# taz.de -- Sommer in Berlin: Unterm Rettungsschirm | |
> Vor den Pfandautomaten bilden sich lange Schlangen. Die Hipster bleiben | |
> blass. Andere wünschen sich den Winter herbei. Nur ich bin richtig braun | |
> geworden. | |
Bild: Sonne: manche mögen das. | |
Vor dem Pfandautomaten im Supermarkt hat sich eine lange Schlange gebildet. | |
Mit dem Ende der Kinderferien beginnt der Arbeitsalltag der Eltern. Viele | |
machen eben nicht Urlaub in Norwegen oder Portugal, sondern entscheiden | |
sich für die günstigen Ferien aus der Flasche – endlich einmal ausspannen | |
von der Vernunft, dem linearen Denken und der sozialen Angepasstheit. Doch | |
langsam kehren die Urlauber wieder zurück. In diesem Fall nicht zurück in | |
die Stadt, denn da waren sie ja schon, sondern zurück in die nüchterne | |
Wirklichkeit. Schön war es im weichwattigen Nebelland. Ethanolien ist so | |
reich an zerklüfteten Schluchten des Vergessens, durstlöschenden Oasen und | |
fernen blauen Hügeln der Erkenntnis. | |
Die Wiedereingewöhnung in den Alltag fällt nicht immer leicht und beginnt | |
am Pfandautomaten. Quer durch alle Schichten und Gefäßvariationen stehen | |
sie an, geduldig und erholt. Aus Müllsäcken, Stoffbeuteln, Plastikkisten | |
und zweckentfremdeten Hundekörbchen wandert Flasche für Flasche in den | |
Apparat, eine jede rumpelt ihr leises Adieu zur schönsten Zeit des Jahres. | |
Zu schön, um genau zu sein. Eben noch war der Sommer zu nass und zu kalt, | |
nun ist er zu heiß und zu trocken. Ständig muss man gießen: die | |
Balkonblumen, sich selbst. Und zwar gründlich, wie man hier vorm Automaten | |
sieht. Aber das kennt man ja. Die Leute meckern nun mal gern. Nichts ist | |
ihnen recht – mal sagen sie Hü, mal Hott zu ein und derselben Sache. Auf | |
Facebook veröffentlichen sie, wie es ihnen geht, wie sie aussehen und was | |
sie machen. Interessiert sich kein Schwein dafür, sind sie beleidigt. Zeigt | |
aber ein innovatives amerikanisches Unternehmen ehrliche Anteilnahme an | |
ihrem Tun und Befinden, passt es ihnen auch wieder nicht. | |
Jetzt jammern sie entsprechend über die Hitze. Rot aufgedunsene Gestalten | |
huschen wie Gespenster von Schattenfleck zu Schattenfleck. Nur ein | |
permanentes leises Stöhnen sowie eine klebrige Schweißspur künden noch von | |
ihrer Existenz. In ihrer Verzweiflung sieht man Menschen Wasser trinken wie | |
die Tiere. Kein Bier. Gut, das sind sicher alles Nichtberliner, aber | |
beschämend ist der Anblick trotzdem. Mein eigener, fürchte ich, ebenfalls. | |
Als wollte ich die Not der Leidenden verhöhnen, bin ich nämlich gut | |
gebräunt. Ich bräune schnell, habe jedoch einen entsprechenden Limiter | |
eingebaut. Ich bleibe mittelbraun. | |
Ich weiß nicht, wie die schwarzgebrannten alten Stammgäste im Prinzenbad | |
das anstellen, vielleicht sind das auch nur großflächige Melanome. Da ich | |
keinesfalls so aussehen möchte und dem Limiter nicht voll vertraue, suche | |
ich nun endlich Schatten auf. Wie alle. Nur in der Hasenheide liegen Tote | |
in der Sonne. Jedenfalls glaube ich, dass sie tot sind, denn einen anderen | |
Grund für diesen Wahnsinn kann ich mir nicht vorstellen. Wie konnte ich das | |
überhaupt jemals mitmachen? Im Grunde erinnert doch der bizarre Wunsch | |
eines Blonden, einen für seinen Typ unnatürlichen Farbton anzunehmen, an | |
Michael Jackson, bloß umgekehrt. Und dass der sowohl nicht ganz dicht, als | |
auch ziemlich arm dran war, weiß mittlerweile jedes Kind. Was bin ich doch | |
für eine arme braune Wurst. Ein Sonnen-Nazi. | |
Die Hipster (die es nicht gibt! Ich sag das nur so: „Hipster“, damit auch | |
Denkfaulere als ich wissen, dass ich über Personen spreche, die wegen | |
vernachlässigbarer Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen von ebendiesen | |
Denkfaulen als H. bezeichnet werden) machen es genau richtig: Bräune ist | |
ihnen verpönt. Sie meiden direkte Sonneneinstrahlung und sind | |
sicherheitshalber gleich von vornherein eher nachtaktiv. Ihre Birnen | |
bleiben stets wohltemperiert, deshalb sind sie auch so kreativ. | |
Im Gegensatz zu anderen: Wie soll man bei der Hitze denken? Der Körper ist | |
mit lebenserhaltender Selbstkühlung beschäftigt, da bleibt für das Gehirn | |
nichts übrig. Allenfalls noch „Vanille, Schokolade, Erdbeere, Ventilator, | |
ächz, Hilfe!“ Der Wärmeeffekt gleicht einer ungewollten Verlängerung der | |
Ferien aus der Flasche. Autofahrer, die bekanntlich schon ab 23 Grad | |
ausrasten, machen vor Wut und Hitze kochend Jagd auf Fußgänger und | |
Radfahrer. Was für ein schönes Wetter! Das Attribut „schön“ klingt in | |
diesem Zusammenhang längst wie das heisere Wiehern des Teufels in seiner | |
heißen Hölle, der sich die Hufe über Trockenheit, Hungersnot und das | |
Sterben der Natur reibt. Man kennt diesen rhetorischen Wortgebrauch, es ist | |
derselbe wie in „schöne Scheiße“. Auch wenn es für Glühweinflaschen kein | |
Pfand gibt: Sehnsüchtig warten alle auf den ersten Schnee. | |
28 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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