# taz.de -- Armenspeisung: Auf dem Prüfstand | |
> Die Tafeln helfen nicht nur den Armen, sondern verhindern auch die | |
> Verschwendung von Essen. Inzwischen wird die Kritik an ihnen lauter. | |
Bild: Jede Menge Lebensmittel sind auch nach dem Verfallsdatum noch genießbar. | |
Ganz klein angefangen hat es in Berlin: 1993 begann die „Initiativgruppe | |
Berliner Frauen“ damit, Lebensmittel vor dem Müll zu retten. Und jetzt, 20 | |
Jahre später, haben sich die Tafeln zu professionellen Organisationen | |
entwickelt, die nahezu flächendeckend in ganz Deutschland mittlerweile 1,5 | |
Millionen Menschen mit ausgesonderten Lebensmitteln und Spenden versorgen. | |
2005 waren es noch eine halbe Million Menschen. | |
Die Tafeln können auf 50.000 ehrenamtliche Helfer zurückgreifen. An der | |
Tafel zu helfen, hat sich zum Inbegriff des bürgerlichen Engagements | |
entwickelt. Sie stehen für doppelt Positives: Die Helfer kämpfen nicht nur | |
gegen Armut, sondern dazu gegen Lebensmittelverschwendung. Ursula von der | |
Leyen, ehemalige Schirmherrin der Tafeln, lobte sie als „Erfolgsmodell“, | |
Katrin Göring-Eckardt nannte sie „kleine gelebte Utopie“. Dies ist das Bild | |
der Tafeln, das die Medien dominiert. Doch es bekommt Risse. | |
Zunehmend werden die Tafeln kritischer betrachtet – zuerst von | |
Wissenschaftlern und schließlich auch teilweise in den Medien. Und die | |
Kritiker formieren sich. Anfang 2012 wurde ein tafelkritisches | |
Aktionsbündnis gegründet. Motto: „Armgespeist – 20 Jahre Tafeln sind | |
genug“. Kommende Woche vom 26. bis 28. April lädt es zu Aktionstagen in den | |
„Supermarkt“ im Wedding. „Wir wollen eine Gegenöffentlichkeit herstellen… | |
sagt der Soziologe Stefan Selke von der Hochschule Furtwangen, der das | |
Bündnis mitgegründet und sich an der Spitze der Kritiker positioniert hat. | |
Selke und anderen Kritikern geht es um die Widersprüche der Tafeln: So | |
prangern die Tafeln Lebensmittelverschwendung an, könnten ohne diese aber | |
gar nicht existieren. Auch fordern sie zwar eine Sozialpolitik, die ihre | |
Arbeit überflüssig mache, aber nach Ansicht der Kritiker ermögliche die | |
flächendeckende Versorgung der Tafeln gerade, dass der Staat aus der | |
Verantwortung genommen werde und das Sozialsystem schrumpfen könne. Ein | |
weiterer Widerspruch: Einerseits erklären die Vertreter der Tafeln | |
regelmäßig, dass die nur eine Notlösung sein können, und äußern die | |
Hoffnung, bald überflüssig zu werden. Andererseits tun die Tafeln alles, um | |
neue Freiwillige zu gewinnen und die Logistik zu verbessern. | |
Auch in Berlin: Im Februar warb die Berliner Tafel mit Prominenten um neue | |
Mitglieder. Bei einer Spendenaktion zu Ostern sind zuletzt elf Tonnen | |
Lebensmittel zusammengekommen. Regelmäßige Spender sind fast alle großen | |
Supermarktketten und viele andere Konzerne. Die Supermärkte profitieren von | |
den Tafeln: Sie sparen bei der Entsorgung und stehen als Wohltäter da. | |
Für Selke stellt die Sicht der Öffentlichkeit auf die Tafeln den Schlüssel | |
für deren massive Expansion dar: Der Erfolg der Tafeln sei ein Ergebnis | |
sozialer Erwünschtheit, der „zeitgeistkonformen Idee privat organisierter | |
Wohlfahrt“. Geschützt von einer breiten Lobby und gelobt von der Politik | |
würden sich die Tafeln und ihre Helfer nahezu unangreifbar in der | |
Öffentlichkeit positionieren. | |
Langfristig, glaubt Selke, würden die Helfer den Armen sogar schaden, weil | |
sie Aktivismus mit Ursachenbekämpfung verwechselten. Die Tafeln als | |
Trittbrett zu einem Minimalstaat, in dem die staatliche Existenzsicherung | |
durch ein privates Almosensystem abgelöst wird. | |
Eine Kritik, die durchaus auch von Wohlfahrtsverbänden geteilt wird, die | |
selbst Träger von Tafeln sind. Mehrere Bereichsleiter der Caritas-Verbände | |
und der Diakonien haben sich dem Aktionsbündnis angeschlossen, darunter die | |
Diakonie Berlin-Brandenburg. Auch die Berliner Tafel trat zunächst dem | |
Bündnis bei, scherte dann aber wieder aus: Es gehe dem Bündnis vor allem | |
darum, die Tafeln als Feindbild aufzubauen, sagt die Vorsitzende Sabine | |
Werth. Bei den Aktionstagen wird sie sich der Diskussion mit Stefan Selke | |
stellen. | |
Mit einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor gleich zum Auftakt seiner | |
Aktionstage will das Bündnis auf sich aufmerksam machen. Dann wird sich | |
zeigen, wie stark es mobilisieren und die Sicht auf die Tafeln beeinflussen | |
kann. | |
21 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Martin Rank | |
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