# taz.de -- Fotografie im Grenzgebiet: Am Rand | |
> Was bekommen Flüchtlinge als Erstes zu sehen, wenn sie die EU erreichen? | |
> Dieser Frage ist die Fotografin Eva Leitolf in ihrer Serie „Postcards | |
> from Europe“ nachgegangen. | |
Bild: Eva Leitolf in ihrer Ausstellung im Sprengel-Museum in Hannover. | |
Nach unten geht es, links am Eingangstresen vorbei, die Treppen hinunter. | |
Dann einmal quer durch das [1][Sprengel-Museum], vorbei an der Abteilung | |
„Kunst für Kinder“. Ganz am Ende wieder links befindet sich der „Raum f�… | |
Fotografie“: ein Raum, der durch eine geschlossene Glasfront vom sonstigen | |
Ausstellungsgeschehen abgetrennt ist. Also summt die Klimaanlage stoisch | |
vor sich hin, manchmal schaut kurz eine der Aufpasserinnen herein, nickt, | |
und schon ist die Tür wieder zu. | |
Das ist auch gut so, denn die Bilder der Fotografin Eva Leitolf, die hier | |
zu sehen sind, können Konzentration und Zuwendung gut gebrauchen. 21 Bilder | |
stehen aufrecht auf einer ringsum gezogenen Leiste, sind nicht unter Glas | |
gesperrt. Durchnummeriert und gekennzeichnet sind die Bilder, und das | |
signalisiert: Hier geht es um strenge Systematik, um nüchterne Erforschung | |
von erst Gesehenem und dann Fotografiertem. „PfE0579-GR-260411“ etwa ist | |
ein Bild markiert oder PfE0297-HU-031109. GR dürfte für Greece stehen, | |
Griechenland, HU für Hungary, Ungarn. | |
Eva Leitolf erkundet seit 2006 die Ränder Europas und damit die | |
Übergangsstationen in eine andere Sphäre. Sie hat von Griechenland in die | |
Türkei gewechselt und wieder zurück. Sie war im Süden Italiens und im Süden | |
Spaniens unterwegs, von wo es jeweils nicht allzu weit ist bis zum | |
afrikanischen Festland. Sie war auch auf einem Schiff, das über das | |
Mittelmeer gefahren ist, mit Liegestühlen an Deck. Und sie hat sich in den | |
spanischen Enklaven Melilla und Ceuta umgeschaut, die von Marokko umgeben | |
sind. | |
Entsprechend häufig war sie in Häfen und auf Grenzbahnhöfen oder sie stand | |
wie eine Reisende am Fuß einer offenen Landschaft. Dem Betrachter ihrer | |
Fotos fällt dann irgendwann auf, dass zwischen den Bäumen Lichtmasten | |
aufragen und die Büsche Zäune verbergen. | |
Von diesen Orten hat Leitolf Postkarten mitgebracht, „Postcards from | |
Europe“, die uns nun ordentlich vergrößert anschauen. Und da auf Postkarten | |
immer eine Notiz, eine Bemerkung, ein Gruß steht, werden die Fotos | |
begleitet von einem mal kürzeren, mal längeren Text: „Der | |
Frontex-Presseoffizier für die Evros-Region nennt mir zwei mögliche | |
Fotomotive an der griechisch-türkischen Grenze: ein Übersichtsbild des | |
militärischen Sperrgebiets von einem Hügel in Nea Vyssa aus oder ein | |
inszeniertes Foto von Frontext-Beamten, scheinbar auf Patrouille.“ | |
Ein Foto einer spröden, nicht reizlosen Landschaft mit einem offenbar | |
leeren Gebäude ergänzt sie wie folgt: „Auf einer verlassenen Tankstelle | |
zwischen Szeged und Röszke werden am 24. September 2009 um 7.30 Uhr vier | |
Afghanen aufgegriffen. Sie beantragen Asyl und geben an, vor fünf Monaten | |
in Pakistan losgefahren und mit einem Schlepper für jeweils 7.800 Euro über | |
Griechenland zunächst nach Serbien gekommen zu sein.“ | |
Das Material für die Texte holte sich Leitolf aus Zeitungen wie El País, | |
der New York Times oder der Süddeutschen. Außerdem wertete sie Statistiken | |
oder Polizeiprotokolle aus, sie griff auf eigene Interviews mit illegal | |
beschäftigten Erntearbeitern, Statements von Flüchtlingsorganisationen oder | |
Gespräche mit örtlichen Polizeibeamten zurück, die etwa an der ungarischen | |
Grenzstation Beregsurany davon schwärmten, dass während der Jagdsaison die | |
Jägerstände lückenlos besetzt seien. | |
Auch von Protest wird berichtet: Von Demonstrationen aufgebrachter, | |
erschöpfter und eingesperrter Flüchtlinge, die nicht auf ihre Abschiebung | |
warten wollen. Von Demonstrationen örtlicher Bürger, die nicht wollen, dass | |
ein nächstes Schiff mit aus Seenot geretteten Migranten ihren Hafen | |
anläuft. | |
Zu der Ausstellung gibt es einen Katalog, es liegen aber auch ganz | |
klassisch proportionierte Postkarten im Format 10 x 15 Zentimeter neben | |
jedem Foto aus, die man mitnehmen kann. Auf ihnen enthalten: der Text zu | |
jedem Bild, auf Deutsch, auf Englisch, aber nicht das Bild selbst. | |
Der Postkartenstapel zum Bild eines knorrig-prächtigen Orangenbaumes, | |
dessen Früchte zum Teil auf der Erde verfaulen, ist der niedrigste. „Für | |
ein Kilogramm Moro- oder Navelorangen bekommen kalabrische Obstbauern im | |
Januar 2010 von ihren Abnehmern fünf Cent“, steht in dem Text zum Foto. | |
„Den zumeist illegal beschäftigten afrikanischen und osteuropäischen | |
Saisonarbeitern zahlen sie zwischen 20 und 25 Euro für einen Arbeitstag. Je | |
nach Sorte und Baumbeschaffenheit pflückt ein Arbeiter täglich 400 bis 700 | |
Kilogramm Orangen. Da sich für die Bauern das Geschäft nicht mehr rechnet, | |
stellen viele die Ernte ein.“ | |
## „Postcards from Europe“: bis 4. August, Hannover, Sprengel-Museum | |
28 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.sprengel-museum.de/ | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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