# taz.de -- Konkurrenz: Gerangel um die Spitze | |
> Die Berliner Piraten wollen am Wochenende ihre Landesliste für die | |
> Bundestagswahl aufstellen. 50 BewerberInnen kämpfen um zwei | |
> aussichtsreiche Plätze. | |
Bild: PiratInnen bei der Abstimmung. | |
Als die Berliner Piraten im Herbst 2011 ins Abgeordnetenhaus einzogen, | |
standen sie vor einem Problem: Sie hatten zu wenige KandidatInnen. Für das | |
Abgeordnetenhaus reichten die 14 Männer und eine Frau auf der Liste gerade | |
noch, in den Bezirksverordnetenversammlungen hingegen blieb der eine oder | |
andere Piraten-Sitz leer. Wenn nun ein Abgeordneter der Partei ausscheidet, | |
gibt es keinen Nachrücker. | |
Ein solches Luxusproblem haben die Piraten jetzt nicht mehr – im Gegenteil. | |
Zum ersten würden sie es laut aktueller Umfragen ohnehin nicht in den | |
Bundestag schaffen. In Berlin beweisen die Piraten zwar, dass sie durchaus | |
in der Lage sind, konstruktiv Sachpolitik zu machen. Bundesweit aber ist | |
die Partei auf dem Weg, sich vollständig zu zerlegen. Und selbst wenn sie | |
im Herbst die Fünfprozenthürde überwinden sollte, ziehen wohl nur ein oder | |
zwei Berliner Piraten in den Bundestag ein. | |
Zum zweiten gibt es deutlich mehr BewerberInnen, die genau das gern tun | |
würden: Rund 50 Berliner Piraten wären gern Abgeordnete für ihre Partei. | |
Wahrscheinlich werden es noch einige mehr – Last-Minute-Kandidaturen gibt | |
es bei den Piraten eigentlich immer. Jeder und jede darf sich vorstellen | |
und wird befragt; die Aufstellungsversammlung am Samstag und Sonntag wird | |
also eine langwierige Veranstaltung. Erst einmal müssen Mitglieder – rund | |
400 von knapp 3.700 werden erwartet – ausdiskutieren, wie lange die Liste | |
werden soll und nach welchem Verfahren sie die KandidatInnen wählen. Davon | |
hängt viel ab; etwa, ob sich Favoriten gegenseitig Stimmen wegnehmen oder | |
nicht. | |
Seit Wochen machen die KandidatInnen nun Vorwahlkampf, beantworten Fragen | |
auf ihrer Bewerbungsseite, touren durch die „Crews“, die Arbeitstreffen der | |
Piraten, und lassen sich auf speziellen Bewerberabenden „grillen“, wie es | |
im Parteijargon heißt. Am vergangenen Dienstag etwa im Kinski, der | |
Piratenkneipe in Neukölln. | |
Als Erster setzt sich Jens Kuhlemann vorn auf den Barhocker, 42 Jahre alt. | |
Vier Tage nach dem Wahlsieg 2011 ist er in die Partei eingetreten, davor | |
hat er sich vor allem für bundesweite Volksentscheide eingesetzt. Er hat | |
schon ein bisschen Parlamentsluft geschnuppert während einer viermonatigen | |
Hospitanz bei einem Abgeordneten. | |
„Demokratie ist ein großes Thema für mich“, sagt Kuhlemann. Und muss dann | |
erklären, wie er seine Rolle in der Fraktion sieht, ob er in der | |
Online-Abstimmungsplattform Liquid Feedback Klarnamen oder Pseudonyme | |
bevorzugt und ob er in der Partei Strömungen sieht, die unvereinbar sind. | |
Was Piraten eben so bewegt. | |
Kuhlemann sagt, das Amt des Fraktionsvorsitzenden strebe er nicht an, sie | |
bräuchten unbedingt eine Tool-Diskussion, und es sei „in Ordnung, wenn wir | |
auch Trennendes haben“. Manchmal überlegt er sich aber schon, ob sich der | |
ganze Aufwand überhaupt lohnt, angesichts des miserablen Bildes, das die | |
Piraten momentan abgeben. | |
Einige der Bewerber für die Landesliste sind als engagierte | |
Parteimitglieder aufgefallen. Jan Hemme etwa, ein zielstrebiger Macher und | |
Vielredner, der häufig Anträge und Anfragen fürs Abgeordnetenhaus schreibt. | |
Oder Laura Dornheim, die als Feministin auch außerhalb der Partei einen | |
gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat. | |
Aber es gibt auch KandidatInnen, bei denen nicht so recht klar ist, warum | |
sie eigentlich in den Bundestag wollen – außer, dass sie sich selbst für | |
wichtig halten und für die nächsten vier Jahre einen gut bezahlten Job | |
brauchen könnten. Diesem Vorurteil wollen drei BewerberInnen schon jetzt | |
entgegentreten. Sollte eine/r von ihnen in den Bundestag gewählt werden, | |
wollen sie sich das Einkommen und die Arbeit des Abgeordneten teilen. Denn: | |
„Drei Leute können nicht nur mehr Aufgaben erledigen, sie haben auch drei | |
Gewissen.“ | |
Die Berliner Landesliste könnte in einer Hinsicht besonders sein: | |
Vielleicht wird sie von Frauen angeführt. Dafür jedenfalls sprechen sich | |
einige Piraten aus; in anderen Bundesländern gibt es bislang kaum Frauen | |
auf aussichtsreichen Listenplätzen. Auch an dem Abend im Kinski meint ein | |
junger Basispirat: „Es wäre schon gut, wenn Berlin sich hier als | |
progressiver Landesverband zeigt.“ | |
Wie bei vielen wichtigen Fragen sind die Piraten als selbst ernannte | |
Postgender-Partei auch bei der Frauenfrage gespalten. Einer der Kandidaten | |
für die Landesliste meint: Wenn man Ergebnisse wolle, müsse man ihn wählen, | |
wenn man „Flausch“ wolle, eben die Frauen. Namentlich zitiert werden will | |
er mit einer solchen Aussage natürlich nicht. | |
Grundsätzlich bemühen sich die BewerberInnen – ganz im Gegensatz zu den | |
Amtsinhabern – um einen bewusst harmonischen Umgang. Keiner will böse über | |
andere reden. Denn eine alte Politikregel gilt für die Piraten in | |
besonderem Maße: Wer sich zu pointiert äußert, wer sich zu stark in den | |
Vordergrund spielt, der verliert. Wer bekannter wird, der ist ganz schnell | |
auch umstritten und mindert so seine Chancen. Deshalb ist es sehr gut | |
möglich, dass am Ende die Piraten von KandidatInnen in die Bundestagswahl | |
geführt werden, die jetzt allenfalls als Geheimfavoriten gehandelt werden. | |
22 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
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