# taz.de -- Spielen oder Zuschauen: „Liebe auf den ersten Blick“ | |
> Torwart Benedikt Pliquett sitzt beim FC St. Pauli meist nur auf der Bank. | |
> Schwer auszuhalten – wäre der Verein nicht seine große Liebe. Unser Autor | |
> versteht das: Ein Gespräch unter Fans. | |
Bild: Wer es mit seinem Verein ernst meint, der steht auch im Fanblock: Benedik… | |
taz: Benedikt, herzlichen Glückwunsch zur Vertragsverlängerung, zu Deinem | |
zehnten Jahr beim FC St. Pauli. | |
Benedikt Pliquett: Danke! | |
Du warst schon dabei, dich arbeitslos zu melden. | |
Genau. Vor dem letzten Heimspiel Mitte des Monats, bei dem Marius Ebbers | |
und Florian Bruns verabschiedet wurden, hätte ich schon gern Klarheit über | |
meine eigene Situation gehabt. Anfang des Jahres wurde mir zwar gesagt, | |
dass mit mir verlängert werden soll – aber ich habe noch nie so lange auf | |
eine Vertragsverlängerung warten müssen. Das war für mich eine schwierige | |
Situation. Bevor ich mit leeren Händen dastehe, bin ich dann lieber auf’s | |
Amt und hab’ mich arbeitslos gemeldet. Nun bin ich froh, dass es hier | |
weitergeht. | |
Seit Jahren sitzt Du meist auf der Ersatzbank. Frustriert Dich das? | |
Nein, ich kann mit dieser Rolle gut leben, solange ich wertgeschätzt werde. | |
Ich will natürlich spielen, kann meine eigenen Interessen aber auch | |
zurückstellen. Jeder wird für’s Kollektiv gebraucht und das haben mir meine | |
Trainer und Mitspieler auch immer deutlich gemacht. Das passt also schon. | |
Mein Glück hängt nicht davon ab, ob ich auf dem Platz stehe. | |
Das klingt nicht sehr ehrgeizig. | |
Natürlich nervt es mich, nicht zu spielen. Aber ich laufe nicht mit einer | |
breiteren Brust rum, wenn ich auf dem Feld gestanden habe. Doch nachdem ich | |
im vorigen Jahr einige Spiele in der zweiten Liga gemacht und gesehen habe, | |
dass es funktioniert, ist es mir recht schwergefallen, wieder auf der | |
Ersatzbank Platz zu nehmen. Es gab in der Vergangenheit immer mal wieder | |
Situationen, wo ich mir gewünscht hätte, dass der jeweilige Trainer sich | |
für mich entschieden hätte. Ich habe ja auch in der ersten Liga schon | |
einige ganz passable Spiele gemacht. | |
Hast Du nie daran gedacht, den Verein zu wechseln, um anderswo Nummer eins | |
zu werden? | |
Im vergangenen Jahr das erste Mal so richtig. Und in diesem Jahr dann auch, | |
wegen meiner ungeklärten vertraglichen Situation und des Fakts, dass ich | |
gar nicht gespielt habe. Aber ich bin dankbar, hier zu sein: Ich muss kein | |
Nomadenleben als Fußballprofi führen, kann bei meinen Freunden bleiben und | |
da ich bei dem Verein spiele, den ich liebe, meinen Beruf mit Leidenschaft | |
und Herz ausfüllen. Dieser Club hat es mir zudem ermöglicht, in der | |
Bundesliga zu spielen. | |
Dein Karrierehöhepunkt ist das gewonnene Bundesliga-Derby gegen den HSV, | |
Deine allererste Bundesliga-Partie. Was bedeutet Dir dieser Sieg? | |
Wir haben an diesem Tag Hamburger Fußballgeschichte geschrieben und ich | |
durfte dazu beitragen. Da hat sich ein Traum erfüllt, dafür bin ich | |
dankbar. Denn dieses Spiel war eine absolute Herzensangelegenheit für mich. | |
Dieser Triumph war für den Verein und sein Umfeld ungemein wichtig, da geht | |
es mir weniger um mich persönlich. Ich bin keiner, der sich abfeiern lässt. | |
Vor zehn Jahren standest Du noch bei den HSV-Amateuren im Kader. War der | |
Derbysieg auch die späte Rache eines 2004 vom HSV „vom Hof Gejagten“? | |
Ja, definitiv. Drei Tage vor Ablauf der Wechselperiode und fünf Tage vor | |
meiner schriftlichen Abi-Prüfung wurde mir vom HSV mitgeteilt, dass man | |
mich nicht mehr braucht. Das empfand ich als ungerecht, unfair und als | |
schlechten Stil. Da war eine Rechnung offen, die nun beglichen ist. | |
Dein Verhältnis zum HSV? | |
Welches Verhältnis? Das Thema ist seit dem Derby durch und ich weine dem | |
HSV bestimmt nicht hinterher. | |
Du bist in Hamburg geboren, vor den Toren der Stadt aufgewachsen: Von | |
welchem Club warst Du als Kind Fan? | |
Ich hatte Dortmund-Trikots zu Hause und bin mit meinem Papa sowohl im | |
Volkspark als auch am Millerntor gewesen. In der Klasse waren der HSV und | |
St. Pauli natürlich Dauerthema. Ich habe viel gescatet und war dann mehr | |
mit Leuten zusammen, die auf St. Pauli standen. | |
Im Fußballverein wollen immer alle Tore schießen, aber keiner will ins Tor. | |
Was ist da bei Dir schiefgelaufen? | |
Im Feld habe ich immer Seitenstiche und Atemnot bekommen. Da bin ich dann | |
schon in der F-Jugend ins Tor gegangen. | |
„Ich liebe diesen unglaublichen Verein!“, hast Du auf Deiner Facebook-Seite | |
geschrieben – war das Liebe auf den ersten Blick? | |
