# taz.de -- Zum Tod Jess Francos: Ein Auteur im Bahnhofskino | |
> Mit 83 Jahren ist der Regisseur am Dienstag gestorben. Der gehetzten | |
> Antriebslogik des Genrekinos stellte er ein piktorial-sinnliches | |
> Verständnis von Kino entgegen. | |
Bild: Jess Franco im Jahr 2001. | |
Jess Franco, freier Jess: Free Jazz. Wenn sich einer, der mit bürgerlichem | |
Namen Jesús Franco Manera heißt, so nennt, liegt es wohl auf der Hand, dass | |
er sich für Formen in dem Maße interessiert, wie sich diese auflösen und | |
abstrahieren lassen: Formen als Material im Spiel vielsprachiger | |
Improvisationen. | |
Als Freejazzer des Bahnhofskinos hinterlässt er ein weit verstreutes Werk: | |
Über 200 Filme zwischen 1959 und 2012 sind verbrieft, wohl sind es mehr, da | |
Franco neben Filmen auch Pseudonyme anhäufte wie der flirrende Strand in | |
seiner glühend erotophilen Meditation „Macumba Sexual“ (1982) Sandkörner. | |
Zu diesem Zeitpunkt war der unter konfessionellen Kritikern legendär | |
verhasste Poète maudit nach Spanien zurückgekehrt. Dem vorangegangen waren | |
rund 20 höchst umtriebige Jahre zuzeiten der Krise des europäischen | |
Kommerzkinos. Unter Produzenten wie Artur Brauner, Harry Alan Towers und | |
Erwin C. Dietrich war er für Schmalbudget-Filme zuständig und überführte | |
jedes einstige Erfolgsrezept von Horror über Fu-Manchu bis zur | |
Wallace-Welle in surreale Softerotik. | |
Kassemachende Filmtitel wie „Vampyros Lesbos“ oder „Necronomicon – | |
Geträumte Sünden“ schufen den Freiraum für Formexperimente abseits | |
narrativer Konventionen. In Francos Signatur, den schwülen Nachtclubszenen, | |
stellten diese ihren performativen Charakter immer schon zur Schau. Der | |
gehetzten Antriebslogik des Genrekinos stellte er Entschleunigung und ein | |
piktorial-sinnliches Verständnis von Kino entgegen: Fragile Lichtschimmer, | |
dynamisierende Kameraeinstellungen, delirierende Zooms sind wichtiger als | |
Tempo. 2010 drehte er den verjazzt entspannten Experimental-Ambientfilm | |
„Paula/Paula“. | |
Zuletzt erlebte diese faszinierend einzigartige Stimme des Kinos eine | |
erfreuliche Neubewertung durch den cinephilen Betrieb: 2008 überraschte die | |
Cinémathèque Française mit einer umfangreichen Retrospektive und erhob | |
Franco damit in den Rang eines auteurs, 2009 folgte ein Goya für das | |
Lebenswerk. Im Sommer 2012 lud eine Filmreihe den schon gebrechlichen | |
Regisseur nach Berlin. | |
Am vergangenen Dienstag erlag Jess Franco im spanischen Málaga kurz vor | |
seinem 83. Geburtstag den Folgen eines Schlaganfalls. Nur wenige Tage zuvor | |
feierte sein somit letzter Film „Al Pereira vs. the Alligator Ladies“ | |
Premiere. | |
3 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
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