# taz.de -- Theater: Ein Mythos, der wehtut | |
> Das Ballhaus Naunynstraße widmet mit "Liga der Verdammten" dem | |
> Fußballclub Türkiyemspor ein Stück. | |
Bild: Die Liga der Verdammten | |
Das Grölen lässt die Bühne erbeben: „Auf einem grünen Rasen / zwei Tore | |
aufgestellt / und zwischen den zwei Toren / das dümmste Team der Welt.“ Im | |
Ballhaus Naunynstraße geht es um alles: um Fußball, Kreuzberg, den Verein | |
Türkiyemspor, Rassismus, Identifikation. | |
Nur um eines nicht: „Integration ist nicht das Thema des Stückes“, sagt der | |
Schriftsteller Imran Ayata, Autor von „Liga der Verdammten“, das am | |
kommenden Freitag uraufgeführt wird. Regisseur Neco Çelik ergänzt: | |
„Integration? Das ist der deutsche Blick auf Türkiyemspor, das ist nicht | |
mein Thema.“ | |
Vielmehr geht es um einen Blick in das Innenleben des Vereins Türkiyemspor, | |
der – zumindest für Kreuzberger Verhältnisse – schon sehr große Tage erl… | |
hat. In den 80er und 90er Jahren war Türkiyemspor der Club der linken Szene | |
Westberlins. Inzwischen jedoch, wie Dramaturgin Nora Haakh sagt, ist es ein | |
„leerer Mythos, der sich für jeden als Projektionsfläche anbietet“. | |
Für jeden, auch für Rechte: Was das Ensemble da bei der Probe singt, ist | |
ein Hasslied der Naziband „Landser“. „Wieder mal kein Tor für Türkiyems… | |
heißt der Song, doch die jungen Schauspieler, teils Profis, teils Laien, | |
sind noch nicht textsicher. „Nur beim Lalala geht ihr voll mit“, beschwert | |
sich Nora Haakh. Also lässt Regisseur Çelik jeden den Text aufschreiben. | |
„Wie beim Diktat“, mault einer. „Ist ja auch ein Diktat“, lautet die | |
Antwort. Zeile für Zeile, Wort für Wort wird der Nazitext diktiert: „Die | |
ganzen Scheißkanaken / stinken wie die Pest / und wie sie Fußball spielen / | |
das gibt dir den Rest / keine Ahnung vom Lederkicken / aber Knoblauch | |
fressen und Esel ficken.“ Einer stöhnt genervt. „Metrisch hab ich noch nie | |
so etwas Furchtbares gehört!“ | |
Das Ensemble besteht aus lauter Schauspielern mit, wie man so sagt: | |
Migrationshintergrund, bei den meisten ist es ein türkischer. Nur ein | |
„Deutschdeutscher“, so drückt es Autor Ayata aus, ist dabei. Aber das | |
Ballhaus Naunynstraße ist ja ein Theater, das den Schwerpunkt auf | |
„postmigrantische Kulturproduktionen“ legt, wie es etwas holprig heißt. | |
Dramaturgin Nora Haakh drückt es anders aus: „Wir sind mit dem Ballhaus in | |
Kreuzberg. Unser Stück erzählt eine Kreuzberger Geschichte.“ | |
So kam es, dass plötzlich Türkiyemspor, 1978 in Kreuzberg von türkischen | |
Arbeitern gegründet, auf die Bühne kam. „Es war die Idee des Theaters, ein | |
Fußballstück zu machen“, erzählt Ayata. Er und Çelik dachten sofort an | |
Türkiyemspor. Schließlich war der Club nicht nur einer der ersten | |
türkischen Fußballvereine in Deutschland, sondern lange auch der | |
erfolgreichste. Mehr als einmal kickte er in der Hauptrunde des DFB-Pokals, | |
mehrmals stand er in den Achtzigern kurz vor dem Aufstieg in die Zweite | |
Liga. | |
Ein Stück Fußballgeschichte also, aus Kreuzberg. Und ein Stück persönliche | |
Erinnerung für Neco Çelik, 1972 in Berlin geboren, und Imran Ayata, 1969 | |
geboren und schon lange in Berlin. | |
Erinnerung an Fußball heißt auch: Erinnerung an Rassismus. Wenn | |
Türkiyemspor auswärts spielte, waren Sprüche über die „Kanaken“ und | |
„Knoblauchfresser“ Standard. Die Fans galten in ordentlich deutscher | |
Diktion als „Heißsporne“, die „leicht erregbar“ schon mal den Platz | |
stürmten. Weil der Schiedsrichter falsch gepfiffen hatte oder der Aufstieg | |
wieder mal verpasst wurde. „Was die Tragik angeht, kann man Türkiyemspor | |
mit Schalke vergleichen“, sagt Çelik. | |
So erklärt der Regisseur sich einen Teil des Mythos. Fußball sorge für | |
Identifikation und historisch entstamme die Verbundenheit vieler Menschen | |
gerade mit diesem Klub „aus einer Zeit des Gastarbeiterethos“. Ein Mythos | |
sei Türkiyemspor aber auch, „weil es seinen Fans so viele Schmerzen | |
zugefügt hat“, fügt er hinzu und denkt an seine eigene Erfahrungen. Das | |
gilt bis heute: Der Club steckt in der Insolvenz. | |
## Vielleicht enttäuscht | |
Schmerzen, Tragik, Leiden. Dass ein Theater, ein Regisseur und ein | |
Schriftsteller da zugreifen, liegt nahe. „Es war nie geplant, die | |
Vereinsgeschichte eins zu eins auf die Bühne zu bringen“, so Ayata. „Der | |
Verein dient uns vielmehr als Inspirationsquelle.“ Die Quelle hat | |
allerdings gerne mitgespielt: Viele Interviews mit Funktionären, Spielern, | |
Exspielern und Fans wurden geführt. „Vielleicht werden die enttäuscht | |
sein“, sagt Ayata. | |
Es ist nämlich kein Sportstück und schon gar keine Hymne auf einen ganz, | |
ganz tollen Verein. „Wir machen das Stück nicht wegen des Fußballs“, sagt | |
Neco Çelik sehr bestimmt. Es sei vielmehr so, dass sich im Fußball sehr | |
viel von der Geschichte Kreuzbergs und von der Geschichte der türkischen | |
Arbeitsmigranten in Deutschland erzählen lässt. Der Name des Stücks geht | |
übrigens auf den Schriftsteller Feridun Zaimoglu zurück, der mit „Liga der | |
Verdammten“ seine Situation beschrieb, und nicht auf eine Spielklasse im | |
organisierten Fußball. | |
3 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |