| # taz.de -- Internationale Händelfestspiele: Das Volk trinkt Kaffee | |
| > In Göttingen befreit Immo Karaman Georg Friedrich Händels Oper „Siroe, Rè | |
| > di Persia“ von barocken Orient-Klischees. | |
| Bild: Persien ist eine abgefuckte Villa. | |
| Die erste Szene gehört ihr: Im dunklen Kleid sitzt sie auf der Treppe und | |
| rührt in einer Kaffeetasse. Dann steht sie auf, steigt die Stufen hinab, | |
| entdeckt sich im Spiegel und tanzt vor Freude ein paar barocke | |
| Steppschritte. | |
| Sie ist blond und blass und symbolisiert das persische Volk. Und eigentlich | |
| beginnt GeorgFriedrich Händels „Siroe, Re di Persia“ erst jetzt: Regisseur | |
| Immo Karaman hat die Tänzerin hinzuerfunden. Damit macht er gleich am | |
| Anfang der Aufführung klar, dass seine Version der Barock-Oper, die das | |
| Herzstück der Internationalen Händel-festspiele Göttingen ist, keine | |
| klassische ist. | |
| Die Opera seria des 18. Jahrhunderts bedient sich gerne und oft exotischen | |
| Klischees, indem sie ihre Geschichten vor orientalischer Kulisse erzählt. | |
| Händels Siroe, König von Persien, wie die Oper in der deutschen Übersetzung | |
| heißt, trägt das schon im Namen und spielt folgerichtig am persischen Hof. | |
| Eigentlich perfekt für die diesjährigen Festspiele, die mit „Händel und der | |
| Orient“ überschrieben sind. Karaman aber hat dem Orient völlig | |
| abgeschworen. | |
| So ist nicht nur seine Tänzerin ein Anti-Klischee. Er verlegt die ganze | |
| Siroe-Oper aus dem Palast in eine geschundene Villa, wo die Spiegel stumpf | |
| sind und die Lampenschirme schief hängen. Das Ganze erinnert stilistisch an | |
| Hitchcock-Filme aus den 1950er- Jahren und hat mit einem barocken | |
| Sehnsuchtsort nichts gemein. Schwerter und Krummsäbel werden bei Karaman zu | |
| Pistolen, der Kerker zum schnöden Keller, in dem Siroe an eine Heizung | |
| gekettet ist. Das irritiert kurz, entreißt aber die Musik dem | |
| orientalischen Exotismus. Damit kann sie erst zum sinnlichen Erlebnis | |
| werden, weil das Stereotyp nicht ständig lästig um die Ecke schaut. Karaman | |
| übersetzt das musikalische in ein visuelles Vergnügen. Wie geschickt er | |
| seine Sängerinnen und Sänger im Bühnenbild anordnet und bewegt, wird | |
| deutlich, wenn alle Figuren gleichzeitig in den Räumen der Villa zu sehen | |
| sind. Jede Szene für sich ließe sich einfrieren. | |
| Geschrieben hat die Geschichte der Libretto-Star des 18. Jahrhunderts, | |
| Pietro Metastasio. Er leitet sie ab von der Figur des Perser-Königs Chosrau | |
| II. Doch die Historie war Metastasio relativ egal: Ihm geht es um | |
| moralische Konventionen wie Gehorsam, das Recht des Erstgeborenen und die | |
| Kontrolle der Leidenschaften. | |
| Inhaltlich ist Siroe auch ein harter Brocken: Cosroe, König von Persien, | |
| will die Macht nicht an seinen erstgeborenen Sohn Siroe übergeben. | |
| Stattdessen soll Medarse, der jüngere Bruder, den Thron besteigen. Siroe | |
| gerät daraufhin in Verdacht, ein Mordkomplott gegen seinen Vater zu | |
| schmieden. In Wahrheit trachtet jedoch seine Geliebte Emira, die als Mann | |
| verkleidet am persischen Hof weilt, dem König aus Rache nach dem Leben. | |
