| # taz.de -- Ausstellung "Slapstick!": Die Melancholie der Tortenschlacht | |
| > Die Slapstick-Komödie der Stummfilm-Ära ist mehr als bloßer Klamauk: Ihre | |
| > Verbindungen zur zeitgenössischen Kunst setzt das Kunstmuseum Wolfsburg | |
| > in Szene. | |
| Bild: Die Banane wird täglich erneuert: Wilfredo Prieto, "Grasa, Jabón y Plá… | |
| WOLFSBURG taz | Allein und etwas ungelenk schiebt ein schlaksiger, großer | |
| Mann einen roten VW-Käfer durch die Wolfsburger Innenstadt. Andere Autos | |
| bleiben geduldig dahinter, die Störung wird toleriert. Vermutlich ahnt | |
| niemand, dass dahinter nicht die Not eines technischen Defekts steckt, | |
| sondern eine Kunstaktion. | |
| Das Drei-Minuten-Video des Belgiers Francis Alýs aus dem Jahr 2003 ist | |
| unmittelbar am Eingang des Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen. Bis Anfang | |
| Februar konfrontiert dort die Ausstellung „Slapstick!“ 32 Positionen zum | |
| Humor in der aktuellen Kunst mit Schlüsselsequenzen aus klassischen | |
| Stummfilmen – um motivischen Parallelen nachzuspüren. Eine vordergründige | |
| Komik oder gar das provokante Zerstören des Käfer-Mythos – das „Er läuft | |
| und läuft und läuft“ – an seinem Entstehungsort war die Wolfsburger Aktion | |
| Alýs’ aber nicht. Sondern die abgewandelte Wiederholung einer Arbeit, die | |
| er schon in seiner Wahlheimat Mexiko exerziert hatte. | |
| Darin fährt ein roter Käfer einen öden Hügel in Tijuana herauf – um just | |
| unter der Kuppe in seiner zielgerichteten Bewegung zu verzagen und den | |
| Hügel wieder rückwärts herunterzurollen. Ein neuerlicher, ebenso | |
| erfolgloser Versuch beginnt, die Schwelle aber wird nie überschritten, der | |
| Höhepunkt nie erreicht. Alýs empfand das auch als Gleichnis für das | |
| sogenannte Schwellenland Mexiko: die permanente Anstrengung als | |
| Sisyphosarbeit im Zeitalter moderner Technik. Zu sehen ist diese | |
| Installation Alýs’ übrigens noch bis zum 11. August in der Hamburger | |
| Kunsthalle. | |
| Seit Albert Camus’ philosophischem Essay von 1942 müssen wir uns Sisyphos, | |
| den entmachteten König von Korinth, als einen glücklichen Menschen | |
| vorstellen: Das klaglose Leiden lässt sich auch als höchste Form | |
| menschlicher Erhabenheit deuten. Und als gesunde Skepsis: Ist nicht jedes | |
| Ziel unerreichbar – und sollte auch gar nicht erreicht werden? Ist das | |
| Streben nicht allein Vollendung einer Aufgabe? Diese Einsicht hält sich | |
| seit Jahrhunderten, quasi als Gegenmodell zur westlich rationalen Doktrin | |
| und ihren Machbarkeitsüberzeugungen, unter anderem in der darstellenden | |
| Kunst. | |
| Die italienische Commedia dell’Arte etwa bildete im 16. Jahrhundert einen | |
| festen Kanon an Charakteren ebenso heraus wie ein Repertoire an | |
| akrobatischer Komik, Gesten und sprachlicher Schlagfertigkeit. Anknüpfend | |
| an die mittelalterliche Narrenfreiheit, konnte sie sich auch eine kritische | |
| Kommentierung des gesellschaftlichen Geschehens leisten. Um 1900 | |
| revolutionierten die technischen Mittel des Films dann die Möglichkeiten: | |
| Der Stummfilm schuf die Slapstick-Komödie – überzeichnet körperbezogene | |
| Aktion, die auch ohne Worte auskommt. | |
