auch als ästhetische Schöpfung vorstellen.
Der künstlerische Anspruch der Fotografie ist heute keine Frage mehr. Und
so kann man in Thomas Kläbers Schwarz-Weiß-Aufnahmen durchaus Anklänge an
die berühmten „Ährenleserinnen“ eines Jean-François Millet erkennen, auch
wenn es sich bei ihm um eine „Kartoffelnachlese“ handelt. 1980 aufgenommen,
sieht die Arbeit immer noch ähnlich aus wie auf Millets Gemälde von 1857.
Die Eindringlichkeit der Landfrauengesichter und die kompositionelle
Ausgewogenheit machen Kläbers Bilder zeitlos, auch wenn das Milieu des
ländlichen Arbeitslebens aus den 70ern irgendwo in der DDR inzwischen
verschwunden ist.
Das gleiche Milieu, aber aus der Innenperspektive des selbst Beteiligten,
bietet Werner Mahler. Beim Dorffest oder beim Schweineschlachten ist er
nahe dran. Das Dokumentarische gewinnt hier wieder die Oberhand.
Bei Chiara Dazi geht es zurück ins Genrehafte und Stimmungsvolle. Die junge
Fotografin hat 2010/11 Wandergesellen begleitet. Zeitlos scheint schon die
Tracht der jungen Männer und Frauen, die manchmal in geradezu malerischem
Arrangement zum Bild gefrieren.
Groß und in Farbe sind auch Frank Schinskis Fotos vom „Aufhören“. Die
Abschiede vom Arbeitslebens in leeren Büros, beim Aushändigen der Urkunde
vor kärglichem Büfett oder beim letzten Handschlag mit dem Postboten an der
Haustür lässt sofort die Frage aufkommen: War das etwa alles?
Wir wissen es nicht. In der gegenwärtigen Fotografie kommt die Fotografie
der Arbeitswelt kaum vor. Die Ausnahme bildet die Agentur Ostkreuz – und
alle hier beteiligten Künstler waren Vertreter oder Schüler dieser in der
Tradition der DDR-Autorenfotografie stehenden Fotografenvereinigung.
19 Feb 2013
## LINKS
[1] http://www.kunstverein-tiergarten.de/?cat=ausstellung
## AUTOREN
Ronald Berg
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.