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# taz.de -- Siegeszug der Herz-Lungen-Maschine: Hoffnung fürs Herz
> Der erste erfolgreiche klinische Einsatz des künstlichen Kreislaufs, der
> zeitweilig die Funktionen von Herz und Lunge ersetzt, liegt 60 Jahre
> zurück.
Bild: Ein Arzt bedient die Herz-Lungen-Maschine während einer Bypass-Operation.
HALLE taz | „Aorta zu! Vent maximal!“ Konzentriert arbeiten Chirurgen und
Anästhesisten, Pfleger und Kardiotechniker. „Kardioplegie an!“ Knapp kommen
die Kommandos, der erste kritische Moment der Herzoperation ist erreicht:
Die Schlagader wird abgeklemmt, das Herz leergesaugt, ein Medikament in die
Herzkranzgefäße gepumpt.
Der Herzton wird langsamer, unregelmäßig, bleibt eine Minute später
schließlich ganz aus. Die grüne Linie auf dem Monitor zeigt keinen
Ausschlag mehr. Das Herz steht.
Doch dies bedeutet hier nicht den Tod, sondern Hoffnung für ein erkranktes
Organ. Bypässe werden gelegt, Löcher geflickt, Klappen repariert. Das
Verfahren, das dies ermöglicht, funktioniert seit 60 Jahren: Am 6. Mai 1953
verschloss John Heysham Gibbon an der Pennsylvania University in
Philadelphia einen Defekt in der Vorhofscheidewand der 18-jährigen Cecelia
Bavolek unter dem Schutz der Herz-Lungen-Maschine (HLM).
Fast ein Vierteljahrhundert hatte Gibbon gebraucht, die Methode zu
entwickeln, einen Apparat zu bauen, der das venöse Blut aus den großen
Hohlvenen ansaugen, es von Kohlendioxid reinigen, mit Sauerstoff anreichern
und, gereinigt und gefiltert, dem menschlichen Körper wieder in die Aorta
zurückgeben kann – mit bis zu sechs Litern pro Minute, stundenlang.
## Die Vorgeschichte
Doch die Geschichte begann eigentlich schon viel früher, genauer: am 3.
Oktober 1930, als der junge Assistent Gibbon auf Geheiß seines Chefs eine
Nachtwache halten musste, wissend, dass er seiner Patientin nicht helfen
konnte.
Sie hatte eine schwere Lungenembolie und würde sterben, niemand konnte
einfach eine Herzkammer aufschneiden und die Thromben herausholen. Da kam
ihm der Gedanke, das Herz, eine Muskelpumpe, durch eine mechanische Pumpe
zu ersetzen, wenigstens für ein paar Stunden, für die Dauer einer
Operation.
## Mit Katzen und Fischen
Seinen Chef kann er dafür nicht begeistern, aber dessen wissenschaftliche
Assistentin: Mary Hopkinson wird Gibbons wichtigste Partnerin, in der
Forschung und im Leben. Nach der Hochzeit im März 1931 experimentieren sie
zunächst mit Katzen, die sie mit Fischen von der Straße ins Labor locken.
Sie schnüren die Lungenarterie ab und pumpen den Blutstrom eine Zeit lang
durch die mechanische Lunge. Am 10. Mai 1935 überlebt erstmals ein Tier den
Versuch, 39 Minuten wird es ohne eigene Herzfunktion, nur durch die
extrakorporale Zirkulation, am Leben gehalten. Mary und John tanzen im
Labor.
Der Zweite Weltkrieg unterbricht die Arbeit, verschlägt Gibbon als
Truppenarzt nach Neukaledonien in den Südpazifik. Danach unterstützt IBM
die Forschung, stellt Ingenieure ab, um insgesamt drei
Herz-Lungen-Maschinen zu konstruieren. Modell II bringt schließlich den
klinischen Erfolg.
