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# taz.de -- Gehbehinderte vs. Bus-Betrieb: „Jemand muss den Mund aufmachen“
> 40 Minuten lang blockiert die gehbehinderte Ulrike Nagel einen Bus, weil
> der Fahrer sie mit ihrem Elektro-Scooter nicht mitnehmen will.
Bild: Für E-Scooter-Fahrerin Ulrike Nagel nicht immer und überall zu benutzen…
OSNABRÜCK taz | So etwas war Ulrike Nagel bis dahin nicht passiert. Nie
hatte ein Busfahrer sie mit ihrem Scooter stehen lassen. Auf den ist die
41-Jährige angewiesen. Denn sie leidet an einer spastischen Diplegie, die
ihre Beinmuskeln schwächt. Das Elektromobil für Gehbehinderte verschafft
ihr viel Selbständigkeit: So kann sie ohne Hilfe das Haus verlassen und
sich fortbewegen. Einkaufen fahren. Mit ihren Hunden spazieren. Oder ihre
Tochter im 40 Kilometer entfernten Ibbenbüren besuchen.
Also ging Ulrike Nagel davon aus, dass es kein Problem sein würde, zu ihrer
Tochter zu fahren, als die krank im Bett lag. In Bramsche, wo Nagel lebt,
nahm sie den Zug nach Osnabrück, um am Hauptbahnhof in den Bus umzusteigen.
Längst hatte sie sich bei der Bahn erkundigt, ob das alles mit ihrem
Scooter möglich sei, und grünes Licht dafür bekommen. Doch an diesem Tag
kam es anders.
„Ich darf Sie nicht mitnehmen“, sagte der Busfahrer der Linie nach
Ibbenbüren. „Wieso nicht? Ich habe mich doch erkundigt“, sagte Nagel. Der
Busfahrer blieb hart. Das Gefährt könne während der Fahrt im Bus umkippen,
sagte er zur Begründung.
Und so kam es zum Streit. Ulrike Nagel wollte unbedingt zu ihrer kranken
Tochter. Dazu war es mehr als 30 Grad heiß. „Ich hatte mich so
dahingequält“, sagt die Scooter-Fahrerin. Also wollte sie auch den Rest der
Strecke schaffen.
So schaukelte sich die Situation hoch. So sehr, dass Ulrike Nagel
schließlich mit ihrem Scooter die hintere Tür blockierte. Der Bus konnte
nicht losfahren. „Ich habe mir den bösen Zorn der Leute zugezogen“, sagt
Nagel. Einige Fahrgäste hätten sie „böse angemacht“, andere dagegen Beif…
geklatscht. „Die haben vermutlich gedacht: Endlich mal jemand, der sich
nicht alles gefallen lässt“, mutmaßt Nagel.
40 Minuten blieb sie in der Tür stehen. Dann rief der Fahrer die Polizei.
Und die entschied - zugunsten des Chauffeurs. Die Beamten erklärten Ulrike
Nagel, sie solle sich mit ihrer Beschwerde an das Busunternehmen wenden.
Das ist der Regionalverkehr Münsterland (RVM). Dessen Pressesprecher
Andreas Leistikow verteidigt den Fahrer. Scooter würden „in Bussen und
Bahnen in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich nicht befördert“, erklärt er.
Und obwohl Osnabrück in Niedersachsen liegt, gelten diese Richtlinien auch
dort für RVM-Fahrzeuge.
„Es besteht ein Sicherheitsrisiko, wenn ein Scooter bei der
Rückwärts-Ausfahrt von der Rampe fällt und sich der Fahrgast verletzt, der
Scooter im Bus umkippt und ihn oder andere Fahrgäste verletzt oder aber ein
im Bus wendender Scooter einem Fahrgast über die Füße rollt“, zählt
Leistikow mögliche Gefahren auf. In all diesen Fällen müsse das Unternehmen
haften.
Mit solchen Argumenten ist Ulrike Nagel nicht zu überzeugen. „Wenn Sie das
Ding umkippen wollen, müssen Sie schon Gewalt anwenden“, sagt sie. Und
tatsächlich: Obwohl sie mit aller Kraft ruckelt, bewegt sich das
Elektromobil kaum. Außerdem, ergänzt sie, habe sie eine Motor- und eine
Zusatzbremse am Lenker. Das mache den Stand noch sicherer. Und Fahrten, bei
denen es nicht gerade sanft hergeht, hat sie schon hinter sich. Etwa in der
Nordwestbahn. „Wenn die die Schienen wechselt oder bremst, rumpelt, es“,
berichtet sie.
Dass Nagel auf ihrem Scooter sicher ist, hat inzwischen auch der RVM
eingesehen. Sie hat eine Genehmigung bekommen, in den Bussen des
Unternehmens mitzufahren. Auch andere Scooter-Fahrer bekämen nach einer
Prüfung diese Bescheinigung, sagt Andreas Leistikow.
Doch kaum hat sich die Situation beruhigt, muss Nagel sich die nächsten
Vorwürfe anhören. Kurz nach dem Vorfall auf dem Hauptbahnhof wendete sie
sich an die lokale Presse und schilderte den Fall. Nachdem ein
Zeitungsartikel über sie erschienen war, wurde ihr vorgehalten, sie wolle
sich in den Mittelpunkt rücken. Das wolle sie auf keinen Fall, entgegnet
sie. Und sie wolle auch nicht bevorzugt werden, „nur weil ich im Rollstuhl
sitze“, sagt sie. „Ich will nur, dass jemand den Mund aufmacht.“ Andere
Länder wie die Niederlande seien schon viel weiter, was die
Barrierefreiheit für Behinderte angehe.
Viggo Schmidt vom Behindertenbeirat des Landkreises Osnabrück bestätigt
das: „Wir in Deutschland hinken da hinterher“, sagt er. Allerdings hat er
auch Verständnis für den Busfahrer, der Nagel am Osnabrücker Hauptbahnhof
stehen ließ. Nicht in jedem Bus sei ein Scooter sicher, erklärt Schmidt.
Gar nicht einverstanden mit der Haltung des RVM ist Anke Jacobsen (Grüne)
vom Behindertenforum der Stadt Osnabrück. „Ich gehe aber davon aus, dass es
in Zukunft sehr viel selbstverständlicher wird, dass Scooter-Fahrer im Bus
mitgenommen werden“, sagt sie und verweist auf das Thema Inklusion.
Busfahrer, die bei den Stadtwerken Osnabrück angestellt sind, dürfen
Scooter übrigens ohnehin regulär mitnehmen. Noch. Denn weil E-Rollstühle
immer größer würden und nicht jeder sicher im Umgang damit sei, würden auch
die Stadtwerke möglicherweise demnächst neue Richtlinien schaffen, sagt ein
Fahrer.
19 Aug 2013
## AUTOREN
Anne Reinert
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