# taz.de -- Kolumne Nüchtern: Die große Suchtoper | |
> Gehört es zu einer guten Suchtbeichte, blond zu sein? Und warum gerät die | |
> reuige Trinkerin so viel öfter vor die Kamera als der Trinker? | |
Bild: „Es war eine wichtige Zeit, aber zurechnungsfähig war ich nicht.“ | |
Seit ein paar Wochen sprechen mich einige meiner trinkenden Freunde und | |
Bekannten immer wieder darauf an, dass sie die Fastenzeit nutzen, um auch | |
mal eine Auszeit zu nehmen. Ich kann das nur begrüßen. | |
Ich habe zwar den Eindruck, dass man, um ein paar Wochen ohne Alkohol | |
durchs Leben zu gehen, nicht die Erlaubnis eines Geistlichen braucht – aber | |
das sage ich nicht mehr laut. Denn sonst folgt unweigerlich die | |
Unterhaltung darüber, dass ein, zwei Gläser oder eine halbe Flasche guten | |
Rotweins am Abend doch unbedenklich seien, und ich muss dann sagen: Ja, ja, | |
das stimmt wohl. Obwohl ich denke, dass jeder mit sich selbst ausmachen | |
soll, wie viel er trinkt. | |
Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass das Land pünktlich zum Karneval und | |
dem darauf folgenden Experiment semikollektiver Abstinenz neuerdings ein | |
Alkoholismus-Covergirl kürt. Im vergangenen Jahr war die dänische | |
Dschungelcamp-Gladiatorin Brigitte Nielsen die Protagonistin der großen | |
öffentlichen Suchtoper. Dieses Jahr ist es die 40-jährige Heidekönigin | |
Jenny Elvers-Elbertzhagen. | |
## Jungfräuliches Häkelweiß | |
Vier Monate nach ihrem betrunkenen Auftritt in einer NDR-Talkshow | |
präsentierte sie sich kürzlich geläutert und in jungfräulichem Häkelweiß | |
auf der Titelseite der Gala und in der RTL-Dokumentation „Die | |
Alkoholbeichte! Jenny Elvers – die ungeschminkte Wahrheit“. Irgendwann, | |
erzählte sie dort, brauchte sie eine Flasche Wein, eine Flasche Sekt und | |
eine Flasche Wodka am Tag, um durchs Leben zu kommen. Die Ärzte der von ihr | |
aufgesuchten Entzugsklinik in Bad Brückenau gaben ihr nur noch sechs bis | |
acht Wochen. | |
Ich habe nie so viel getrunken wie Elvers-Elbertzhagen und ich war auch nie | |
in einer Suchtklinik. Aber wenn ich an die ersten Monate meiner | |
Nüchternheit zurückdenke, macht es mich traurig, sie auf dem Titelblatt und | |
vor der Fernsehkamera zu sehen. Mein Leben schien damals nur noch auf | |
Autopilot zu funktionieren. Ich befand mich in einem Zustand der | |
Verwirrung. In guten Momenten fühlte es sich an, als hätte eine | |
französische Schwarz-Weiß-Tragikomödie plötzlich Farben bekommen. In | |
schlechten, als würde ich ohne Haut dastehen. | |
Es war eine wichtige Zeit, aber zurechnungsfähig war ich nicht. | |
## Choreografie der Beichte | |
Die öffentliche Choreografie der Suchtbeichte ist uns inzwischen vertraut. | |
Fast immer scheinen unsere alkoholabhängigen Mimis, Normas und Violettas | |
blond zu sein und ihre Karriere auch auf ihrer sexuellen Freizügigkeit | |
aufgebaut zu haben. Männer haben bei dieser Kür selten eine Chance. Sogar | |
die alkoholisierten Ausfälle unserer Politiker, wie neulich Rainer | |
Brüderle, entschuldigen wir mit dem sprichwörtlichen Glas zu viel. | |
Öffentlich wird Alkoholismus, obwohl unter Männern weiter verbreitet als | |
unter Frauen, feminisiert. Bekanntlich ist es nicht so, dass Frauen nicht | |
trinken können; aus irgendeinem Grund dürfen sie es nur immer noch nicht. | |
## Verstärkte Beobachtung | |
Auf Identifikation zielen die öffentlichen Inszenierungen der | |
Alkoholkrankheit von Prominenten wie Elvers-Elbertzhagen nie ab. Im | |
Gegenteil. Spätestens nach ihrer Beichte stehen sie unter verstärkter | |
Beobachtung. Mit gezückten Kameras wartet die halbe Welt auf ihren | |
Rückfall. Und falls sie – man denke an Nielsen, Lindsey Lohan oder Britney | |
Spears – tatsächlich wieder anfangen sollten zu trinken, werden sie in | |
einer zynischen Version altertümlicher Jungfrauenopferkulte medial wie | |
Osterlämmer geschlachtet. | |
Die Öffentlichkeit scheint Figuren wie sie zu brauchen. Mit ihrer Hilfe | |
kann sich jeder sagen, dass er so schlimm nicht ist, und beruhigt | |
weitertrinken. Niemand von uns mag über Alkoholismus als eine Krankheit | |
denken, und erst recht möchte niemand glauben, dass wir alle in die | |
Flugschneise seines Einflusses geraten können. | |
1 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schreiber | |
## TAGS | |
Alkohol | |
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