# taz.de -- Dortmunder Autor und Sozialarbeiter: Schuld und Sühne | |
> Totschlag, Suizidversuch, Läuterung – Gewalt ist wie mein roter Faden, | |
> sagt Autor Sascha Bisley. Er will andere vor dem gleichen Schicksal | |
> bewahren. | |
Bild: Sascha Bisley, verurteilt, weil er einen Obdachlosen erschlagen hat, ist … | |
DORTMUND taz | Sein erster Anblick mag ängstigen. Sobald der | |
Ganzkörper-tätowierte Typ aber den ersten Satz sagt, wandelt sich dieser | |
Eindruck. Die Erscheinung des harten Kerls erhält etwas Zerbrechliches, | |
dezent Charmantes, wenn er spricht. Der Mann ist ein Künstler, der gern mit | |
Klischees spielt. Vor allem, wenn es um die eigene Person geht. | |
Sascha Bisley verarbeitet Teile seines Lebens zu schwarzhumorigen | |
Geschichten. Sein Blog [1][„dortmund-diary“] zählt zu den beliebtesten der | |
Region. Wenn er zu Lesungen antritt, bebt die Bühne. Doch nicht alles kommt | |
zur Sprache. | |
„Das Thema Gewalt zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben“ sagt er, | |
im Wissen, dass dieser Faden nie abreißen wird. Bisley hat mit 19 Jahren | |
einen Menschen getötet. Mit 3,3 Promille im Blut – was er nicht als | |
Entschuldigung gelten lässt. Heute weiß er, dass er mit dieser Schuld | |
weiterleben kann. Weil er es muss. | |
Der 40-Jährige zeigt Manieren: Er hilft in den Mantel, hält Autotüren auf | |
und liebt es, fein zu speisen. Seine Vergangenheit scheint unsichtbar – | |
doch er nutzt sie, um andere vor dem Schlimmsten zu bewahren. In | |
Zusammenarbeit mit dem Innenministerium von Nordrhein-Westfalen. | |
## Ein merkwürdiges Kind | |
Geboren wurde er als jüngstes von sieben Geschwistern nahe Iserlohn, | |
behütete Kindheit, heiles Elternhaus. „Ich wurde nie geschlagen, mir wurde | |
nie Schlimmes angetan.“ Doch Sascha ist merkwürdig. Nicht, weil er mit fünf | |
Jahren schon lesen kann. Sondern weil er bereits als Kind „Aktenordner wie | |
bei der Polizei“ anlegt. | |
Er denkt sich Straftaten und die Vita von Kriminellen aus, verfasst | |
Fahndungsberichte. „Ich klebte Zeitschriftenfotos von Atomexplosionen oder | |
Kriegsverletzten in Schulhefte. Alle dachten, ich hätte einen an der Mütze, | |
aber das vergehe schon wieder.“ | |
Sascha wird Außenseiter in der Schule, versucht Klassenclown zu sein, | |
gehört aber nie dazu. „Ich fühlte mich schon immer zur dunklen Seite | |
hingezogen. Niemand aus der Familie hätte damit gerechnet, dass ich so weit | |
unten lande: im Knast für eine Gewalttat mit Todesfolge.“ | |
Wie es dazu kam, kann er sich bis heute nicht erklären, doch er kennt | |
seinen Weg in die „äußerst gewaltbereite Szene“. „Wenn du Außenseiter … | |
zieht dich das Leid anderer Menschen an. Ich habe mir ihren Schmerz wie | |
neue Schuhe angezogen und wurde damit selbst immer größer.“ | |
## „Immer auf die Fresse“ | |
Es begann bei den Fußball-Hooligans. „Wir haben blind ausgeteilt. Immer auf | |
die Fresse. Jedes Wochenende. In der Szene ist es so, dass man irgendwann | |
nur noch mit diesen Leuten rumhängt, während der Freundeskreis sich | |
verabschiedet. So bleibst du im Kosmos der Gewalt.“ Der Mechanismus | |
funktioniere über Freundschaft. „Da wird keine Ideologie in Leute | |
eingepflanzt. Die merken, da ist ein labiler Charakter, der hat sonst keine | |
Freunde. | |
Wenn drei Zwanzigjährige mich als Dreizehnjährigen mittags von der Schule | |
