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# taz.de -- Querulantin oder Kämpferin: „Mit zehn habe ich Brecht gelesen“
> Inge Hannemann war Arbeitsvermittlerin in einem Hamburger Jobcenter. Bis
> sie die Abschaffung von Hartz IV forderte. Nun ist sie von der Arbeit
> freigestellt. Beeindrucken tut sie das nicht
Bild: Wer schon als Schulkind in die besetzten Häuser der Hafenstraße geht, i…
taz: Frau Hannemann, die Medien berichten über Ihre Arbeit, Sie werden
bundesweit zu Vorträgen eingeladen. Genießen Sie diesen Ruhm?
Inge Hannemann: Personenkult ist nicht das, was ich will. Wir brauchen
natürlich die Medien, das ist ganz wichtig. Aber es geht nicht um meine
Person, sondern um die Schikanen und Willkür in den Jobcentern, und um die
Not der Erwerbslosen.
Sie wurden bis auf Widerruf von ihrer Arbeit im Jobcenter freigestellt.
Glauben Sie, dass Sie wieder an Ihren Arbeitsplatz zurückkehren werden?
Nein. Das Jobcenter team.arbeit.hamburg hat den Medien schon schriftlich
mitgeteilt, dass eine weitere Zusammenarbeit mit mir nicht möglich ist. Mir
selber wurde noch nichts gesagt.
Sie sollen durch Ihr Verhalten „Unfriede und Eskalationspotential“ in das
Jobcenter hineintragen. Sind Sie eine Querulantin?
Vielleicht bin ich derzeit für das Jobcenter unangenehm. Ich berufe mich
auf das Grundgesetz, das hat mit einer Querulantin eigentlich nichts zu
tun. Aber wenn ich mein Ziel erreiche, soll mir diese Bezeichnung recht
sein.
Wollen Sie trotz aller Kritik zurück an Ihren Arbeitsplatz?
Die soziale Arbeit mit den jungen Menschen macht mir Spaß und ich sehe
Erfolge. Man hat als Arbeitsvermittlerin einen Ermessensspielraum, muss
also keine Sanktionen verhängen. Außerdem will ich den Teamleitern und
Kollegen zeigen, dass es auch anders geht. 90 Prozent der Termine bei mir
werden von den Jugendlichen wahrgenommen, im Durchschnitt liegt die Quote
bei weniger als der Hälfte. Die Jugendlichen kommen teilweise auch ohne
Termin zu mir, wenn sie neue Ideen oder Fragen haben. Selbst jetzt werde
ich noch angerufen und helfe bei der Suche nach Ausbildungsplätzen.
Sie haben 2005 als Fallmanagerin im Jobcenter angefangen. Wann haben Sie
begonnen, an der Arbeit zu zweifeln?
Mitte 2006, als das neue Fortentwicklungsgesetz kam, das Arbeitssuchenden
per se Leistungsmissbrauch unterstellt. Ich konnte nicht verstehen, warum
man Erwerbslose schon im Voraus sanktionieren sollte. Es ging immer weniger
um den beruflichen Lebensweg und den Gesundheitszustand der Person. Wir
wurden intern dazu gedrängt, zu vermitteln, egal wie und wohin. Heute
werden vier von fünf Erwerbslosen an Zeitarbeitsfirmen vermittelt. Dort
verdienen sie so wenig, dass sie immer abhängig vom Jobcenter bleiben.
Aber Sie fingen erst 2011 an zu bloggen.
Mit befreundeten Anwälten habe ich schon vorher die Gesetzeslage und deren
Konsequenzen für Erwerbslose diskutiert. Außerdem habe ich in der Zeit
viele Kontakte zu Erwerbsloseninitiativen geknüpft.
Warum wollten Sie ursprünglich in einem Jobcenter arbeiten?
Ich war arbeitslos und habe mich aus der Not heraus beworben. Anfangs war
die Arbeit auch wirklich schön. Ich hatte einen sehr netten Teamleiter, der
Erwerbslose noch als Menschen und nicht als Nummern angesehen hat.
Würde Sie künftig parteipolitische Arbeit reizen?
Ich wollte mal politische Karriere machen. Ich finde Politik auch bis heute
interessant, aber schon bei den Jusos haben mich interne Machtkämpfe
abgeschreckt. Mit 16 bin ich denen beigetreten, früher ging das damals
nicht. Nach fünf Jahren war ich dann wieder draußen.
Wären Sie gerne schon früher zu den Jusos gegangen?
Ich habe mich schon sehr früh für Politik interessiert. Mit 10 Jahren habe
ich Brecht und Böll gelesen, weil ich mit Jugendbüchern wie Hanni und Nanni
oder Dolly nichts anfangen konnte. Außerdem war ich schon in frühem
Kindesalter auf Friedensdemos und häufig in den besetzten Häusern der
Hafenstraße.
