| # taz.de -- Gedenken an Daniel S.: Aufgeladene Trauer | |
| > Im niedersächsischen Weyhe wollen Rechte den Tod von Daniel S. zur | |
| > rassistischen Hetze nutzen. Die Gemeinde wehrt sich gegen den Missbrauch. | |
| Bild: Gedenken an Daniel S.: Sein Tod wird nun von Rechtsextremen instrumentali… | |
| BREMEN taz | Wenn am Samstag im niedersächsischen Weyhe die BürgerInnen auf | |
| die Straße gehen, dann geht es nicht mehr nur um die Trauer um Daniel S. | |
| Der 25-Jährige starb am Donnerstag nach einer Prügelattacke. Neben dem | |
| Gedenken ob der Tat muss sich die Gemeinde mittlerweile wehren – gegen die | |
| Vereinnahmung von rechts. Denn von der „Identitären Bewegung“ bis zur NPD | |
| wird der Tod von Daniel S. längst für Hetze gegen MigrantInnen missbraucht. | |
| Der Grund: Der Hauptverdächtige Cihan A. soll einen türkischen | |
| Migrationshintergrund haben. | |
| Zwei rechte Kundgebungen, die Samstag und Sonntag stattfinden sollten, | |
| wurden am Freitag von der Stadt verboten. Weyhes Bürgermeister Frank | |
| Lemmermann (SPD) ruft mit dem Präventionsrat der Gemeinde, dem runden Tisch | |
| gegen rechts und dem Integrationsrat zu einer eigenen Mahnwache auf, die | |
| sich der rechten Stimmungsmache entgegenstellen soll. Auch Niedersachsens | |
| Innenminister Boris Pistorius (SPD) erklärt der Familie sein „Mitgefühl“ | |
| und verurteilt gleichzeitig die Instrumentalisierung durch rechte Gruppen. | |
| ## Mord aus Heimtücke | |
| Cihan A. sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Verden | |
| wirft dem 20-Jährigen Mord aus Heimtücke und niederen Beweggründen vor. Die | |
| Tat ereignete sich am vergangenen Sonntag. In einem gemieteten Bus war | |
| Daniel S. mit Freunden von der Disco „Fun Factory“ in Wildeshausen zur | |
| Diskothek „Maddox“ in Kirchweyhe unterwegs. Sie nahmen fünf Diskobesucher | |
| mit, weil noch Platz war. „Alles Südländer“, schreibt die Bild-Zeitung | |
| später. | |
| Im Bus brach ein Streit aus. Per Handy sollen die fünf Mitfahrer | |
| „Verstärkung“ herbeitelefoniert haben. Am Bahnhof Kirchweyhe hielt der Bus. | |
| Mehrere, anscheinend türkische Jugendlichen standen dort. Daniel S. wollte | |
| schlichten, stieg als erster aus und wurde sofort angegangen und getreten. | |
| Er erlitt schwerste Kopfverletzungen, fiel ins Koma. Vier Tage nach dem | |
| brutalen Angriff erlag der Lackierer aus Leeste den schweren Verletzungen. | |
| Die kleine Gemeinde mit 30.000 EinwohnerInnen in der Nähe von Bremen ist | |
| erschüttert. An der Bushaltestelle liegen Blumen, stehen Kerzen und hängen | |
| Zettel mit der Aufschrift: „Warum?“. | |
| ## Aufruf zur Lynchjustiz | |
| Indes betont die Staatsanwaltschaft: „Anlass des Streits waren nicht die | |
| Nationalitäten der Beteiligten.“ Denn im Internet ist die Betroffenheit | |
| auch in Hass umgeschlagen. Unter Online-Artikeln mehren sich | |
| fremdenfeindliche Kommentare. Manche fordern die Todesstrafe, rufen zur | |
| Lynchjustiz auf. Die Polizei ermittelt nicht mehr nur wegen des Mordes, | |
| sondern hat ebenso die Gewaltaufrufe im Blick, prüft auf Volksverhetzung. | |
| Viele der Wortmeldungen kommen aus den Kreisen der „Identitären Bewegung“. | |
| In der Nacht zu Freitag verklebten sie am Bahnhof ihre schwarz-gelben | |
| Aufkleber „Wehr dich – es ist DEIN Land“, da S. angeblich „sterben muss… | |
| weil er Deutscher war“. | |
| Für Samstagnachmittag hatten sie auf ihren Webseiten für eine Kundgebung | |
| geworben und zeigen dabei ein Bild von Cihan A. Für Sonntag hatte die NPD | |
| zudem eine Kundgebung angemeldet. Die Stadt ließ die Veranstaltungen | |
| verbieten – „wegen der massiven Hetze im Internet“. Bürgermeister | |
| Lemmermann hat mit der Familie von S. gesprochen. Die „Identitären“ | |
| suggerieren, die Familie würde alleingelassen. Auf ihrer Webseite starteten | |
| sie einen Spendenaufruf. | |
| Seit Dezember 2012 schließen sich vor allem Jugendliche und junge | |
| Erwachsene diesem rechten Netzwerk der „Identitären“ an. Die „Bewegung“ | |
| entstand in Frankreich. Ein Video der „Génération Identitaire“ stellte das | |
| Konzept der Gruppe vor. In der sogenannten „Déclaration de guerre“ sagen | |
| Aktivisten der 68-Generation den Kampf an, da sie die „multikulturelle | |
| Gesellschaft“ und „Islamisierung Europas“ verantworte. Zwar lautet ihr | |
| europaweiter Slogan „100 Prozent Identität, 0 Prozent Rassismus“, doch in | |
| der Selbstdarstellung schreiben sie: „Wir kämpfen gegen den eigenen | |
| Identitätsverlust“, gegen „kulturellen Verfall“ und gegen die „Entfrem… | |
| des Menschen in der Moderne. | |
| „Nichts Neues“, sagt Martin Langebach, Rechtsextremismusexperte von der Uni | |
| Düsseldorf. „Diese vermeintlich nicht rechte Positionierung propagiert seit | |
| Jahren die ’Neue Rechte‘.“ Modern sei aber der Auftritt als inszenierte | |
| Provokation. Die „Identitären“, sagt er, sei eine „heterogene Szene“. | |
| Dennoch sind sie eindeutig in dem, was sie wollen: „Unser einziges Erbe ist | |
| unser Land, unser Blut.“ In Bremen überschneiden sie sich auch personell | |
| mit der rechten Szene. | |
| 15 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
| Andreas Speit | |
| ## TAGS | |
| Kirchweyhe | |
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