abholten und auf eine Dose Bier einluden, machte das schwer Eindruck. Und | |
ich wollte dazugehören.“ Sechs Jahre lang gehörte er dazu. „Ich war dem | |
Alkohol und den Drogen verfallen, was jeden Gewaltexzess begleitete.“ | |
Über seine brutalste Tat spricht Bisley schonungslos: „Wir sind zu zweit | |
über einen Obdachlosen hergefallen nach durchzechter Nacht. | |
Handgreiflichkeiten, dann eine Schlägerei, schließlich haben wir ihn | |
komplett zusammengetreten, minutenlang. Genau so, wie man es aus | |
Überwachungsvideos in U-Bahnhöfen kennt. Er hat es nicht überlebt. | |
Am Morgen klingelte das Sondereinsatzkommando, meine Mutter war auf einer | |
Kaffeefahrt. Die rannten die Tür ein und holten uns raus.“ Ein Jahr | |
Untersuchungshaft, verschiedene Gefängnisse. Zuvor saß er zwar nie im | |
Knast, aber „jedes Wochenende auf der Wache“. Immer in Polizeigewahrsam, es | |
liefen 17 Verfahren gegen ihn, Nötigung, Körperverletzung. | |
## „Ich habe mich furchtbar geschämt“ | |
Das Gericht verurteilte ihn zu drei Jahren Haft, davon zwei auf Bewährung. | |
Da das Jahr Untersuchungshaft angerechnet wurde, kam Bisley auf freien Fuß. | |
In der Jugendpsychiatrie hatte man ihm zuvor eine verminderte | |
Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit bescheinigt, der Blutalkoholwert kam | |
erleichternd hinzu. „Das Urteil war mir mehr als unangenehm. Ich habe mich | |
furchtbar geschämt. Angehörige des Opfers waren da, auch meine Familie. Und | |
ich bekam nur 100.000 Mark Geldstrafe und konnte nach Hause gehen.“ | |
Bisley, kettenrauchend: „Nur ein Jahr Knast für so eine schlimme Tat – | |
damit bin ich oft konfrontiert worden. Ich setze mich dem aber bewusst | |
immer noch aus. Zweimal pro Woche haue ich die Geschichte in Schulen auf | |
den Tisch.“ Bis heute habe er nachts Albträume, Geräusche, Gerüche, das | |
Horrorszenario der Tat komme täglich hoch. Bis heute übe er, sich selbst zu | |
vergeben. „Wenn das der Preis für meine Präventionsarbeit ist, die ich | |
jetzt tun kann, zahle ich den gern.“ | |
Ob er seine „Freunde“ aus der gewaltbereiten Szene schnell loswurde? „Nei… | |
nie!“, sagt der Sauerländer nachdenklich. Auch zwanzig Jahre später nicht. | |
„Sie wissen, wo ich wohne.“ Sie stehen manchmal da und winken. Oder | |
fotografieren. Keine Angriffe mehr. „Aber sie wollen zeigen, dass sie | |
wissen, wo ich bin.“ | |
Bisley kennt sich. „Ich habe ständig anderen auf die Schnauze gehauen, es | |
genossen, Gewalt auszuteilen und einzustecken. Ich hatte genauso Freude | |
daran, wenn man mir selbst die Birne einhaute.“ Es sei um gebrochene Nasen | |
und Gesichter voller Blut gegangen, „das durfte auch gern mein eigenes | |
sein.“ Gewinnen war nicht sein Ziel, sondern sich zu fühlen. „Das ist immer | |
noch in mir.“ | |
## Der „innere Vulkan“ | |
Bisley hat in Therapien gelernt, mit dem „inneren Vulkan“ umzugehen. Seine | |
Arbeit sei aber die beste Therapie. „Ich sehe ja, wie ich mit dem, was ich | |
damals angerichtet habe, anderen helfen kann. Ich bin für die Leute | |
authentisch. Gefährdete Kids, die als beratungsresistent gelten, kommen | |
freiwillig zu meinen Seminaren. Habe mit Tausenden zu tun gehabt, wenn nur | |
hundert dabei sind, die eine andere Richtung einschlagen, ist das doch | |
was.“ | |
Seine Läuterung kam im Gefängnis. „Ich habe da drei Monate lang täglich auf | |
die Schnauze gekriegt. Mit Kochtöpfen und Eisenstangen auf die Birne, | |
Stechen mit Spiegelscherben und vieles mehr. Ich sah erstmals Gewalt so, | |
wie sie eigentlich jeder sieht, als etwas vollkommen Zerstörerisches. Es | |
machte mich kaputt. Und das war gut so.“ | |
Zu dieser Einsicht wäre es beinahe nicht gekommen. Der Straftäter bekam | |
unerträgliche Angst. Vor sich selbst. In seiner Einzelzelle konnte er | |
Gedanken und Schuld nicht entfliehen. Ausweg Selbstmordversuch. „Ich hängte | |
mich mit einem Gürtel an die Heizung, bin dann sitzend seitlich vom Klo | |
gerutscht. Arme in die Hose gesteckt, damit ich mich nicht abstützen kann. | |
Kurz bevor mein Arsch auf dem Boden war, baumelte ich in 1,20 Meter Höhe | |
mit den Füßen nach vorne an der Heizung. | |
Als ich ohnmächtig wurde, muss sich der Gürtel gelöst haben.“ Dann stand er | |
„unter Beobachtung“, musste rund um die Uhr alle 30 Minuten einen Arm heben | |
– als Lebenszeichen für die Wärter. Bisley wollte nun nur noch eins: ein | |
normales Leben führen. „Ich hatte einen Mann umgebracht, fast mich selbst | |
und damit wohl auch meine Familie. Das konnte nicht richtig sein.“ | |
## Seine Stimme bricht | |
Nach der Haft kam das Stück Normalität. Durch den Rhythmus, den er im | |
Gefängnis gelernt hatte, „der gut für mich war“. Aufstehen, arbeiten, | |
essen, schlafen. Dann, nach dreißig Jahren im Sauerland, der Umzug. In | |
Dortmund fand er den Raum und das Potenzial, seine Kreativität als Autor | |
auszudrücken. Und sein Leben fand überraschend Sinn. Ein Bekannter, | |
Streetworker beim Jugendamt, kam mit einer Kollegin zu Besuch. | |
„Diese Kollegin war früher Betreuerin unseres Opfers. Sie brachte mir ein | |
Porträt mit, das der Obdachlose vor seinem Tod von ihr gemalt hatte.“ | |
Bisleys Stimme bricht. Die Sozialarbeiter boten ihm ein Antigewalttraining | |
an. Er sollte auf die andere Seite wechseln, das Training leiten, Gespräche | |
mit Tätern wie Opfern führen. Ihm war klar, „wenn ich überhaupt noch etwas | |
Gutes tun kann, dann damit.“ | |
Aus der ehrenamtlichen Arbeit erwuchs vor fünf Jahren die erste | |
Honorarstelle beim Jugendamt Schwerte. Dortmund, Iserlohn und Hemer | |
folgten. „Es war das erste Mal im Leben, dass ich etwas tat, was sich gut | |
anfühlt und gleichzeitig auch noch gut ist.“ Vor zwei Jahren kam der Job | |
beim Innenministerium von Nordrhein-Westfalen hinzu. | |
## „Der Dreck ist passiert, leider“ | |
Der Exhäftling übt in Gefängnissen als Experte für Körpersprache | |
angemessenes Verhalten mit Insassen wie Angestellten. „Ich habe früher ja | |
nichts anderes getan, als in Sekunden Bewegungsmuster gescannt. Augen, | |
Mimik, Sprache, Handhaltung, Fußstellung – ich wusste sofort, wen ich | |
gefahrlos verprügeln kann.“ Insassen kurz vor der Entlassung sind ihm | |
besonders wichtig. „Die wissen nicht, wie sie draußen aus | |
Gefahrensituationen rauskommen, ohne zu schlagen.“ | |
Bisley weiß, wie das geht, was ihm nun neben der Sozialarbeit auch sein | |
Autorendasein ermöglicht. „Einerseits denke ich: Das habe ich mir verdient, | |
weil ich es selbst erarbeitet habe. Andererseits weiß ich, dass ich Geld | |
mit dem Dreck verdiene, den ich damals fabriziert habe. Aber der Dreck ist | |
ja leider passiert, und das jetzt ist das Beste, was ich daraus machen | |
konnte.“ | |
28 Jul 2013 | |
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## AUTOREN | |
Silke Bojahr | |
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