| Auf einer langen Tradition fußt dieses Filmgenre also. Und lässt sich nicht | |
| reduzieren auf motivischen Klamauk – Massenprügeleien, Tortenschlachten, | |
| das Hadern mit modernen Apparaturen oder die Tücke einer fallengelassenen | |
| Bananenschale. Nein, auch der Slapstick wagte einen kritischen Blick aufs | |
| Zeitgeschehen, ganz subtil, durch eine von der alltäglichen Erfahrung | |
| abweichenden Perspektive. | |
| Bei den Wolfsburger Gegenüberstellungen aber geht diese Dimension der | |
| Slapstick-Filme unter. Beraubt sind die winzig kurzen Filmausschnitte ihrer | |
| Handlungsstränge. Und auch in den aktuellen künstlerischen Beiträgen der | |
| Ausstellung findet sich nicht durchgängig eine Position ironisch | |
| kommentierender Distanz. Zwar ist der Ausstellung ein unterhaltsamer | |
| Parcours gelungen, dessen kuratorisches Diktum geistiger Kritik in der | |
| Kunst der Moderne aber ist nicht immer nachvollziehbar. | |
| So stellt beispielsweise der Weißrusse Alexej Koschkarow für ein | |
| saturiertes Vernissagenpublikum opulente Tortenschlachten mit 800 Kilogramm | |
| Cremewerk nach. Im Stummfilmvorbild, „The Battle of the Century“ mit Stan | |
| Laurel und Oliver Hardy kulminiert die Erzählung nach vielen persönlichen | |
| Fehlschlägen in einem solchen befreienden Ausagieren: Wie einer absurden | |
| Kollektivschuld folgend, landen Torten auch bei Unbeteiligten und an weit | |
| entlegenen Örtlichkeiten: im Fotografenatelier, beim Barbier oder im gerade | |
| geöffneten Briefkasten. | |
| Gordon-Matta Clark wiederum vollführte 1973 in seinem Video „Clockshower“ | |
| ganz alltägliche Verrichtungen wie Zähneputzen und Waschen – während er das | |
| große Zifferblatt einer öffentlichen Uhr erklettert. Nicht mehr gnadenlos | |
| tickender Tyrann ist aber diese Uhr: Ganz lässig und wirkungsvoll wird ihr | |
| Diktat überwunden. Im formalen Vorbild dagegen, Harold Lloyds Film „Safety | |
| Last“, hängt der Protagonist, um sein Leben ringend, in schwindelnder Höhe | |
| am Zeiger. Waghalsige Fassadenkletterei eines mittellosen Helden im Rahmen | |
| einer öffentlichen Mutprobe – um Geld zu verdienen: Wolkenkratzer und | |
| verrinnende Zeit als Symbole amerikanischen Aufstiegsethos, ihre | |
| dramatische Bezwingung als soziales Happy End. | |
| Mit seiner Arbeit „Springtime“ ist der Däne Peter Land vertreten. Ein Arm | |
| mit ausgestreckter Hand – die naturalistische Nachbildung seiner eigenen | |
| Gliedmaßen – ragt aus einem Haufen Steine. Ob eine darunter verschüttete | |
| Person gerade mit der eigenen Rettung beginnt? Land lässt eine Deutung | |
| offen. Und findet damit auch eine resümierende Charakterisierung der | |
| Stummfilmakteure: Während heute alles nach Perfektion strebt und | |
| Gescheiterte nicht selten am medialen Pranger landen, bleibt ihr mitunter | |
| hilfloses Agieren – vor allem aber ihr Scheitern – stets würdevoll und | |
| ehrenhaft. Eine tiefe Melancholie liegt so in der unendlichen Wiederholung | |
| des Fiaskos im Stummfilm. Und ein kultureller Befreiungsakt, der neu zu | |
| entdecken wäre. | |
| „Slapstick!“: bis 2. Februar 2014, Kunstmuseum Wolfsburg | |
| 22 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Maria Brosowsky | |
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