| Siroe weiß das, will aber Emira nicht verraten. So wird er in den Kerker | |
| geworfen und soll hingerichtet werden. Außerdem ist da noch Laodice, die | |
| von Cosroe geliebt wird, jedoch ihrerseits Siroe begehrt. Das ist arg | |
| verworren, bietet aber diverse Anlässe für wunderschöne Da-Capo-Arien. | |
| Musikalisch ist die Göttinger Aufführung unter Leitung von Laurence | |
| Cummings eine Glanzleistung. Zwar singt in der Premiere Yosemeh Adjei seine | |
| titelgebende Hauptrolle anfangs mit durchwachsener Präzision, steigert sich | |
| aber zusehends. Grandios ist er, als er im dritten Akt mit zerrissener | |
| Kleidung und Dreck beschmiert auf einem Benzinkanister sitzt und voller | |
| Verzweiflung die Ungerechtigkeit seines vermeintlich nahenden Todes | |
| besingt. | |
| Der Medarse Antonio Giovannini überzeugt mit klarer Stimme als Bösewicht. | |
| Emira-Darstellerin Anna Dennis streift als lässige Anzugträgerin durch die | |
| Szenen. Gegen Ende des ersten Aktes steht sie auf einem Tisch, singt ihre | |
| Arie, glänzt mit wunderschönen Koloraturen und holt nebenbei noch einen | |
| kurzen schwarzen Kamm aus der Tasche, um ihre Frisur zu richten. Auch | |
| Aleksandra Zamojska fesselt das Publikum. Bewegend ist ihr Klagen, als | |
| Laodice erkennt, dass ihre Liebe für Siroe vergebens ist. | |
| Siroe wird eher selten auf die Bühne gebracht und ist etwas sperrig. Händel | |
| soll sie unter Zeitdruck geschrieben haben und Metastasios Libretto war so | |
| lang, dass der Komponist die Hälfte des für Rezitative vorgesehenen Textes | |
| strich. Dadurch fehlen viele Dialoge, die die Handlung vorantreiben und | |
| erklären. Mancher Sinneswandel der Figuren bleibt unverständlich. Karaman | |
| gelingt es, das durch seine Inszenierung geradezubiegen. Manchmal spielt er | |
| sogar damit: Am Schluss schwören die Figuren ihren Leidenschaften, Intrigen | |
| und Rachegelüsten ab, um in einem Loblied auf die Liebe zusammenzufinden. | |
| Der Regisseur aber lässt seine Sängerinnen und Sänger in ihren Handlungen | |
| und Mimiken einen Kontrapunkt zum Text setzen. Da ist beispielsweise | |
| Medarse, dem zufällig die Krone in die Hände fällt. Er hat längst auf sie | |
| verzichtet und seinem Bruder Treue geschworen. | |
| Doch in diesem unbeobachteten Moment, führen seine Hände die Krone immer | |
| wieder zu seinem Kopf und er muss sich zwingen, sie nicht aufzusetzen. | |
| Karaman zeigt, dass Händels Figuren trotz des vermeintlichen Happy Ends | |
| weiterhin innerlich zerrissen sind. Dazwischen serviert seine erfundene | |
| Tänzerin Kaffee und Kuchen. Als sie ihre Arbeit getan hat, verlässt sie den | |
| Raum, schließt die Tür und die Feiergesellschaft gerät aus dem Blick. Die | |
| letzte Szene gehört ihr: Sie setzt sich auf einen Stuhl und – rührt in | |
| ihrer Kaffeetasse. | |
| ## Georg Friedrich Händel: „Siroe – Re di Persia“, Laurence Cummings, | |
| Festspiel-Orchester, Deutsches Theater Göttingen, nur noch am 15. und 20. | |
| 5., 19 Uhr sowie 19. 5. 15 Uhr. Jeweils eine Stunde vor Aufführungsbeginn | |
| gibt es eine Einführung ins Werk. Infos: | |
| 14 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jakob Epler | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |