# taz.de -- Prozess um Tod von Jonny K.: Ein Schöffe fühlt sich verarscht | |
> Im Prozess um die tödliche Prügelattacke auf dem Alexanderplatz vergreift | |
> sich ein Laienrichter in der Wortwahl – und setzt damit das Verfahren | |
> aufs Spiel. Mehrere Zeugen erinnern sich an nichts mehr | |
Bild: Im Gerichtssaal 700 des Kriminalgerichts Moabit: einige Verteidiger und A… | |
Der Zeuge windet sich. Gegenüber der Polizei hatte Ali J. zu der Prügelei | |
auf dem Alexanderplatz vergleichsweise detaillierte Angaben gemacht. Nun, | |
wo er vor Gericht aussagen soll, scheint der 23-Jährige von Amnesie | |
befallen zu sein. | |
Es ist der vierte Verhandlungstag im Prozess um die Prügelattacke, an deren | |
Folgen der 20-jährige Jonny K. im Oktober 2012 starb. Der Zeuge ist einer | |
von mehreren jungen Leuten, die den Vorfall als Unbeteiligte beobachteten. | |
Zum Kerngeschehen – welcher der sechs Angeklagten wann und wie zuschlug – | |
hat er keine Beobachtung gemacht. Aber auch was das Randgeschehen betrifft, | |
müssen ihm die Prozessbeteiligten am Donnerstag jeden Satz aus der Nase | |
ziehen. Die beisitzende Richterin maßregelt ihn deshalb streng. Dann geht | |
einer der Schöffen den Zeugen ganz direkt an: „Sind Sie zu feige oder | |
wollen Sie das Gericht verarschen?“ | |
Verarschen? Der Vorsitzende Richter Helmut Schweckenwieck ist sofort | |
alarmiert. „So eine Wortwahl gehört sich nicht und schon gar nicht auf der | |
Richterbank“, rüffelt Schweckenwieck den Schöffen. Ohne diese Klarstellung | |
wäre die Äußerung des Schöffen wohl im voll besetzten Saal untergegangen. | |
Aber nun sind die Verteidiger hellwach. Sie beantragen eine Unterbrechung | |
und fordern dann, den Laienrichter wegen Besorgnis der Befangenheit | |
auszuschließen. | |
Die mit drei hauptamtlichen und zwei Laienrichtern besetzte 9. Jugendkammer | |
stellt die Entscheidung über den Antrag bis zum nächsten Donnerstag zurück. | |
Gäbe sie dann dem Antrag statt, würde das das Aus für den Prozess bedeuten. | |
Die Verhandlung müsste mit einem neuen Schöffen noch mal von vorne | |
beginnen. „’Verarschen‘ ist eine extreme Wertung, hinter der | |
Voreingenommenheit steckt“, argumentiert Verteidiger Friedhelm Enners. | |
Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertreter finden das nicht: Der Schöffe | |
sei mit seiner Wortwahl übers Ziel hinausgeschossen, konzedieren sie. Er | |
habe aber nicht versucht, inhaltlich auf die Aussage des Zeugen Einfluss zu | |
nehmen. | |
Nach diesem Disput werden weitere Zeugen gehört. Es zeigt sich: Ali Y., der | |
damals wie die Angeklagten die Bar Cancún besucht hatte, ist nicht der | |
einzige Zeuge, der mit Erinnerungslücken glänzt. Und er und seine zwei | |
Freunde haben sich aus dem Staub gemacht, ohne zu helfen. Andere, darunter | |
der 22-jährige berufslose Ramazan C., sind losgerannt, als sie aus einiger | |
Entfernung Schreie hörten. Sie kamen zu spät, um einzugreifen, leisteten | |
aber erste Hilfe. Jonny K. sei umgefallen wie eine Fahnenstange, sagt C. | |
Jemand aus der Gruppe der Täter habe sinngemäß gerufen: „Keiner fickt uns. | |
Wir ficken alle.“ Der Prozess wird Montag fortgesetzt. | |
30 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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