# taz.de -- Rhythmische Sportgymnastik: Systematischer Betrug von oben | |
> In der Rhythmischen Sportgymnastik wird bei den Noten oft manipuliert. | |
> Ein Kontrollgremium soll die Juroren überprüfen – und schummelt selbst. | |
Bild: Und, den Schwierigkeitsgrad dieser Vorführung erkannt? Brasilianische Na… | |
Die Musik ist dramatisch, Bälle und Keulen fliegen meterhoch und werden | |
blind gefangen, und schmale Körper bewegen sich in schier unmögliche | |
Positionen – die Rhythmische Sportgymnastik (RSG) begeistert bei den | |
Olympischen Spielen zuverlässig Millionen Menschen. Wer dabei warum | |
gewinnt, bleibt den Allermeisten jedoch ein Rätsel. Dafür gibt es | |
Kampfrichterinnen und Wertungsvorschriften. Die werden alle vier Jahre | |
erneuert, und die Juroren müssen sich einer Prüfung unterziehen. | |
Beim zentralen Kurs für den neuen Olympiazyklus, der im November in | |
Bukarest stattfand, wurde – so das Ergebnis einer internen | |
Disziplinarkommission des Weltturnverbandes (FIG) – so umfassend | |
manipuliert, dass er komplett annulliert wurde. FIG-Präsident Bruno Grandi | |
sagt, man habe „den Deckel eines Kochtopfes voller Lügen, Verstöße und | |
Regelwidrigkeiten“ angehoben. DTB-Präsident Rainer Brechtken nennt das | |
Ganze einen „Warnschuss“. Er fordert „neue unbelastete Leute“ und, dass… | |
Wertungsvorschriften „einfacher und nachvollziehbarer“ werden. | |
Es ist der größte Skandal in der Geschichte der RSG, und er ist besonders | |
schwerwiegend, weil es nicht nur um einen verschobenen Wettkampf geht. | |
Derlei hatte es schon oft gegeben und grundsätzliche Debatten um die | |
Subjektivität der Bewertung auch. In Bukarest aber ging der Betrug vom | |
Technischen Komitee aus, jenem Gremium also, das für den rechtmäßigen | |
Ablauf aller internationalen Wettbewerbe und die Ausbildung der Juroren | |
zuständig ist. | |
Rund zehn Prozent der Prüflinge hatten offenbar die Antworten im Vorfeld | |
gekannt und lieferten entsprechend perfekte Prüfungen ab. Das Komitee | |
vergab bei der Auswertung Bonuspunkte, eine übliche Praxis, wenn sie für | |
alle gleichermaßen angewandt wird. Nicht so hier: Es gab fünfzig Prozent | |
Bonus für die eine, fünf für die nächste, für andere nichts. Etliche Böge… | |
die nicht anonymisiert waren, trugen gar mehrere Handschriften. | |
Profitiert haben, so Bruno Grandi, „die Freunde, dann die Freunde der | |
Freunde“. Das Komitee wollte offenbar einen bestimmten Kreis auserwählen, | |
denn nur die Besten dürfen bei den Spielen in Rio 2016 entscheiden, welche | |
Gymnastin gewinnt. Der damaligen Präsidentin des Komitees, Maria | |
Szyszkowska, wurde die FIG-Ehrenmitgliedschaft in Gold entzogen, sechs der | |
sieben Mitglieder sind bis Ende 2014 suspendiert. | |
## Entspannt in die Prüfung | |
Larissa Drygala, RSG-Landestrainerin in Bremen, war auch in Bukarest. „Ich | |
hatte nach der Praxisprüfung ein sehr schlechtes Gefühl“, erinnert sie | |
sich, „als die anderen nach der Prüfung erzählten, welche Noten sie hatten, | |
da dachte ich schon, das kann nichts werden“. Drygala landete nicht unter | |
den Besten. Aufgefallen war ihr nur, „dass viele Kampfrichterinnen recht | |
entspannt in die Prüfung gegangen sind“, was keineswegs normal ist. | |
Mitte Juli fand nun unter Aufsicht von FIG-Hauptamtlichen ein Ersatzkurs | |
für alle Prüflinge von Bukarest statt, denn Ende August steht die WM in | |
Kiew an, und dafür braucht es Juroren. Beim Kurs mussten jene antreten, die | |
betrogen haben, und wegen der vielen Unregelmäßigkeiten auch jene, die | |
betrogen wurden. Dass somit nun auch wieder Kolleginnen im Kampfrichterpool | |
sind, die betrogen haben, kann Larissa Drygala persönlich „überhaupt nicht | |
verstehen“. Sie erreichte nun das Brevet der höchsten Kategorie und ist | |
eine der 20 Kampfrichterinnen, die für Kiew nominiert wurden. | |
Für den Moment ist die Situation gerettet, die WM kann stattfinden. Das | |
Problem der subjektiven Bewertungen hingegen bleibt bestehen. Die Experten | |
sagen, es ist kaum möglich, den Schwierigkeitsgrad der Vorführung exakt zu | |
bestimmen. „Es gibt eine Grauzone“, sagt auch Drygala. Bruno Grandi ärgert | |
dieser Zustand seit vielen Jahren. Ohne den Nachweis der „Rechtmäßigkeit | |
der Bewertungen wird dieser Sport niedergehen, er wird von alleine | |
sterben“, prognostiziert er. | |
So könnte dieser Skandal nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass das IOC | |
bestrebt ist, die Anzahl der Sommersportler zu reduzieren, noch Folgen | |
haben. DTB-Präsident Brechtken glaubt zwar nicht, dass die RSG gefährdet | |
ist, „aber sie muss sich selber reformieren, das ist zwingende | |
Notwendigkeit“. Nur wie das gehen soll, das weiß im Moment niemand. | |
12 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Sandra Schmidt | |
## TAGS | |
Noten | |
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