## Rettung eines Bikers
1972, knapp zwanzig Jahre nach Gibbons Pioniertat, fährt ein 24 Jahre
junger Mann auf seinem Motorrad durch Santa Barbara, Kalifornien. Er stürzt
schwer, erleidet ein stumpfes Thoraxtrauma. Die Lungen sind gequetscht, die
Aorta ist verletzt. Er wird operiert. Vier Tage später setzen seine Lungen
aus.
Donald Hill und sein Team am Pacific Medical Center in Los Angeles haben
die Herz-Lungen-Maschine inzwischen stark verbessert, die vielen
rotierenden Scheiben für den Gasaustausch durch eine kleine Membranlunge
ersetzt. Sie bringen das Gerät nach Santa Barbara, schließen es an den
Patienten an, unterstützen drei Tage lang den Kreislauf.
Bei einem extrakorporalen Blutstrom von 3,0 bis 3,6 Liter pro Minute - die
Sauerstoffspannung im Blut steigt von 38 auf 75 mmHg - kann die
Sauerstoffkonzentration in der Atemluft von 100 auf 60 Prozent und der
Atemwegsspitzendruck von 60 auf 35 cmWS verringert werden. Die Schock-Lunge
wird erfolgreich entlastet, der Patient kann sich erholen.
Drei Jahre später, 1975, wird im Orange County Medical Center in
Kalifornien ein Mädchen geboren. Doch etwas stimmt nicht. Ihre kleinen
Lungen wollen nicht richtig arbeiten. Das Beatmungsgerät ist voll
aufgedreht, die Sauerstoffspannung sinkt trotzdem auf 12 mm Hg.
Der Thoraxchirurg Robert Bartlett, an der Entwicklung der Membranlunge
beteiligt, bringt eine Maschine herbei. Nie zuvor war sie an ein Baby
angeschlossen worden. Die Mutter des Babs versucht zu verstehen, was man
ihr erklärt, unterschreibt den Aufklärungsbogen mit einem „X“ - und
verschwindet spurlos, war sie doch gerade illegal aus Mexiko eingereist und
müsste, bliebe sie länger im Krankenhaus, mit Verhaftung und Abschiebung
rechnen.
Nach drei Tagen extrakorporaler Blutoxigenierung haben sich die Lungen
gekräftigt, das Baby kann selbstständig atmen. Die Krankenschwestern geben
ihm den Namen Esperanza - Hoffnung...
## Die HLM wird mobil
1998, wieder fast ein Vierteljahrhundert später, kollabiert in Deutschland
ein 55-jähriger Chirurg in seiner eigenen Praxis. Ein Notarzt, schnell
herbeigerufen, kann nichts mehr tun. Der Patient ist sein Freund. Eine HLM
dabeizuhaben, hätte ihn vielleicht retten können.
Georg Matheis belässt es nicht bei diesem Gedanken. Er gründet eine Firma,
entwickelt die weltweit erste wirklich mobile Herz-Lungen-Maschine. Nur
zehn Prozent einer normalen HLM sollte sie wiegen, nicht einmal 20
Kilogramm.
Zwar verlässt Matheis bald wieder die Firma und wendet sich anderen
Projekten zu, doch 2007 beweist die Lifebridge am Deutschen Herzzentrum
Berlin erstmals ihre Tauglichkeit. 2008 wird sie europaweit zugelassen,
2010 auch in den USA.
## Die Tragik der Erfinder
Inzwischen verdanken weltweit Millionen Menschen ihr Leben einer
Herz-Lungen-Maschine. Doch deren Entwicklern half sie nicht: John Heysham
Gibbon starb 1973, immer Alter von 69 Jahren während eines Tennisspiels –
an einem Herzinfarkt.
Und die Lifebridge Medizintechnik AG, im vergangenen Herbst noch einer der
Bundessieger in der „Initiative Deutschland – Land der Ideen“, wird gerade
selbst reanimiert: Sie musste Insolvenz anmelden und wurde von einer
amerikanischen Firma gekauft.
11 May 2013
## AUTOREN
Holger Zorn
## TAGS
Medizintechnik
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