Das war in den 80ern. Waren Sie da nicht noch ziemlich klein?
Anfangs sind meine Eltern mit mir gekommen, besonders mein Vater, der mich
immer motiviert hat, an Demonstrationen teilzunehmen. Er war lange Jahre
bei Amnesty International, meine Mutter war Aktivistin in der
Frauenbewegung. Als ich älter war, 14 oder 15, bin ich dann mit den Leuten
aus der Friedensbewegung alleine mitgegangen.
Teilen Ihre Eltern Ihre Kritik oder ermahnen sie Sie, den Job nicht zu
riskieren?
Meine Eltern unterstützen mich in meinen Aktivitäten. Manchmal reden wir
darüber, warum ich das mache. Ich sage dann immer, dass ich nur das
weiterführe, was meine Eltern mir vermittelt haben. Nämlich mich gut
argumentierend und sachlich einzusetzen, wenn mir etwas nicht richtig
erscheint.
Wie sind Ihnen Ihre Vorgesetzten im Jobcenter begegnet?
Es fand kaum direkte Kommunikation statt, meine Vorgesetzten lesen aber
meine Blogs. 2011 forderte mich der Geschäftsführer des Jobcenters Hamburg
auf, nicht über Hartz IV oder Jobcenter zu bloggen. Das habe ich ignoriert.
Außerdem wurden mein Büro und mein Computer durchsucht und meine
Telefonliste überprüft.
Und Ihre Kollegen?
Ich habe viel Zuspruch von Jobcenter-Mitarbeitern aus ganz Deutschland
bekommen. Meine Kollegen in Altona hielten sich sehr bedeckt, viele wussten
nichts von meinem Blog. Zwei meiner Kollegen fanden es richtig, würden
selbst aber nie öffentliche Kritik üben. Andere waren mit meinen Ansichten
nicht einverstanden.
Wurden Sie gemobbt?
Ich würde es schon als Mobbing bezeichnen. Einige Kollegen redeten nicht
mehr mit mir, andere schlugen mir vor, zu gehen, wenn es mir hier nicht
gefalle. Von einem Kollegen aus einem anderen Hamburger Jobcenter wurden
meine Familie und ich sogar körperlich bedroht.
Wie gehen Sie damit um?
Es belastet mich nicht besonders. Ich konzentriere mich auf meine Aufgaben
und bleibe offen für Kritik, solange sie konstruktiv ist. Leider haben
viele Kollegen nie das direkte Gespräch mit mir gesucht. Wenn Menschen
mobben, ist das meist eigene Unsicherheit. Ich denke, dass meine Kollegen
einfach Angst um ihren Arbeitsplatz hatten und Repressalien der
Jobcenterzentrale oder der Standortleiter fürchteten, so wie ich sie
erlebe.
Können Sie das immer so nüchtern sehen?
Ich gehe vier Mal in der Woche laufen, etwa zehn Kilometer, das macht
meinen Kopf frei. Außerdem geben mir mein Mann, meine Tochter, meine Eltern
und mein Unterstützerteam Halt.
Angst um Ihre Zukunft haben Sie nicht?
Die Freistellung basiert auf rein politischen Gründen, weil ich Hartz IV
für grundgesetzwidrig halte und für die Aussetzung der Sanktionen stehe.
Meine Anwälte prüfen, ob das für eine Entlassung reicht. Von Kollegen weiß
ich, dass gerade alle meine Fälle untersucht werden, um etwas gegen mich in
der Hand zu haben. Aber selbst wenn es zu einer Entlassung kommen sollte:
Ich war in meinem Leben nur sehr wenige Tage arbeitslos. Erfahrungsgemäß
finde ich schnell etwas und komme schon irgendwo unter.
Wer gehört denn zu Ihrem Unterstützerteam?
Anwälte, Mitglieder von der SPD, der Linken und den Piraten,
Gewerkschaftler und Erwerbsloseninitiativen. Mittlerweile sind mehr als 20
Leute in meinem festen Team, mit dem ich täglich Kontakt habe. Aber es
haben mehr als hundert Menschen mit verschiedensten Qualifikationen ihre
Hilfe angeboten, die ich nur anrufen muss.
Wobei helfen Sie Ihnen genau?
Das Endziel ist die Abschaffung von Hartz IV. Zwei Anwaltskanzleien prüfen
momentan die Rechtsmäßigkeit der Hartz-IV-Gesetze. Wir glauben, dass die
Sanktionen für Erwerbslose gegen das Grundgesetz verstoßen. Vermutlich
müssen wir alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte durchlaufen.
Wo stehen Sie gerade?
Leider noch ganz vorne, bei der Abschaffung der Sanktionen. Das muss
gerichtlich erfolgen. Danach geht es um eine Reform des Hartz-Systems und
im Endeffekt um die Abschaffung von Hartz IV.
10 May 2013
## AUTOREN
Hannes Lintschnig
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