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# taz.de -- Protest gegen Pflegenotsstand: Bremens Pflegende stehen auf
> Unter dem Motto „Pflege am Limit“ haben am St.-Joseph-Stift 350 Pflegende
> einen Aktionsmonat gegen Missstände und Unterfinanzierung in der Pflege
> eingeläutet
Bild: Mit einer Menschenkette umrundete die Demo das St.-Joseph-Stift
BREMEN taz | „Pflege am Limit“: So ist der Aktionsmonat überschrieben, den
das Bremer Bündnis „Pflege steht auf“ gemeinsam mit dem Pflegerat sowie
Kranken- und Altenpflegeschulen, ambulanten Pflegediensten, Krankenhäusern
und Initiativen wie die Bremer „Heimmitwirkung“ am gestrigen Dienstag
eingeläutet haben. Dafür umrundete eine Menschenkette aus rund 350
Pflegenden gut eine Stunde lang das Areal des Krankenhauses
St.-Joseph-Stift.
Das Bündnis „Pflege steht auf“ hat sich vor zweieinhalb Jahren aus 13
Bremer Pflegediensten zusammengeschlossen, um auf Missstände im
Gesundheitswesen hinzuweisen. Andrea Hugo betreibt einen ambulanten
Pflegedienst und hat die Initiative mitbegründet. „Wir sind schon weit über
unserer Belastungsgrenze“, sagt sie. Nicht mehr der Patient stehe im
Mittelpunkt, sondern Krankenkassen-Bürokratie und akribische Dokumentation:
Die Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zum
Beispiel: „Für die gibt es keinerlei wissenschaftliche Grundlagen – dafür
kosten sie wertvolle Zeit.“ So würde der MDK nicht für mangelhafte Pflege
schlechte Noten vergeben, sondern für schlechte Dokumentation: „Wenn ein
Patient beispielsweise keinen Dekubitus hat, was ja ein Zeichen guter
Pflege ist, wir das aber nicht dokumentiert haben, bekommen wir als
Pflegedienst eine Fünf!“
Vor fast 25 Jahren hat Hugo ihre Ausbildung gemacht, „da war
Krankenschwester nicht nur ein gut bezahlter Job, sondern es wurde auf den
Stationen auf einen vernünftigen Personalschlüssel geachtet“. Damals seien
auf 30 PatientInnen fünf examinierte Pflegekräfte und zwei
PflegeschülerInnen gekommen, heute müssten zwei Pflegende die Arbeit
machen. „Mit Einführung der Pflegeversicherung“, sagt Hugo, „ist ein ganz
gut funktionierendes System an die Wand gefahren worden.“
Vor allem die ambulante Pflege werde vernachlässigt, „dabei steht sogar im
Gesetz: ambulant vor stationär!“ Während die Krankenkassen ein Klinikbett
für 450 Euro pro Tag ohne Murren zahlten, „müssen wir uns anhören, dass
unsere Tagespauschale von 150 Euro zu teuer ist – anstelle von zugewandter
Pflege wird Hightech-Medizin ohne Ende bezahlt.“
Carsten Ludwig, Pflegedirektor beim St.-Joseph-Stift, bestätigt das: „Im
ärztlichen Dienst muss über keine Vergütung diskutiert werden, aber wir
müssen um alles kämpfen.“ Ludwig ist im Bremer Pflegerat Vertreter der AG
christlicher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen (ADS) und hat in
„seinem“ Krankenhaus schon einiges erreicht: „Wir haben festgestellt, dass
der demografische Wandel nicht nur bedeutet: mehr pflegebedürftige
Menschen, sondern auch mehr ältere Pflegekräfte.“ Im St.-Joseph-Stift seien
die Pflegenden im allgemeinen Pflegebereich im Schnitt Mitte vierzig und im
Funktionsdienst sogar über fünfzig Jahre alt: „Wir treten dem mit gezieltem
Wissens-, Qualitäts- und Gesundheitsmanagement entgegen und sind zur
Nachwuchs-Gewinnung in engeren Kontakt zu Krankenpflegeschülern und dual
Studierenden getreten.“ Das eingefahrene Drei-Schicht-System habe man dort,
wo es möglich gewesen sei, aufgehoben und an die Bedürfnisse der Stationen
und MitarbeiterInnen angepasst.
Sowohl er als auch das Bündnis fordern beratende Sachverständige aus der
Pflege im Bundesgesundheitsministerium: „Es wird viel über Pflege
gesprochen“, sagt Ludwig, „aber nicht mit ihr.“ Für Bremen haben die
Pflege-VertreterInnen ihre Forderung nach einer Pflege-Kammer erneuert.
„Die stand“, sagt Andrea Hugo, „vor zwei Jahren im Erstentwurf der Bremer
Pflegeoffensive ganz oben auf der Agenda – aber seit vergangenem Jahr ist
sie plötzlich kein Thema mehr.“ Das, so vermuten sowohl sie als auch
Carsten Ludwig, läge vor allem am Einfluss der Arbeitnehmerkammer, die
Konkurrenz fürchte.
Bis September wollen die Pflege-AktivistInnen durch weitere Aktionen an
verschiedenen Pflege-Stützpunkten Bremens auf die Unterfinanzierung der
Pflegeeinrichtungen, das angeschlagene Image der Pflegeberufe, auf
schlechte Arbeitsbedingungen und Fachkräftemangel hinweisen. Beendet wird
der Protest-Monat mit einer Kundgebung auf dem Marktplatz im Beisein von
Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates, „und
eingeladen ist natürlich auch Gesundheitssenator Hermann Schulte-Sasse“,
sagt Carsten Ludwig.
6 Aug 2013
## AUTOREN
Simone Schnase
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