Als ich 2004 hierher gewechselt bin, war das schon Liebe auf den ersten | |
Blick. Ich bin schnell in das Umfeld hineingewachsen und habe ganz viele | |
tolle Leute an der Basis kennengelernt, die diesen Club tragen. | |
Was gefällt Dir am St. Pauli-Umfeld? | |
Aktuell Projekte wie das FC St. Pauli-Museum oder die Fanräume. Da sammeln | |
Fans mal eben knapp 400.000 Euro zusammen, um diese Räume im neuen Stadion | |
zu realisieren. Oder es engagieren sich so viele Leute von der Vereinsbasis | |
gegen die Unterbringung der Polizeiwache gleich daneben, dass eine | |
scheinbar längst beschlossene Sache noch mal kippt. Sie erreichen eine so | |
starke Mobilisierung, dass es einen neuen Dialog im Verein gibt und dann | |
auch einen mit der Politik, der sich positiv gestaltet. Die Vereinsführung | |
weiß, dass es genau diese Menschen sind, die bedingungslos hinter dem Club | |
stehen, auch wenn es sportlich und wirtschaftlich mal schlecht läuft – die | |
seine Werte auf Händen tragen. | |
„Bene ist mehr St. Pauli als wir alle“, hat Dein früherer Trainer Holger | |
Stanislawski mal über Dich gesagt: Ein wenig viel der Ehre oder angemessen? | |
Mir ist eine solche Zuschreibung eher unangenehm. Was heißt denn: Mehr St. | |
Pauli als wir alle? Ich mach das ja nicht, weil ich damit etwas bezwecke, | |
sondern weil ich einfach meinen Weg gehe. Und es ist doch klar, dass die | |
Jungs, die hier frisch zum Verein kommen, in einem Jahr gar nicht verstehen | |
können, was alles den FC St. Pauli ausmacht. Ich habe es mir zur Aufgabe | |
gemacht, mich um die Jüngeren zu kümmern und ihnen die Werte, für die | |
dieser Club steht, etwa das soziale Engagement im Stadtteil, zu vermitteln. | |
Sind solche Werte noch wichtig für die aktuelle Spielergeneration? | |
In den Fußballinternaten geht es nicht um Leidenschaft, sondern darum, dass | |
man schon als junger Spieler funktioniert, Leistung abruft und nicht | |
aneckt. Es gibt kaum noch Spieler, die sich trauen, offen ihre Meinung zu | |
vertreten. Auf der einen Seite wollen die Leute echte Typen sehen, auf der | |
anderen Seite fallen die Medien sofort über dich her, wenn du als Spieler | |
mal was anderes sagst als das 08/15-Blabla, das täglich in der Zeitung | |
steht. Du musst dich als Spieler entscheiden, ob du dieses Spiel mitspielst | |
und dein Gesicht in jede Kamera reinhältst, um es bekannter zu machen – | |
oder ob du nur was sagst, wenn du Bock drauf und auch was zu sagen hast. | |
Wenn ich mal aufhöre mit Profifußball, will ich sagen können, dass ich mich | |
nie verbogen habe. Das ist in diesem Geschäft echt schwer. | |
Was ist für Dich der Unterschied zwischen sich integrieren und sich | |
verbiegen lassen? | |
Du musst deiner Persönlichkeit treu und authentisch bleiben. Die Leute | |
wissen halt, dass ich, wenn ich mal nicht im Kader bin, im Stadion stehe, | |
mitsinge und auch zu Auswärtsspielen fahre. Ich lach mich schlapp, wenn die | |
Medien so einen Hype darum veranstalten, wenn sich ein verletzter Profi mal | |
’ne Halbzeit in den Fanblock verirrt. Hallo – das ist doch ganz normal, | |
wenn ich es mit meinem Verein ernst meine! | |
Was dazu führt, dass Zeitungen schreiben, Du seist „mehr Fan als Spieler“. | |
Wie kommst Du damit klar? | |
Damit musst du leben. Ich habe mit Freude wahrgenommen, dass die Medien mir | |
nicht mehr den Stempel Ultra aufdrücken, sondern mich eher als | |
Identifikationsfigur bezeichnen. Ich hab’ viele Freunde bei den Ultras, | |
mich aber nie dazu gezählt. | |
Du hast ein Haus in Sasel gekauft und legst dort Rosenbeete an. Du fährst | |
einen großen amerikanischen Militärjeep. Für die hohe Affinität zur linken | |
Fanszene bist Du an deren Codex wenig angepasst. | |
Da geb’ ich nichts drauf, ich mache halt mein Ding. Ich bin mit Sicherheit | |
kein Öko, ich bin durch und durch Antifaschist und nicht bereit, | |
irgendeinen Alltagsrassismus zu tolerieren. Und ich unterstütze | |
verschiedene soziale Projekte mit Herzblut. | |
Wie reagieren Deine Mitspieler auf Dein Engagement? | |
Ich bin ja nicht der erste Spieler im Verein, der sich sozial engagiert. | |
Und die Reaktion ist auch in der Mannschaft positiv. Ich war im Winter mit | |
ein paar Jungs aus der Mannschaft auf der Kinderkrebsstation im UKE, die | |
ich öfter besuche. Dadurch, dass ich als Spieler diese Öffentlichkeit habe, | |
kann ich mehr geben. Es ist für mich schwer nachzuvollziehen, wenn mir die | |
Schwestern auf der Kinderkrebsstation sagen: Bene, wenn du zwei Stunden | |
kommst, ist das hier zwei Wochen Thema. So etwas macht Spaß und du weißt | |
dann, was im Leben wichtig ist. | |
24 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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