| # taz.de -- Erfahrung mit Mitfahrgelegenheiten: Nahtoderfahrung inklusive | |
| > Schrottreife Transporter, verhaltensgestörte Fahrer, Gaspedal | |
| > durchgedrückt: Mitfahrgelegenheiten werden immer mehr zur Abenteuerreise. | |
| Bild: So fröhlich wie im Film „Not a Girl“ geht es unterwegs mit einer Mit… | |
| Ich gebe es ungern zu. Manchmal müssen ein paar Abstriche gemacht werden, | |
| wenn man nicht mit der teuren Bahn unterwegs sein will. Doch in letzter | |
| Zeit mehren sich die Szenen, in denen ich mich nach einem klimatisierten | |
| ICE sehne, während ich in einem voll gestopften, schrottreifen Bulli auf | |
| einer der zahllosen deutschen Autobahnen hin und her gekarrt werde. | |
| Da wäre der Fahrer, der leider kein Deutsch spricht und auch der englischen | |
| Sprache nicht mächtig ist. Er versteht daher nicht, dass ich nicht | |
| besonders glücklich damit bin, dass die Blinker nicht blinken, was ja ihre | |
| Aufgabe wäre. Es wäre mir egal, wenn er einfach auf der rechten Spur | |
| bleiben würde. | |
| Sein Hang, einfach mal von der rechten auf die linke von drei Spuren | |
| herüberzuziehen und anderen Fahrzeugen auf der Stoßstange zu hängen, über | |
| Standstreifen zu fahren und rechts zu überholen, löst aber allgemeines | |
| Unbehagen aus – und Hupkonzerte. | |
| Auf einem Rastplatz reicht er mir schließlich sein Handy. Am anderen Ende | |
| der Leitung sitzt ein Deutsch sprechender Landsmann, den er benutzt, um mit | |
| anderen zu kommunizieren. Das mit den Blinkern sei leider nicht zu ändern | |
| auf die Schnelle, erklärt der Mittelsmann. Und dass ihm das schrecklich | |
| leidtue. | |
| ## Einer steigt aus | |
| Die abenteuerlichen Manöver will sich der Fahrer aber trotzdem nicht | |
| abgewöhnen. Die Mitfahrer schließen daher vorsorglich mit ihrem Leben ab. | |
| Verbrüderungen auf der Rückbank. Stoßgebete. Die Nahtoderfahrung schweißt | |
| zusammen. Ein Insasse des Transporters hält es trotzdem nicht mehr aus und | |
| lässt sich rund hundert Kilometer vor der Ankunft in irgendeinem Dorf | |
| absetzen. Die restlichen Mitfahrer harren aus, schließlich will man ja | |
| irgendwie doch schnellstmöglich am Ziel ankommen. | |
| Dann wäre da noch Manfred. Eine Stimme wie Matula, süchtig nach Kaffee, | |
| Energy-Drinks und Nikotin, der ein schmuckes Headset trägt. Sein Bulli ist | |
| bis auf den letzten Platz beladen. Über die Stimme im Ohr bekommt er | |
| Anweisungen, wo er Fahrgäste aufpicken soll. Wenn einer geht, steigt ein | |
| neuer ein. Auch die abgelegensten Autobahnausfahrten werden angefahren. | |
| Orte, deren Namen schon für ihre Abgeschiedenheit stehen: Alleringersleben, | |
| Wunstorf-Kohlenfeld, Herzebrock-Clarholz. Die Mitfahrer müssen die Zeit | |
| totschlagen, sich miteinander unterhalten, am Handy rumspielen oder | |
| schlafen. | |
| Für Manfred liegt das Geld auf der Straße. Warum sollte er es leichtfertig | |
| verschwenden? Der Zeitverlust durch die Umwege wird durch ein | |
| durchgetretenes Gaspedal wieder reingeholt. Schließlich will auch Manfred | |
| irgendwann mal Feierabend haben. Nach der Fahrt von Berlin nach Köln fährt | |
| er wieder zurück in die Hauptstadt. Noch am selben Tag. | |
| ## Gefährlich und steuerfrei | |
| 5 Euro zahlt man bei den Mitfahrportalen in der Regel für 100 Kilometer. | |
| Eine Fahrt von Ost nach West, von Berlin nach Köln, kostet somit rund 30 | |
| Euro. Für die Mitfahrer ist das ein Schnäppchen, wenn man es mit den | |
| Preisen der Bahn vergleicht. Voll ausgelastet verdient der Mann am Lenkrad | |
| auf einer 600 Kilometer langen Strecke abzüglich der Spritkosten rund 120 | |
| Euro pro Fahrt, wie mir einer von ihnen verrät. Im einem Monat kommen so | |
| bis zu 1.500 Euro zusammen. Wenn Strecken Tag für Tag auch wieder | |
| zurückgefahren werden, kann es schon einmal das Doppelte sein. Steuerfrei. | |
| Da inzwischen viele mitbekommen haben, dass so ein eigenes kleines | |
| namenloses Busunternehmen schnell gegründet und ein einträgliches Geschäft | |
| ist, mehren sich zwielichtige Gesellen auf dem Markt der | |
| Mitfahrgelegenheiten. Gern spielen sie den misstrauisch gewordenen | |
| Mitfahrerwilligen vor, dass sie an einer spontanen Fahrt teilnehmen werden, | |
| in einem normalen Pkw. Bei Ankunft stellt sich dann heraus, dass der Kombi | |
| über Nacht zu einem klapprigen Transporter mutiert ist und der Fahrer schon | |
| den halben Tag unterwegs war. | |
| So verkommt das Prinzip der Mitfahrgelegenheit - ich beteilige mich an | |
| deinen Spritkosten, und wir haben eine nette Zeit - langsam, aber sicher | |
| zur Farce. Und zu einem risiko- und stressreichen Abenteuer on the Road. | |
| 10 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Holger Vieth | |
| ## TAGS | |
| Risiko | |
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