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# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Auf den Werktag warten
> Intelligente Werbung soll - so denkt sich das die Branche - die Leute
> dort abholen, wo sie stehen. Wie aber lockt die Evangelische Kirche neue
> Schäfchen?
Bild: Niedrigschwelliges Angebot: Osterfeuer („heller Bereich“) in der Nach…
Intelligente Werbung soll – so denkt sich das die Branche – die Leute dort
abholen, wo sie stehen, oder sie doch wenigstens auf das beworbene Produkt
neugierig machen. Sie soll also möglichst viele Leute mit möglichst
witzigen und dennoch anspruchslosen, „niedrigschwelligen“, Aufmerksamkeit
erregenden Hinweisen dazu motivieren, das Produkt wenn schon nicht zu
erwerben, so doch genauer zu betrachten.
Schwierig wird das allenfalls dann, wenn sich das Produkt hinter seiner
Werbung in Nichts auflöst. Das ist jetzt der EKHN – wie?: der Evangelischen
Kirche in Hessen und Nassau – widerfahren, die den christlichen Glauben in
einer Zeit unaufhörlicher Kirchenaustritte wieder bekannt machen will.
Spaziergänger in der Innenstadt von Frankfurt am Main mochten sich die
Augen reiben. Hing doch am Turm der altehrwürdigen Katharinenkirche an der
Hauptwache ein Banner, das nicht mehr zu ignorieren war und das gewohnte
Stadtbild so nachhaltig störte, das eigentlich der Denkmalschutz hätte
eingreifen müssen.
Auf dem Banner ist ein freundlich lächelndes Frauengesicht zu sehen: im
oberen Teil überaus hell, unterschrieben mit einem gelb unterstrichenen
Schriftzug: „Lichtblick Ostern.de“, während der untere Teil des Banners
dasselbe Bild verdunkelt und nur mühsam zu erkennen präsentiert.
## Abschied und Schmerz versus Glück und Auferstehung
Man kennt dieses erleichtert lächelnde Gesicht aus dem vorabendlichen
Fernsehprogramm – vornehmlich aus Filmchen, die Kopfwehtabletten oder
Baldrian bewerben. Klickt man sich schließlich zur entsprechenden Website
durch, wird man auf dunkle „Bereiche“ wie Abschied, Schmerz und Tod
hingewiesen, aber auch – auf der rechten Seite – auf die hellen „Bereiche…
wie Wiedersehen, Glück und Auferstehung.
Ja, dort steht tatsächlich „Bereiche“; wer da nicht sofort an „Alles im
grünen Bereich!“ denkt, wäre ein Schelm.
Wie also bewirbt man das Zentrum des christlichen Glaubens, diesen
gewaltigen kosmischen Mythos von der Verendlichung, Verfleischlichung und
Ermordung Gottes sowie seiner Selbsterweckung aus dem Reich des Todes?
Offenbar durch den Hinweis, dass man auf so etwas Schönes auch heute noch
warten kann.
## Der Neurologe und die Kirche
Dass aber Warten Glücksgefühle fördern kann, weiß wiederum die neuerdings
allzuständige Neurobiologie, die auf der Website zu Wort kommt:
„Der Neurologe Gregory Berns hat herausgefunden, dass wir unsere
Glückshormone und Glücksgefühle schon durch das Warten auf etwas Schönes,
Neues und Positives aktivieren können. In christlichen Predigten und in der
Religionspädagogik kommt das Wort ’Glück‘ jedoch kaum vor. Weder Martin
Luther noch der protestantische Philosoph Immanuel Kant reden“, so unsere
Website, „in diesem Sinne von Glück, sondern ausschließlich von
Zufriedenheit und Pflichterfüllung.“
## Protestantische Arbeitszeiten auch in der Seelsorge
Das ist zwar, was Kant betrifft, nicht ganz richtig – setzt sich der doch
ausführlich mit der Frage der „Glückswürdigkeit“ auseinander, was aber
keine Rolle mehr spielt. Vielmehr kommt es dem Werbekonzept darauf an, den
Leuten konkret etwas anzubieten – etwa psychotherapeutische Beratung
„online“: „heller Bereich“!
Doch leuchtet auch dieses Licht – wir haben es mit protestantischer Ethik
zu tun – nur während der Regelarbeitszeit, denn, so der warnende Hinweis an
Leute, die das Angebot zu ernst nehmen: „Bitte beachten Sie, dass die
Seelsorgerinnen und Seelsorger diese Onlineberatung nebenamtlich anbieten.
Sie sind bemüht, Ihnen so schnell wie möglich zu antworten, unter der Woche
in der Regel am nächsten Tag. An Wochenenden und an Feiertagen haben Sie
bitte Geduld, Sie erhalten am nächsten Werktag eine Antwort.“
Ganz wie der christliche Gott, der seinen Sohn, den gekreuzigten Jesu, drei
Tage lang, bis zum nächsten Werktag, ins Totenreich verbannte. Wunder
dauern eben etwas länger.
1 Apr 2013
## AUTOREN
Micha Brumlik
## TAGS
Micha Brumlik
Kirche
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